Aufruhr in Istanbul - Worum geht es?

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 3. Juni 2013

Vergangenen Donnerstag wurde aus einem friedlichen Protest gegen die geplante Bebauung des Gezi-Parks im europäischen Teil Istanbuls zuerst eine Straßenschlacht und danach ein drohender Bürgerkrieg. Der an den Park grenzende Taksim-Platz war bis Samstag der Schauplatz heftiger Straßenkämpfe, während der hunderte Demonstranten festgenommen, durch Wasserwerfer und Tränengas verletzt und nach unbestätigten Meldungen auch einige getötet wurden. Die Proteste richteten sich gegen die autoritäre Polizeigewalt und den amtierenden Ministerpräsident Erdogan. Als sich die Polizei am Samstag nach Warnungen von unter anderem der USA zurückzog, nahmen jubelnde Protestanten den Platz ein. Auch in anderen türkischen Städten wurden Demonstranten verhaftet.

Erdogans Regierungspartei AKP ist seit längerem gespalten - wie auch die Türkei selbst. Einerseits ein Land im Aufbruch, andererseits ein Land der Ewiggestrigen. Die Deutsch-Türkischen Nachrichten:

Es gibt die Erdogan-Fans, die der Premier in einflussreiche Positionen gebracht hat und die mit seinem Abgang etwas zu verlieren haben. Es gibt aber auch den starken islamischen Flügel des Predigers Fetullah Gülen, der sich von Erdogan entfernt hat und die Politik des Premiers nicht mehr unterstützt. Hinzu kommt die starke Gruppe der Kemalisten, die Erdogan stets gehasst hat – vor allem wegen seiner vielen Wahlerfolge, aber auch, weil ihrer Meinung nach Erdogan eine autoritäre Agenda verfolge. Das Militär wurde gesäubert – wir immer mit dem Vorwurf, es plane einen Putsch gegen den Regierungschef. Die Kurden halten im Moment still, wobei niemand weiß, wie lange der informelle Waffenstillstand mit der PKK dauert.

Erdogan, der sich seit seinem Amtsantritt bemüht, als Mann wahrgenommen zu werden, der für das Volk arbeitet, hat nun von den Demonstranten einen Tiefschlag hinnehmen müssen. Die geplante Bebauung des Gezi-Parks ist Teil eines großen Modernisierungsprogramms, das Erdogan vorantreibt. Die Demonstranten wollen aber verhindern, dass ohne Zustimmung der Einwohner eine der wenigen Parkanlagen der Stadt zubetoniert wird, nur um eine alte Kaserne wieder aufzubauen, in die später ein Einkaufszentrum integriert werden soll.

Der erhoffte türkische Frühling war der Sieg über Erdogan, der am Samstag übertriebene Polizeigewalt einräumte und die Truppen vom Taksim-Platz abzog, aber nicht, sondern nur ein Rückschlag für den Ministerpräsidenten. Ob er nach dem Ende seiner Legislaturperiode aber, wie es eigentlich geplant war, als Präsident des Landes gewählt werden wird, darf jetzt angezweifelt werden. Ist die Türkei also doch langfristig auf dem Weg in eine moderne Zukunft? Und in die EU?

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