Love Life erzählt eine bittere Geschichte

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 28. September 2011

Sicher ist nicht viel im Leben - nur der Tod. Der trifft bei manchen früher ein als bei Anderen. Und bei einigen Wenigen trifft er schlicht zu früh ein. Etwa bei der Frau von Raymond von de Klundert. Der Niederländer war eigentlich ein Mann der Medien und rührte Werbetrommeln. Aber bevor seine Frau Judith mit 36 Jahren an Brustkrebs starb, sagte sie ihm, dass er vielleicht ein Buch darüber schreiben sollte. Er tat es, nachdem auch sein Psychologe ihm dazu geraten hatte. Er nannte es „Komt een vrouw bij de dokter“. Klundert avancierte vom Medienmenschen zum gefeierten Schriftsteller. Der deutsche Titel des 2003 erschienen Romans lautet „Mitten ins Gesicht“ und wurde unter dem Titel „Love Life – Liebe trifft Leben“ verfilmt. In den Niederlanden legte der Film einen Start hin, den die dortige Filmindustrie noch nicht gesehen hatte. 2009 war es der erfolgreichste Film in den niederländischen Kinos. Nur „Avatar“ und „Harry Potter und der Halbblutprinz“ waren noch erfolgreicher. Mit zwei Jahren Verspätung kommt „Love Life“ jetzt auch in die deutschen Kinos und konfrontiert uns mit einer Geschichte über Liebe zu anderen, Liebe zu sich selbst, Verzweiflung und Mut.

Großes Kino aus den Niederlanden

Die Niederländer haben es ja sonst in Sachen Film nicht so sehr drauf. 1988 gab es „Verfluchtes Amsterdam“, einen düsteren Killer-Thriller von Dick Maas. Der Sohn einer Schauspielerin hatte auch ein paar Jahre zuvor "Fahrstuhl des Grauens" gedreht. Und ein paar Jahre später die Flodder-Filme. An cineastischen Export-Schlagern war es das aber auch schon aus dem Land der Dämme und Tulpen. „Love Life“ ist jedoch um einiges gehaltvoller als amoklaufende Aufzüge und asozialer White Trash.

Niederländischer Bestseller wird zum Kassenerfolg

Stijn (Barry Atsma) und Carmen (Carice van Houten) sind glücklich verheiratet, haben eine kleine Tochter und sind erfolgreich in ihren Jobs. Stijn geht zwar gern fremd, aber Carmen betrachtet das eher als kleines Laster, denn als reale Bedrohung für die Beziehung, denn Stijn liebt nur sie. Als bei Carmen aggressiver Brustkrebs diagnostiziert wird, stürzt sich Stijn noch mehr in seine Affären, geht in Clubs und verdrängt mit Cocktails und Koks das harte Leben zu Hause. Carmen verliert ihre Haare, die linke Brust, den Spaß am Leben. Nur die Liebe zu ihrem Mann und ihrer Tochter lässt sie kämpfen. Lebemann Stijn jedoch kommt mit dem plötzlichen Ernst des Lebens kaum klar und zieht seine Kraft aus einer Affäre mit Roos (Anna Drijver), die sich natürlich in ihn verliebt. Die Kraft, die Roos im gibt, kann Stijn an Carmen weitergeben. Doch je stärker der Krebs in ihr wird, desto mehr braucht sie ihren Mann an ihrer Seite. Der liegt aber sehr oft bei Roos im Bett, während sich Carmen zu Hause mit den Folgen der Chemotherapie herumschlägt.

Am Tage Pfleger, nachts auf der Flucht

Ausgerechnet der notorischen Ehebrecher, der seine Frau zu Hause vor sich hin siechen lässt, ist der Protagonist und Sympathieträger von „Love Life“. Anstatt Carmen beizustehen, verabschiedet er sich abends nur zu gern in die Clubs von Amsterdam und sucht im Nirvana des Nachtlebens nach der Leichtigkeit des Seins. Aber seine sterbende Frau ist real. Carice van Houten spielt die Rolle der Carmen sehr überzeugend und auch die Zeit in der Maske hat sich gelohnt – Carmens Verfall ist nur schwer zu ertragen und wird kontrastiert durch durch das schicke, werbeartige Aussehens des Films. Ebenfalls nur schwer zu ertragen ist die männliche Hauptfigur – Stijns scheinbare Herzlosigkeit („Scheiß' auf dich und deinen Krebs!“, ruft er in einer der vielen Krisen Carmen nach) macht den Zuschauer oft fassungslos. Doch weil Carmen ihm verzeiht, tun wir es auch. Immer wieder kriselt es bei den beiden, immer wieder raufen sie sich zusammen. Doch so ein Krebsgeschwür lässt sich nicht so schnell unterkriegen. Bestrahlung, Chemotherapie, ausfallende Haare - „Love Life“ begleitet ohne sentimentales Pathos ein junges Paar durch die schwierigste Zeit ihres Lebens. Jede der Kübler-Ross-Phasen tritt dabei zu Tage und auch vor den unschönsten Details verschließt Regisseur Reinout Oerlemans nicht die Augen. So wie die Figuren muss auch der Zuschauer sich hilflos mit dem Schicksal abfinden. Dazu gehört auch, im Garten mit Töchterchen Luna Perücken auszusuchen, oder sich der immer weiter fortschreitenden Verzweiflung auszusetzen, mit der Carmen ihr Leben verblassen sieht. Hoffnung gibt es kaum. Dafür umso mehr Illusionen, denen sich Stijn hinzugeben scheint.

Letztlich ist „Love Life“ keine neue Geschichte. Das Rad und auch der Tod kann nicht noch einmal erfunden werden. In derselben Sparte wie „Es begann im September“, „Das Haus am Meer“ und „P.S. Ich liebe Dich“ ist auch „Love Life“ zu finden. Eine schlichte, gradlinige, zutiefst bewegende Geschichte um die Vergänglichkeit der Dinge, allen voran des Glücks. Jeder, der schon einmal geliebt hat, wird sich der intensiv-tragischen, jedoch nie zu pathetischen Geschichte kaum erwehren können, vor allem angesichts der Tatsache, dass „Mitten ins Gesicht“ ein autobiografischer Roman ist. Dass Carmen trotz ihrer Verletzlichkeit die ganzen 113 Minuten über unnahbar wirkt und Stijn sich im Laufe des Films kein Stück weiterentwickelt, übersieht der geneigte Zuschauer dann auch großzügig. Legte man den Hollywood-Maßstab an den niederländischen Film, wäre er keineswegs etwas Besonderes. Aber wenn ein insgesamt recht guter Film wie „Love Life“ aus einem kleinen Land mit minimaler Filmindustrie kommt, freut man sich als Zuschauer, dass die Mühlen Hollywoods den thematisch schon oft verfilmten Stoff nicht zermahlen und zu dem Einheitsbrei machen konnten, den Warner und Co. uns aufzwingen. So bleibt der sentimentale Film, der auf weiter Flur doch sehr an die amerikanische Kino-Konformität angepasst ist, doch charmant, witzig und gelegentlich auch originell. Bleibt zu hoffen, dass unser westlicher Nachbar in nächster Zeit häufiger solch kleine Perlen hervorbringt.

„Love Life – Liebe trifft Leben“ ist ab dem 29.09.2011 in den deutschen Kinos zu sehen.