„Eine Frau ohne Po und Busen ist keine richtige Frau!“ - Weihnachten mit meiner türkischen Familie als Single -
Veröffentlicht am 13. Januar 2021
Einmal im Jahr, ausgerechnet an Weihnachten, nimmt meine eigentlich sehr deutsche türkische Familie plötzlich starke traditionelle Züge an. Als überzeugter Single ist das nicht immer leicht. Hier ein kleiner Einblick.
Wir Singles haben es zur Zeit echt nicht leicht. Wir können unsere Freiheit nicht so ausleben, wie wir es gewohnt sind. Keine aufregenden Samstagabende in den neuesten Bars und Restaurants der Stadt, keine Radio-Sabor-Parties auf denen wild Salsa und Bachata-Sensual getanzt wird, alle Amusement-Etablissements haben geschlossen, man kann seine heissen Outfits nicht mehr nicht mehr ausführen, rote Lippenstifte werden durch Masken eliminiert… Ich finde, es hat uns Singles am schlimmsten getroffen. Plötzlich wurde uns der sexy Boden unter den Füssen weggerissen und wir sind gezwungen, uns mit uns selber zu beschäftigen. Wie im Boxring. Stirn an Stirn, Angesicht zu Angesicht. Vergangenes Weihnachten forderderte mich besonders heraus. Alles um einen wird ruhig-. Wenn man zu schwach ist, hilft auch die fortgeschrittenste Selbstreflexion nichts.
Nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Singles war Weihnachten die härteste Probe des Jahres 2020. Es ist wie es ist: Alle sitzen mit ihren Partnern da, nur unser eins nicht. Sonst komme ich mit dem Luxus alleinstehend zu sein ganz wunderbar durchs Jahr. Mich stört das null. Aber der 24. Dezember war selbst mein härtester Gegner in diesem eigenartigen Spiel des Lebens.
Heiligabend. Ehe ich mich versehe sitze ich mit der ganzen Familie eng zusammen, die Lautstärke immens laut wie auf einer Technoparty, weil alle durcheinander reden.
Wann hat dieser Tag eigentlich bei uns den gleichen Status wie bei den Deutschen eingenommen? Wir sind doch Türken… frage ich mich, als ich den Raum betrete.
„Was ist denn an uns noch türkisch?“ fragt meine Schwester zurück und schaut ihren deutschen Mann an, der am Eingang verantwortungsbewusst bei allen einen Corona-Test durchführt. Diesen konnte er zum Glück besorgen, weil es in seiner Familie - im Gegensatz zu unserer - echte Ärzte gibt.
Ich beantworte meiner Schwester die Frage, indem ich eine typisch türkische Bewegung mit dem Kinn mache. Ein Deuten auf den gedeckten Tisch. Es gibt Tepsi-Kebab und Baba Ghanoush. Überall riecht es nach Knoblauch, aus dem Radio dröhnt Metropol-FM mit einem Klassiker von Ferdi Tayfur. Mmmhhh, Tepsi-Kebab…. Als ich noch Fleisch gegessen habe war das mein Lieblingsessen. Ich esse mittlerweile seit Jahren kein Fleisch mehr. Aber meine Eltern vergessen es immer wieder. Und jedes Mal gibt es die selbe kritische Situation am Tisch: Wie du isst kein Fleisch? Auch kein Hähnchen?! Na gut, dann machen wir das nächste Mal Lamm.“
Ich habe mittlerweile aufgegeben, mich zu erklären. Unter normalen Umständen wäre ich über Weihnachten und Silvester vereist. Jahr für Jahr lag ich über den Jahreswechsel an den schönsten Stränden von Kolumbien auf St. Andrés, Thailand auf Ko Tao oder ich säße in einem der fancy Cafés in Istanbul. Aber diesmal ist alles anders. Istanbul ist zu uns gekommen. Das Oberhaupt unserer Familie. Großmutter Nouri. Wie eine Königin thront sie am Kopf der gedeckten Tafel. Aber lasst Euch von Ihrer majestätischen Art nicht täuschen. Sie schießt mit verbalen Pfeilen, die einen direkt ins Herz treffen können.
Ich spüre den musternden Blick von Großmuttter Nouri:
„Du bist sehr dünn geworden. Du machst zu viel Sport! Ne meme ne kalca kaldi! Kein Busen und keinen Po hast Du mehr! Was ist schon eine Frau ohne Busen und Po?! Und Deine Haare hast Du auch wieder ganz kurz geschnitten!“
Ich kaue lieblos auf meinem Salatblatt und zähle runter auf 10. Die nächste Frage kommt schon bei 5: „Was gibt es Neues im Privatleben, Melek?“
Nichts. Gähnende Leere, denke ich mir. Alle zehn Köpfe starren mich an. Sogar der von meinem 2-jährigen Neffen.
„Es wird Zeit, dass Du Dir ein Nest baust und vielleicht jemanden kennenlernst. Nicht immer dieses Rumreisen in komische Länder!“
„Ich bin ganz glücklich als Single,“ traue ich mich zu sagen und ernte bemitleidende Blicke. Sogar von meinem 2-jährigen Neffen.
„Nein ehrlich, spreche ich weiter, ich genieße diese Zeit sehr. Ich kann machen, was ich will. DAS ist Luxus.“
„Yalnizlik Allah’a mahsustur.“ Einsamkeit ist nur Allah vorbehalten, sagt Königin Nouri.
„Ich bin nicht einsam…“ der Versuch irgendwas zu erklären scheitert, denn ich habe kein Recht auch nur einen einzigen Satz zu beenden.
„Deine Großmutter hat recht. Lernst du denn niemanden kennen, Tochter?“ fragt mein Vater sanft.
Oh doch, Papa. Ich habe mal einen kurzen Abstecher (Wortspiel haha) in die Tinder-Welt gemacht, aber das ist so crazy, Papa, alles verrückte Feiglinge mit aufgeblasenem (wieder Wortspiel) Ego, die sich nichts trauen und meine Eier größer sind als deren - DENKE ich mir in meinem Kopf. Das sage ich meinem Vater natürlich nicht. Ich erzähle grundsätzlich meinem Vater nichts. Das letzte Mal als ich mich ihm geöffnet habe, hat er mich in einem schwachen emotionalem Moment erwischt. Er rief mich an, just als ich von einem adligen istanbuler Maulheld verlassen wurde, weil ich seine Bilder auf Instagram nicht geliked habe. Ich habe so ins Handy geschluchzt, dass mein Vater unfassbar wütend wurde. Er konnte es nicht ertragen, mich weinen zu sehen. Er würde sofort nach Istanbul fliegen und diesem Mistkerl und seiner ganzen Familie ****piiieeeeppp**** und dazu noch *****piiieeppp***** das Maul mit *****piiiieppppp***** stopfen.
In meinem Kopf poltert es, aber mein Schweigen wird als Schwäche angesehen.
„Schade, dass Du deinen damaligen Freund vor dem Altar hast stehen lassen. Das war ein Fehler! Wer wird Dich jetzt noch heiraten?!“
Meine Oma braucht nicht bewaffnet in den Krieg ziehen. Sie hat Wörter, die weitaus verletzender sind. Aber sie halt schon 84 besitzt einen messerscharfen Verstand und hat leider fast immer recht. Diese Frau hat zwei Kriege, eine erfolgreiche Emigration aus der Türkei nach Deutschland ohne Sprachkenntnisse mit Bravour über- und bestanden. Nur wegen ihr habe ich diesen segensreichen deutschen Pass, mit dem ich meinen süssen Po auf der ganzen Welt spazieren fliegen kann. Deswegen halte ich schön artig meine Klappe und verliere nie den Respekt vor ihr.
„Wieso hast Du Dich damals eigentlich getrennt? Die arme griechische Familie!“ setzt sie ihren Angriff fort.
„Das waren Serben, Oma,“ korrigiere ich.
„Griechen, Serben, auf jeden Fall anders als wir! Aber ich fing an, sie und ihre komische Kirche langsam zu mögen! Guck Dir Gotama an!“
Sie zeigt auf meinen deutschen Schwager, der eigentlich Jonathan heißt. Ich könnte ihr jetzt erklären dass, Gotama ein religiöser Führer aus dem Buddhismus ist, aber….
„Der ist ein Glücksgriff!“ schwärmt sie.
Ich schaue Gotama aka. Jonathan an. Er diskutiert gerade mit meinem Vater, dass das 2-Jährige Kind kein Baklava als Hauptgang bekommt und an Zuckerüberdosis stirbt. Der Arme, denke ich. Wenn der vorher gewusst hätte, was der sich anheiratet….
Später zurück in meiner kölner Singlewohnung genieße ich die Stille. Was soll ich machen, diese Momente gehören halt dazu. Jeder darf seine Meinung darüber äußern, wie ich mein Leben lebe. Wie man damit umgeht, das ist die Kunst.
In diesen Tagen, wo ich nicht vereisen kann, an denen ich keinen Partner an meiner Seite habe, wo ich mich bewusst zurückziehe in die Isolation und Meditation, bin ich selbst mein schärfster Kritiker. Es ist kein Kampf, es ist Persönlichkeitsentwicklung.
Meiner Meinung nach ist die größte Herausforderung im Leben, der man sich stellen kann das Alleinsein (Nach Durchleben einer Krankheit natürlich - Gott bewahre). Wenn wir es schaffen, an den ruhigsten oder rauesten Tagen alleine für uns zu sein, in Gesellschaft nur mit uns, ohne, dass wir uns selber ankotzen, uns unsere Stimme im Kopf wahnsinnig macht - dann haben wir die höchste Disziplin geschafft. Denn wenn WIR unsere eigene Gesellschaft nicht ertragen können, wie können wir sie dann anderen zumuten?