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„Wir können es uns leisten, Single zu sein“

von Portrait von Melek Yaprak Melek Yaprak
Veröffentlicht am 27. September 2020

Was uns bewegt - „Wir können es uns leisten, Single zu sein“

Kolumne Melek Yaprak

Neulich gab mir ein Gespräch mit einer Freundin den Impuls, diesen Artikel zu schreiben. Auslöser war meine Geburtstagsparty, die ich vor einigen Tagen schmiss. Wunderbare Menschen kamen zu einem wunderbaren Event zusammen, um einen wunderbaren Menschen (ja genau - mich) zu feiern. Darunter viele Singles im Alter von 35-49. Tolle, im Leben stehende Männer und Frauen mit gutem Geschmack was Lifestyle angeht. Worauf man halt in diesem Alter Wert legt: Gutes Essen, feine Drinks, ein gepflegtes Äußeres, sinnlos bis anspruchsvolle Gespräche je nach Fortschritt des Abends und immer positiv gestimmt, egal wie beschissen die Situation auch grad ist.
Da könnte man ja auf die Idee kommen, dass vielleicht der eine oder andere zueinander findet. (An meine Freunde: Ist euch eigentlich bewusst, dass immer ICH solche Zusammentreffen organisiere und wie wild Menschen einander vorstelle, weil das nun mal so funktioniert!) Ich bin ein absoluter Gegner von Online-Bekanntschaften, weil, hallo, man muss nur die Augen aufmachen, da draußen laufen genug interessante Menschen rum und sind auch noch zuuuufffääääällllig miteinander befreundet oder irgendwie über drei Ecken (das ist im Dorf Köln sehr gut möglich) womöglich miteinander connected.

Meine Freundin fand Gefallen and einem überaus stattlichem Mann, ein Gentlemen durch und durch. Sie unterhielten sich kurz und am nächsten Tag offenbarte sie mir: „Ich mag den“. Ich habe Freudensprünge gemacht, als ob ich meinen Traummann gefunden hätte, so sehr habe ich mich für sie gefreut. Gleichzeitig bestätigte sich meine Strategie wieder: Leute, stellt euch einander vor, macht kleine Events, ladet Menschen zu euch nach Hause ein, auf euren Balkon, in euren Garten scheiss egal oder Garage! Wir müssen zurück zur alten Schule. Erinnert ihr euch, wie wir das damals gemacht haben? Mit 18, 19, 20? In der Schule oder in der Disko. Oh, da habe ich einschlägige Erlebnisse. Konnte sich mein Crush im Club zu RnB gut bewegen und hat mich tanzend umgarnt, war er höchst interessant. Konnte er sich nicht bewegen, war er out.

Die Online Plattformen wie Tinder, Minder, Insta oder Finsta sind nicht gut für uns!. Warum? Zwei Gründe: Es ist ein Bildschirm oder ein Handy auf dem du die andere Person siehst, das ist nicht echt! Man kann sie nicht hören, erleben oder riechen. Die Fotos sind nichtssagend. Woher ich das so genau weiß, da kommen wir später zu.

Wie ist es also mit den Beiden weitergegangen? Ähm. Nicht so gut. Nagut, hat nicht geklappt - na und!!! Aber es hat ein zwischenmenschlicher Austausch stattgefunden. Der weitere Verlauf der Geschichte hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich gebe es in vereinfachter Form wieder:
Sie lernt ihn kennen, sie unterhalten sich ein wenig, sie denkt Signale von ihm vernommen zu haben, aha, ein Energieaustausch ist da. Sie traut sich nicht einen weiteren Schritt zu gehen, er muss früh gehen, weil er morgens früh raus muss - weg ist er.

Am nächsten Tag schickt sie ihm eine Insta-Anfrage, löscht sie aber verunsichert schnell wieder. Dann ruft sie mich an, fragt nach Rat. Am Liebsten wäre ich 25 Jahre zurückgegangen. Wie haben wir das damals gemacht? Leute, wir haben die Menschen nach ihren Telefonnummern gefragt! Ganz einfach nach der Nummer gefragt, was ist denn da so schwer dran??? Ich werde ganz wütend während ich das hier schreibe. Nun sind wir ja in einer Instagram-Welt und manche Menschen ziehen diesen Weg vor, um…. Um sich von dem Insta-Profil des Angebeteten noch mehr verunsichern zu lassen. Sie schickte erneut eine Anfrage. Er nahm sie an. Beide „checkten“  wohlmöglich ihre Insta-Bilder aus. (Ich kann grad nicht aufhören, den Kopf zu schütteln, während ich wütend in die Tastatur haue.) Bilder aus den Urlauben, absurde Selfies in ich-bin-in-einem Selfie-Mood - Positionen, Videos von Essen, at the Gym, schau, wie hot ich bin und nein, ich weine nie - Bilder.
Sie verabreden sich, tauschen Nummern aus, treffen sich in einem Café. Bis hier alles gut. Sie verabreden sich zu „lass uns mal essen gehen“. Am nächsten Tag kommt keine Nachricht von ihm. Sie nimmt all ihren Mut zusammen und schreibt ihm, schließlich „war doch das etwas zwischen uns“. Er schreibt höflich zurück und es bleibt dabei. Am nächsten Tag kommt wieder nichts von ihm. Meine Freundin checkt seine Insta-Story und sieht, wie er gerade mit jemanden anstößt, allerdings erkennt man nicht wer das. (Überhaupt, was sollen diese ganzen Ich-stoße-mit-meinem-Drink-an- Boomerangs???? Was hat die Welt davon????) Dann passiert folgendes bei ihr:
In ihrer Erwartungshaltung gekränkt und sichtlich geknickt schießt es ihr durch den Kopf, dass er seine Zeit lieber mit einem anderen Mädchen verbringt und er gar nicht so an sie denkt, wie sie an ihn. Und überhaupt, wer ist diese Person, mit der er anstößt? Alle Mechanismen, um das rauszufinden werden in Bewegung gesetzt. Der Geheimdienst ist gar nichts dagegen. Wo ist er überall verlinkt, wer sind seine engsten Freunde, mit wem war er zuletzt wo zu sehen, ist da irgendwo noch….. Aaaaahhhhhhhhhhhhh! STOP! Er stösst doch nur an, wer sagt denn, dass das eine Frau ist und nicht sein 79 - jähriger Vater mit Lieblingshobby Winetasting?! Ich habe vor kurzem in der Türkei gelebt und hatte mich in einen mega sophisticated Crush aus Istanbul verguckt. In der Türkei wird der ganze Insta-Wahnsinn noch eine Million mal mehr ausgelebt. Es ging in die Brüche, als er mich fragte: Du bist doch meine Freundin, warum likest du meine Bilder nicht?!

Sie löscht ihn. Sie schwört mir hoch und heilig, dass sie keine Erwartungshaltung hatte und das alles „cool“ sieht. Hier stoßen mir zwei Faktoren bitter auf: Menschen, wieso interpretiert ihr soviel in etwas, wovon ihr gar nicht wissen könnt, ob es stimmt? Und warum rufst du ihn nicht einfach an und fragst? Es ist immer das, was wir sehen wollen. Subjektiv. Wir fühlen immer das, was gerade bei uns emotional aktuell ist. Die anderen Menschen sind immer nur eine Projektion unser eigentlichen Gefühle. Es kommt sehr schnell Neid oder Traurigkeit auf, wenn wir emotional gerade nicht stabil sind und dann auch noch Trost in irgendwelchen Insta-Stories suchen.

Sie rief ihn nicht an, weil sie sehr stark die Meinung vertritt, dass sie aktiv genug gewesen sei. Sie wäre schon zu viele Schritte auf ihn zugegangen, er hätte ja auch immer höflich geantwortet, aber das war ihr zu wenig.

In meinem Umfeld beobachte ich seit langem folgendes Szenario: Eine Frau zeigt wohlwollendes Interesse macht die ersten Schritte, ein Mann zeigt Gegeninteresse, Frau fühlt sich bestärkt konkretisiert, Mann konkretisiert zurück und wenn es Ernst wird sind die Männer unauffindbar. Weg! Einfach weg! Und hier macht es keinen Unterschied, ob man schon im Bett gelandet ist oder nicht. Sie sind einfach weg! Männer, was wollt ihr eigentlich? Nein ehrlich, mich würde es echt interessieren, was will der gemeine hetero Single - Mann? Eine Frau, die eure Eier in der Hose hat, auf euch zugeht und genau sagt, dass sie Interesse hat oder wollt ihr tatsächlich jagen, wie ein Neandertaler mit übergroßen Kopf, bis ihr die Frau erobert habt? Mich würde das brennend interessieren. Fühlt euch eingeladen, Kommentare dazulassen oder mir zu schreiben.

Meine Freundin und ich sprechen noch lange über den Einfluss von sozialen Medien im Dating-Prozess, über das Singlesein und Partnersuche. Sie sagte einen Satz, der mir im Kopf geblieben ist: „Wir können es uns heute leisten, Single zu sein“. Sowohl finanziell als auch gesellschaftlich. Wir können alle unsere Kohle unabhängig voneinander verdienen. Man muss sich nicht mehr zusammenreißen, damit ums Verrecken noch mal diese Partnerschaft funktioniert wie beispielsweise bei unseren Eltern. Online-Dating mag vielleicht zu Dates verhelfen, macht uns aber gleichzeitig austauschbarer. Der Trend läuft zur Unverbindlichkeit. Ich bleibe lieber unverbindlich, so muss ich keine Verantwortung übernehmen.

Wir Singles in den Enddreißigern haben es schon nicht leicht. Um uns herum alles Paare mit Babies. Die Gespräche handeln nur noch darum, ob man jetzt lieber die Kümmelsalbe gegen Blähungen nimmt oder lieber den Fliegergriff oder gleich alles gleichzeitig. Wir müssen immer daran arbeiten, uns nicht unnormal zu fühlen in dieser Pärchenwelt und Nachmittags ganz ohne Babyspucke auf dem fancy COS-Pullover einen Flat White mit Premium-Hafermilch trinken genießen zu dürfen, während unsere Freunde bereits die siebte Nacht kein Auge zugemacht haben.

Partnerfindung in Köln? Gleicht der Antwort zur Frage: Magst Du eine Wespe im Schritt? Nein. Köln ist jung, Köln ist schwul. Die Leute in unserem Alter sind schon längst im System der Babymafia gefangen oder versuchen vereinzelt in dieser crazy Welt zu überleben. Wir zahlen einen hohen Preis für unsere Unabhängigkeit, die wir aber auch gleichzeitig so lieben. Den Preis des Alleinseins. Kein Kuscheln vor Netflix, die Sonntage allein beim Frühstück, das fünfte Rad am Wagen zwischen zwei Pärchen. Ich bin überzeugter Single, aber auch nur weil mich Köln dazu gemacht hat. Irgendwann habe ich aufgehört zu gucken und Online-Dating kommt für mich überhaupt nicht in Frage. Egal in welcher Form, wenn die Zeit da ist, findet jeder sein Plätzchen. Distanziert euch nicht voneinander. Schafft Begegnungen. Schafft Momente. Kleine Events. Es ist egal wo. Kommt wieder mehr zusammen. Und sprecht die Person direkt an, wenn ihr jemanden toll findet. Schreibt eine Notiz. Schaut euch in die Augen. Entinstagramiert euch.