Bitterböse Komödie aus den Niederlanden - Die letzten Tage der Emma Blank

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 1. Dezember 2011

Meier ist der Sohn des Hausmädchens und verliebt in seine Cousine. Seine Cousine Gonnie ist das Dienstmädchen ihrer eigenen Mutter, Emma. Emma verlangt von Haneveld, dem Mann, mit dem sie schon seit zehn Jahren nicht mehr zusammen ist, dass er sich einen Schnurrbart anklebt, wenn er sie bedient. Bella ist die Schwester von Emma und stopft ihr, als sie am Boden festgetackert ist, einen nassen Schwamm mit Abwasser in den Mund. Und dann ist da noch Theo. Er ist der Bruder von Emma. Theo wird Gassi geführt, erlegt Rebhühner und rammelt hin und wieder das Bein eines Umstehenden. Das sind sie, die Figuren der niederländischen Tragikomödie „Die letzten Tage der Emma Blank“. Aber das Ganze ist noch viel grotesker, als man meinen sollte.

In einem Landhaus in den Niederlanden spielen sich sonderbare Szenen ab: Haneveld, der Hausdiener und Ex-Mann von Emma findet einen Schlips in seiner Suppe und fragt in die Runde, wer das getan hat. Als sich niemand meldet, holt er ein Beil und droht, sich die Hand abzuhacken, falls sich der Schuldige nicht bekennt. Warum geschehen solche Dinge? Warum sind die Nerven in dem Landhaus zum Zerreißen gespannt? Eine Antwort auf diese Frage erhält man explizit erst nach einer Stunde Laufzeit. Aber natürlich ahnt man es: Es ist das liebe Geld, für das die Figuren jede Würde fahren lassen. Ein Vermögen steht in Aussicht, wenn die Verwandtschaft in den letzten Tagen der Emma Blank bedingungslos nach ihrer Pfeife tanzen. Wenn die „gnädige Frau“ zum Frühstück unbedingt einen Aal möchte, wird er zubereitet; wenn sie sich danach zwischen Würgelauten aus dem Badezimmern beschwert, wie man ihr denn zum Frühstück einen Aal servieren könne, wird das ertragen. Nur Gonnie, die als Dienstmädchen agierende Tochter von Emma und Haneveld, ist nicht bereit sich so zu erniedrigen. Immer öfter fällt sie aus der Rolle und fängt sogar eine Affäre mit einem Fremden an, den sie in den Dünen getroffen hat. Aber dann kommt natürlich alles ganz anders und die Machtverhältnisse im Spiel werden neu verteilt. Es ist die pure Gier, die die Figuren durch die Handlung treibt. Unverhohlen hoffen sie auf das baldige Ableben Emmas und geifern nach dem Erbe. Als klar wird, dass es nicht viel zu erben gibt und Emmas Krankheit auch immer weniger tödlich zu sein scheint, müssen Konsequenzen gezogen werden. Das Spiel ist aus. Und schon wird jemand sprichwörtlich gekreuzigt.

Emma (halb bewusstlos): Haneveld, ich höre Musik! Leg' Dein Ohr an meinen Kopf!

Haneveld: Krepier' endlich!!!

Der Schauplatz des verstörenden Geschehens ist ein schwarzes Landhaus mit weißen Fensterläden, umgeben von einem scheinbar undurchdringlichen Wald auf der einen und von den Dünen auf der anderen Seite. Aber die Dünen sind böse – dort geht man nur hin, wenn man unanständige Dinge plant. Mit einem fremden Mann aus der Stadt zu schlafen zum Beispiel, oder um eine Leiche loszuwerden. Eingekesselt von dieser feindlichen Landschaft, umgeben von schlimmen Dingen, sind die Figuren in „Die letzten Tage der Emma Blank“ gefangen in ihrem makaberen Mikrokosmos. Es sind nur sieben Schauspieler, die diese schwarze Komödie braucht. Einer von ihnen, Theo der Hund, ist der Regisseur selbst, Alex van Warmerdam. Der ist kein Unbekannter in den Niederlanden. Schon mehrfach hat er mit skurrilen und erschreckenden Filmen dem Publikum den Spiegel vorgehalten. Seine Filme schreibt er, so wie diesen, oft selbst und taucht auch gern selbst vor der Kamera auf. In „Die letzten Tage der Emma Blank“ hat er erneut seine Frau besetzt – sie spielt die Rolle der Bella. Aber nicht nur sie und Theo sind glaubwürdig geschauspielert. Der gesamte Cast liefert eine sehr gute Leistung ab und erschafft vor dem kühlen Setting eine perfekte Illusion der verstörenden Geschichte.

Handwerklich ist der schon 2009 entstandene Film recht minimalistisch – keine harten Schnitte, keine manipulativen Kameraeinstellungen, eine musikalische Untermalung ist fast nicht vorhanden (obwohl es unter anderem eine Beerdigungsszene gibt, die ironisch mit einem western-ähnlichen Musikthema untermalt ist). Selbst auf das antike Ideal der aristotelischen Einheitlichkeit scheint Warmerdam Wert zu legen - Handlungsort und -zeit sind stark eingeschränkt; Nebenhandlungen gibt es kaum. Man ist als Zuschauer gefangen in diesem absurden Schauspiel und muss mit ansehen, ob man möchte oder nicht, wie bedingungslos devot die Figuren vor dem wandelnden Erbe in spe, Emma Blank, kriechen. Darüber kann man ebenso oft lachen, wie einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Als das Geheimnis um das Erbe dann jedoch gelüftet ist, geht alles recht schnell. Da werden ein paar Menschen gemordet, Armut und Inzest wird befürchtet. Eine große Entwicklung macht jedoch keiner der Charaktere durch und wie es nach dem Ende des Films wohl mit den Figuren weitergeht, ist eine Frage mit recht frustrierender Antwort.

Nach „Love Life“ überrascht die niederländische Filmindustrie in den letzten Wochen schon zum zweiten Mal mit einem Film, der zwei Jahre gebraucht hat, bevor er in Deutschland erscheint. Doch auch wenn „Die letzten Tage der Emma Blank“ intensiv und sehr unterhaltsam ist, wird man ihn sich doch nicht mehrmals ansehen - letztlich bleibt er zu lebensfremd, zu nichtssagend. Es ist eine fiese Satire voller Sozialkritik nach dem „Schaut-mal-wie-schlecht-die-Menschen-sind-Schema“, die niemanden lange beschäftigt und von der man wohl nur noch hören wird, wenn jemand die absurdesten Szenen rezitiert. Trotzdem sollte man die 87 Minuten einmal investieren – und sei es nur, um amüsiert zuzusehen, wie sich die Tochter beim Vater beschwert: „Sie sollte sterben! Das hat sie versprochen!“

"Die letzten Tage der Emma Blank" gibt es ab 2. Dezember 2011 auf DVD.

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