HIRNGESPINSTER - "Wer hin und wieder seinen Verstand verliert, der hat wenigstens einen"

von Portrait von Elisa Schnitzler Elisa Schnitzler
Veröffentlicht am 16. September 2014

Der Film HIRNGESPINSTER von Christian Bach erzählt die bewegende Geschichte eines jungen Mannes, der versucht, die Liebe zu seiner Familie und seine Liebe zu einer Frau überein zu bringen. Er lebt zusammen mit seiner viel arbeitenden Mutter, seiner erst neunjährigen Schwester und seinem Vater, der an Schizophrenie leidet. Er tut alles, um die Familie unter der Last der Krankheit zusammenzuhalten. Als er sich jedoch verliebt, droht das junge Glück aufgrund seiner familiären Situation zu zerbrechen – fortan kämpft er an zwei Fronten.

Dieser junge Mann heißt Simon Dallinger, gespielt von Jonas Nay. Er lebt mit seinem schizophrenen Vater Hans (Tobias Moretti), seiner Mutter Elli (Stephanie Japp) und seiner Schwester Maja (Ella Frey) in einer Kleinstadt. Er arbeitet vormittags als Busfahrer, nachmittags kümmert er sich um seine kleine Schwester und seinen Vater, während seine Mutter oft bis spät in die Nacht arbeitet. Simon ist ein liebevoller Sohn und Bruder, fürsorglich, ein Fels in der Brandung für seine Familie. Dabei denkt er so gut wie nie an sich selbst - Sein Talent zum Zeichnen macht er nicht zum Beruf, da er sein Zuhause nicht verlassen kann. Auch als er sich in Verena (Hanna Plaß) verliebt, steht seine familiäre Lage zwischen den beiden. Simon sehnt sich nach Nähe, will Verena aber gleichzeitig nicht zu nah an sich heranlassen, um die Krankheit seines Vaters geheim halten zu können. Die junge Frau ist jedoch nur für kurze Zeit in der Stadt und Simon wird klar, dass er jemanden an seiner Seite braucht. Am Abend vor ihrer Abreise weiht er Verena in seine Geschichte ein und spätestens ihre Frage, warum es anstelle von Goldfolie nicht auch Alufolie tun würde, zeigt ihm, dass sie ihn ungeachtet seiner Probleme liebt. Jonas Nay verkörpert einen sensiblen 22-Jährigen, der Probleme mit sich selbst ausmacht, sehr reflexiv und sensibel ist und alles für seine Familie tut. Er lebt ständig mit der Angst, selbst erkranken zu können. Besonders für seine neunjährige Schwester versucht er trotz allem, die Welt als heile darzustellen. Er begleitet sie zum Tischtennis, kocht für sie und sitzt an ihrem Bett, bis sie schläft. Die Krankheit des Vaters will er vor Maja verstecken.

Hans Dallinger selbst ist ein großartiger Architekt, der aufgrund seiner Krankheit die gemeinsame Firma mit Ex-Kumpel Jochen Benrath (Stefan Hunsten) verlor und nun keine Aufträge mehr erhält. Vom heimischen Schreibtisch aus nimmt er jedoch an einer Preisausschreibung für ein wichtiges Bauprojekt teil. Seine Teilnahme und der erhoffte Gewinn sollen der Familie nicht nur Geld, sondern auch ein großes Stück Lebensqualität zurückgeben. Denn ein neuer Schub der psychotischen Krankheit droht, über Hans einzubrechen: Er denkt, er werde ausspioniert, seine Ideen für das Projekt würden geklaut. Er schläft nicht, duscht nicht und wird zunehmend aggressiver. Aus Angst vor der Spionage tapeziert er nicht nur das halbe Haus mit Goldfolie, sondern zertrümmert gleich zwei mal die Satellitenschüssel der Nachbarn und attackiert deren Monteure mit einer Axt. Daraufhin wird er festgenommen und eingewiesen. Die von seinem Arzt Dr. Steinhauer (Johannes Silberschneider) verordneten Medikamente verweigert er, sodass er zwangsbehandelt werden muss. Auch nach seiner Heimkehr verweigert er die Psychopharmaka.

In der Familie kommt die Frage auf, wie mit dieser Situation umgegangen werden soll – richtig über das Problem gesprochen wird jedoch nicht. Hans' Krankheit ist ein Thema, das peinlichst gemieden und auch nach außen hin weitestgehend verschwiegen wird. Mutter Elli, die für die Ernährung ihres Mannes und ihrer Kinder aufkommen muss, ergreift schließlich die Initiative und mischt Hans die Tabletten heimlich unter sein Essen. Natürlich fliegt dieser Verrat auf, woraufhin Hans zeitweise auch das Vertrauen in seine Familie verliert. Er schließt sich ein, verbringt Tage und Nächte zwischen Wahn und Genialität und schafft es schließlich, seinen Entwurf für das Projekt fertig zu stellen. Als Hans verschwindet, um diesen abzuschicken, findet Simon seinen Vater bei der Post und alles scheint für einen Moment in Ordnung. Bis die Polizei auftaucht, die Situation eskaliert und Simon nach einem verheerenden Unfall im Krankenhaus liegt. Wird Hans seine Einstellung zu der Erkrankung ändern, nachdem er seinen eigenen Sohn ins Krankenhausbett befördert hat? Und wird Simon nach diesem Vorfall noch länger bereit sein, sein eigenes Leben für den Zusammenhalt der Familie hinten anzustellen?

Beide Handlungsstränge – der Familienkonflikt sowie die Liebesgeschichte - sind im Laufe des Films von Hoffnungen und Rückschritten geprägt, bis zum Schluss spannend und bewegend. Die Geschichte ist keinesfalls überspitzt und lebt von den Konflikten der einzelnen Personen und natürlich der Situation innerhalb der Familie. Sie zeigt, wie schnell ein eingespieltes Familienkonstrukt zerbrechen kann. Der Film erzählt realitätsnah, wie schmal der (krankheitsbedingte) Grad zwischen Genie und Wahnsinn sein kann und wie stark die Liebe einzelner Menschen sein muss und kann, um das auszugleichen.

Die Dichte und Echtheit von HIRNGESPINSTER ist nicht zuletzt der großartigen Leistung der Schauspieler zu verdanken. Tobias Moretti und Jonas Nay wurden beim Bayerischen Filmpreis 2013 als bester Darsteller beziehungsweise bester Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet. Als „besonders wertvoll“ betitelt die Deutsche Film- und Medienbewertung den Film von Christian Bach, eine Produktion der Roxy Film, der ab dem 9. Oktober 2014 in den Kinos zu sehen ist. Spannend und an geeigneter Stelle humorvoll inszeniert ist die Geschichte von Simon und seiner Familie absolut sehenswert!

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