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Medizinisches Cannabis – So sieht die Praxis in Deutschland aus

von Portrait von Christine Pittermann Christine Pittermann
Veröffentlicht am 25. September 2020

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Mit der Medizin aus Hanf ist das so eine Sache in Deutschland. Seit mehr als fünfzehn Jahren herrscht ein Gezerre um die Sinnhaftigkeit und Regulierung von medizinischem Cannabis. Begonnen hat alles mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das 2005 ein öffentliches Interesse an der Versorgung mit diesem Produkt feststellte.  Es folgten einige Jahre, in denen Patienten mit Ausnahmegenehmigungen ihr eigenes Gras ziehen durften. 2011 wurden dann erstmals cannabishaltige Fertigarzneimittel zugelassen, seit 2016 dürfen Apotheken Cannabis auch in Blütenform abgeben – nur auf Rezept und aus staatlich kontrollierten Quellen, versteht sich. So weit so gut, aber wie sieht es eigentlich mit den Anwendungsgebieten der Heilpflanze aus? Hier herrscht noch keine Einigkeit. Ärzte können selbst entscheiden, wann sie Cannabis entscheiden. Die Krankenkasse prüft anschließend, ob sie dieser Einschätzung zustimmt. Mal zahlt sie, mal nicht. In der Praxis gibt es noch viele ungeklärte Fragen um den Umgang mit diesem unkonventionellen Medikament.

Wer erhält medizinisches Cannabis?

Ursprünglich war vorgesehen, dass Cannabis nur bei Versagen aller anderen Therapiemöglichkeiten zum Einsatz kommt. Diese Regelung wurde mit einer Gesetzesänderung zurückgenommen. Seither liegt es weitgehend in der Verantwortung des Arztes, zu entscheiden, ob eine Therapie mit Cannabis sinnvoll ist oder nicht. Genau da liegt allerdings auch das Problem: feste Leitlinien oder gar eine solide Studienbasis für diese Entscheidung gibt es nämlich nicht. Und so stoßen Patienten bei einigen Ärzten mit ihrem berechtigten Anliegen auf taube Ohren, während andere Ärzte ihre Unterschrift auf dem Rezeptblock äußerst freimütig geben. Die Krankenkassen lehnten 2017 rund 30 Prozent aller Anträge auf die Kostenübernahme ab. Verschrieben wird Cannabis vor allem bei chronischen Erkrankungen sowie für Schmerz- und Krebserkrankungen. Außer in der Palliativmedizin sind die Hürden für Patienten weiterhin hoch.

Diese Sorten werden verwendet

Derzeit gibt es acht Importeure, die medizinisches Cannabis nach Deutschland einführen dürfen. Ende 2020 wird damit gerechnet, dass die ersten Cannabisblüten aus deutschem Anbau auf den Markt kommen. Die Sorten unterscheiden sich dabei in der Züchtung von denen, die für den Freizeitkonsum angebaut werden. Während letztere oft auf besondere optische Eigenschaften wie die Größe gezüchtet sind und exotische Namen wie Moby Dick, Jamaican Pearl oder Dutch Dragon tragen, herrschen im medizinischen Anbau andere Kriterien. Die Sorten tragen nüchterne Namen wie Klenk 20/1, Indica Forte oder THC25 und sind vor allem auf einen standardisierten Cannabinoid-Gehalt sowie auf ökonomische Kriterien hingezüchtet. Der Großteil der Sorten enthält einen hohen THC-Anteil und nur geringe Mengen an CBD.

Ein verbesserungswürdiges System

Auch wenn die zögerliche Freigabe des Cannabis-Verkaufs im Interesse der Patienten ist, stellt die aktuelle Rechtslage wohl kaum einen Idealzustand dar. Ärzten und Krankenkassen fehlen klare Entscheidungskriterien für die Verschreibung von THC. Und da Patienten weiterhin nur in absoluten Ausnahmefällen selbst Cannabis anbauen dürfen, profitiert vor allem die Cannabis-Wirtschaft von dem System. Die Krankenkassen werden dadurch mit einem Vielfachen der Kosten belastet, die beim Eigenanbau zu medizinischen Zwecken entstehen würden. Bereits für 2019 rechneten die Krankenkassen mit Kosten von 10 Millionen Euro für die Therapie, Tendenz steigend. Die mäßige Qualität der Evidenz bei vielen Anwendungsgebieten sollte da zu denken geben.