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Start unserer neuen Rubrik - Kurzgeschichten : Emily und der Fahrstuhl

von Portrait von Natalie Huberto Natalie Huberto
Veröffentlicht am 31. Oktober 2016

Liebe Leserinnen und Leser,

der Herbst ist unvermeidlich in Deutschland angekommen und Weihnachten liegt auch nur noch wenige Wochen entfernt. Zur Feier des Monats haben wir uns dazu entschieden auf unserer Seite eine neue Rubrik einzuführen. Angefangen von heute bis Weihnachten oder vielleicht auch darüber hinaus wird es jeden Montag eine neue Kurzgeschichte geben. Jede fiktive Geschichte wird ihr eigenes Thema tragen. Über Herbst bis hin zu Weihnachten oder ganz unabhängigen Themen wird es alles geben. Immer verpackt in eine nette Geschichte. Über zahlreiches Lesen würden wir uns natürlich sehr freuen. Ich wünsche ihnen viel Spaß mit der ersten Kurzgeschichte.


Emily und der Fahrstuhl

Sie gähnte erschöpft und ließ sich mit halbgeschlossenen Augen auf einen ihrer braunen Küchenstühle fallen. Die junge Frau hatte es gerade so geschafft sich aus den Laken ihres warmen Bettes zu quälen und versuchte nun, sich den heimtückischen Schlaf aus dem Gesicht zu reiben. Sie war zwar erst 25, doch jeden Morgen wenn sie sich erneut zwingen musste, ein Bein vor das andere zu setzten, um von der Stelle zu kommen oder wenn sie am Abend erschöpft von der Arbeit kam, fühlte sie sich mindestens zehn Jahre älter. Sie arbeitete in einem Wellnesscenter und das nun schon seit mehr als drei Jahren. Ihre Aufgabe war es, mit den Gästen zu kommunizieren, sie auf die Zufriedenheit und Qualität der angebotenen Programme anzusprechen. Es machte ihr Spaß und die Bezahlung stimmte auch, doch ihr Traumjob war es trotzdem nicht. Sie hatte sich immer erträumt, weiter oben mitspielen zu können. Gerade deshalb hatte sie den Job im Wellnessbereich auch angenommen. Man hatte ihr Chancen in der Geschäftsleitung versprochen. Denn dumm war sie gewiss nicht. Sie hatte sogar studiert. Doch ihr wurde erst später klar, dass ein erfolgreich abgeschlossenes Studium in einem Familienunternehmen einfach nicht ausreichte um die Karriereleiter immer weiter nach oben zu klettern. Irgendwann kam es ausnahmslos zum Stillstand und gerade als sie gedacht hatte, der frei gewordene Job in der Personalabteilung wäre wie für sie geschaffen, hatte der Sohn des Chefs ihr den Posten vor der Nase weggeschnappt. Sie hätte ihn in diesem Augenblick am liebsten erwürgt oder ihn mit irgendetwas beworfen, das hätte den Zweck auch erfüllt. Doch sie hatte sich zusammenreißen müssen.

„Guten Morgen, Emily.“  Eine ihrer Kolleginnen grüßte sie freundlich und tippte dann weiter auf ihrer Tastatur. „Morgen.“ Murmelte sie und verstaute ihre übergroß wirkende Tasche und ihre Straßenschuhe in ihrem Schließfach. Sie gähnte. Kaffee, sie brauchte Kaffee. Als sich die Türen des Aufzuges fast geschlossen hatten, wagte sich jemand, seine Hand zwischen die zwei sich aufeinander zu bewegenden Metall Türen zu stecken und sie so erneut zu öffnen. Ein Sesam öffne dich war da nicht nötig. Als die junge Frau aufblickte stand vor ihr Ben, Sohn des Chefs, aka der Blödmann der ihr den Job vor der Nase weggeschnappt hat. „Emily, schön dich zu sehen. Wie geht es dir?“ Eins musste sie ihm lassen, er sah verdammt gut aus und er war bis jetzt auch immer freundlich zu ihr gewesen. Trotzdem konnte sie ihren Unmut ihm gegenüber einfach nicht komplett abschütteln. „Mir geht’s gut und wie geht es dir? Antwortete sie vorsichtig und blickte zu ihm auf. Ihr war nie aufgefallen, dass seine Augen praktisch dieselbe braune Farbe hatten wie ihre. Dunkel und bedrohlich. „Mir geht es sehr gut, Danke.“ Ein Lächeln blitze über seine Lippen und auch sie konnte sich ein schmales Grinsen nicht verkneifen. Als sich die Türen des Fahrstuhls gleichzeitig öffneten und er heraus treten wollte drehte er sich ein weiteres Mal um und überlegte kurz. „Das kommt jetzt vermutlich etwas plötzlich, aber hast du heute Abend schon etwas vor?“ Er schien urplötzlich nervös und zum ersten Mal empfand sie so etwas wie Sympathie für ihn. Sie würde mitspielen, vorerst. „Nein hab ich nicht, wieso?“ Seine angespannten Schultern sanken gefühlte zehn Zentimeter nach unten und er grinste erneut. „Hättest du eventuell Lust, mich auf einen Herbstball zu begleiten? Natürlich vollkommen ohne Verpflichtungen.“ Einen Herbstball? Das war wohl das letzte an das sie gedacht hatte? Eventuell eine Einladung zum Essen aber zu einem Ball? Sie wusste nicht so recht was sie davon halten sollte. „Hat deine eigentliche Begleitung abgesagt oder hast du das jetzt mal so eben spontan entschieden? Sagte sie ein wenig sarkastisch, bereute es jedoch nachdem sie seinen ersten Blick sah.  „Um ehrlich zu sein wollte ich dich schon die ganze Zeit fragen, es hat sich nur nie die Gelegenheit ergeben. Was sagst du?“ Erwiderte er ehrlich und sie blickte ihn ein wenig ungläubig an. Er wollte sie schon die ganze Zeit fragen? Konnte sie ihm das wirklich glauben? Sie war misstrauisch. „Ich weiß nicht ob das so eine gute Idee ist. Du findest sicher noch jemanden, der besser in das Etablissement eines Herbstballs reinpasst. „ Eigentlich hätte sie sich ihre Erklärungsversuche auch sparen können. Er würde nicht einfach so aufgeben. Da war er nicht der Typ für. „Ich will aber niemand anderen mitnehmen, sondern dich.“ Die junge Frau schaute ihn ein wenig überrascht an, fast entgeistert nachdem sie sich seine Worte erneut durch den Kopf gehen lassen hatte. Woher kamen diese plötzlichen Gefühlsbekundungen? Während all diese verwirrenden Gedanken in ihrem Kopf herumschwirrten bemerkte sie nicht, wie der gutaussehende Mann zurück in den Fahrstuhl trat und die Türen sich mit einem leisen knarren schlossen. Ein Knopfdruck und der Fahrstuhl kam abrupt zum Stehen.

„Was machst du? Wieso hast du den Fahrstuhl angehalten?“ Merkte sie verwundert an, komischerweise war Verwunderung das einzige was sie empfand. Sie fühlte sich sicher mit ihm, er würde ihr nichts tun. "Da oben war es mir zu unruhig. Hier können wir in Ruhe reden.“ Antwortete er unbekümmerte, als wäre es das normalste der Welt in absichtlich gestoppten Aufzügen Gespräche zu führen. Sie nickte nur stumm und lehnte sich mit dem Rücken gegen eine der Metallwände. Für einen kurzen Augenblick schloss sie die Augen, atmete einmal ein und aus und öffnete sie dann wieder. Sie erwischte Ben dabei wie er sie interessiert von Kopf bis Fuß musterte. Ein Räuspern ließ seine Augen zurück zu ihrem Gesicht schnellen. „Also, was ist das für ein Herbstball?“ Sie überkreuzte die Arme vor der Brust und blickte ihn erwartungsvoll an. Er schluckte kurz und überkreuzte seine Arme ebenfalls. „Ich habe eigentlich überhaupt keine Ahnung darüber. Meine Eltern haben mich verdonnert teilzunehmen und mich gebeten eine Begleitung mitzubringen. Es ist auf jeden Fall für einen guten Zweck. “ Er zuckte mit den Schultern und schaute zu Boden.  „Wieso verdonnert? Warst du etwa nicht artig?“ Sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und auch er schien entspannt. Sie war überrascht, dass Aufzugsgespräche ihr so gut lagen. Ihr neuer Geheimtipp, wenn sie mal ungestört sein wollte. „Mein Vater hat nur irgendetwas von Tradition gefaselt und das ich auf jeden Fall erscheinen soll. Und so kurz vor der Weihnachtszeit will ich nichts riskieren. Sonst streicht er mir nachher noch meinen Weihnachtsbonus.“ Natürlich, er war immer noch der Sohn vom Chef. Während ihres kleinen Gesprächs hätte sie das fast vergessen. Die komplette Familie strotzte nur so vor Geld. Nicht das ihr das wichtig war, es war einfach Tatsache. „Also bin ich sozusagen der Garant deines Weihnachtsbonus?“ Merkte sie an und schmunzelte ein wenig neckisch. Ben blickte sie etwas ungläubig an während sich seine braunen Augen, die sie an Zartbitterschokolade erinnerten, in ihre bohrten. Ein Blick auf ihre Armbanduhr ließ sie erschrecken, sie hatten nun schon fast eine halbe Stunde in diesem Fahrstuhl verbracht und die junge Frau hatte zu seiner Einladung immer noch nicht Ja gesagt. Irgendwas machte er falsch.

„Ich begleite dich.“ Stieß sie plötzlich unter einem sanften Lächeln hervor und die ernste Miene des dunkelhaarigen Mannes vor ihr wich einem Grinsen. „Sehr gut, dann komme ich dich heute Abend abholen. Ich habe dir ein Kleid in deinen Spind hängen lassen. Wenn du möchtest, kannst du das anziehen.“ Erwiderte er zufrieden und machte einen Schritt auf sie zu. „Du musstest dir ja ziemlich sicher sein, das ich ja sage, wenn du dich schon um ein Kleid gekümmert hast.“ Sie legte ihre Stirn in Falten und biss sich auf  einen ihrer abgekauten Fingernägel. „Sicher? Ich hab gedacht, du lässt mich voll auflaufen, mich vielleicht sogar anschreist. Das mit dieser Job Sache ist einfach total blöd gelaufen. Mir stand eigentlich ein ganz andere Posten zu, doch mein Vater empfand mich dafür nicht qualifiziert genug. Er hat mich vor die Wahl gestellt, entweder der Job in der Personalabteilung oder ich wäre draußen gewesen.“ Antwortete er ehrlich und trat einen weiteren Schritt an sie heran. „Ist schon in Ordnung. Ich hab einfach nur nie verstanden wieso dein Vater mir so urplötzlich eine Absage für den Job erteilt hat. Ich war so traurig und wütend und hätte dich am liebsten erwürgt. Aber jetzt weiß ich ja wieso du ihn angenommen hast. Du hattest ja eigentlich gar keine andere Wahl.“ Die beiden lächelten sich an und als der Fahrstuhl sich mit einem kurzen Knarren in Bewegung setzte, wussten beide, dass es nicht bei dem einen Fahrstuhlgespräch bleiben würde.