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Kurzgeschichte (7) - Neuanfang

von Portrait von Natalie Huberto Natalie Huberto
Veröffentlicht am 12. Dezember 2016

Wenn man weiß, dass es die richtige Zeit ist zu gehen, dann sollte man gehen! Was bringt es noch länger auszuharren, wenn man weiß das es vorbei ist und das es nie wieder so sein wird wie vorher? Sie hatten gekämpft, bis zur Erschöpfung doch sie hatten kaum einen Schritt nach vorne gemacht, sondern sich immer nur weiter im Kreis gedreht. Sie hatten beide Fehler gemacht, doch er hatte ihr Ende besiegelt, als er sich auf eine andere Frau eingelassen hatte. Sie hatte versucht ihm zu verzeihen, doch jedes Mal, wenn sie das Gefühl  hatte es wurde einfacher konnte sie ihre Gedanken nicht davon abhalten in Territorien zu wandern, die sie besser vermieden hätten. Also hatte sie eines Abends ihre Sachen zusammengepackt, zumindest das was sie auf einmal tragen konnte und war ohne ein weiteres Wort verschwunden. Er hatte versucht sie anzurufen, zwanzig oder dreißig Mal, doch die Leitung blieb still. Für die ersten paar Nächte hatte sie sich in einem Hotel einquartiert, nichts Besonderes. Ein Bett, ein Holzschrank und ein kleines Badezimmer leisteten ihr Gesellschaft, während sie auf dem grauen Teppichboden des Zimmers saß und ihr Geld zählte.

Es war kurz vor Weihnachten, draußen rieselten kleine weiße Flocken zu Boden und bedeckten den grauen Asphalt nach und nach. Ihr Geld war aufgebraucht und das Zimmer musste sie wenige Stunden zuvor verlassen. Bis jetzt hatte Dave sie nicht gefunden und sie wollte auch, dass es so blieb. Täglich bekam sie Nachrichten, in denen er sie bat zurück zu kommen, den beiden noch eine zweite Chance zu geben, doch sie konnte es einfach nicht. Und der Wille, der anfänglich noch da war, war in den letzten Wochen verschwunden. Der Abstand hatte ihr klargemacht, dass es kein Zurückschauen gab. Nur nach vorne. Schon vor ein paar Tagen hatte sie ein Zugticket nach Paris gekauft, dort lebte ihre Mutter nun schon seit mehr als fünfzehn Jahren. Es hatte nur ein Telefonat benötigt und schon war ihr nächstes Reiseziel klar. Ihre Mutter hatte genug Platz um sie für ein paar Monate aufzunehmen und sie tat es gerne.

Die kahlen Bäume rauschten an ihr vorbei, als sie der Stadt der Liebe näher und näher kam. Sie war erst einmal dort gewesen in ihrem Leben und konnte sich kaum an irgendetwas erinnern. Wie ironisch es war, dass sie es mit Dave nie geschafft hatte und jetzt wo sie getrennt waren hatte sie sich auf den Weg gemacht. Ihre Mutter hatte versprochen sie vom Bahnhof abzuholen und als der Zug wenig später hielt und alle Reisenden Richtung Ausgang stürmten erblickte sie ihre Mutter nach einer Weile in der aufgewühlten Menge. „Mama.“, Rief sie aufgeregt und quetschte sich an allem und jedem vorbei der ihr in die Quere kam und schloss ihre Mutter glücklich in die Arme. Sie versuchte mit aller Kraft ihre Tränen zurückzuhalten, doch es gelang ihr nicht. Der ganze Stress der letzten Wochen und Monate quoll einfach so aus ihr heraus, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.  „Ich bin so froh dich zu sehen.“ Schniefte sie und ließ sich von ihrer Mutter die Tränen von den Wangen wischen. „Und ich erst mein Schatz.“ Erwiderte sie gerührt und nahm ihre Tochter bei der Hand.

Ihre Mutter lebte in einem Vierzimmer Appartement in der Nähe der Champs Élysées. Ein recht teures Viertel, wie sie bereits nach kurzer Zeit feststellte als ein Concierge ohne Mühe und Not ihre Koffer nach oben trug. Und als sie dann wenig später in Mitten eines Paradieses aus französischen Antiquitäten und Stuckdecken stand musste sie sich bemühen vor positivem Entsetzten nicht loszuschreien. „Sag mir nicht du lebst seit 15 Jahren in diesem geilen Apartment und ich wusste nichts davon?“ Fragte die junge Frau ein wenig entgeistert und konnte ihrer Mutter im Gesicht ansehen, dass sie die Situation urkomisch fand. „Nicht die letzten 15 Jahre mein Schatz, die letzten 3! Gefällt es dir?“ Sie wanderte ein wenig durch den großen Raum, der ihr einen perfekten Blick über die Stadt bot und ließ sich auf der großen Couch an der Wand nieder. „Gefallen? Dieses Apartment ist es der absolute Wahnsinn. Und dieser Blick über die Stadt. Jetzt fehlt nur noch ein geschmückter Weihnachtsbaum.“ Ihre Mutter lächelte breit und öffnete ganz unspektakulär eine doppelte Schiebetür, die in ein weiteres Zimmer führte. Als sie aufblickte blieb ihr fast der Atem im Hals stecken. Mitten im Raum stand ein riesiger Baum, der das gesamte Zimmer mit seinen Lichtern und Kugel erhellte. Sie stand auf und ging langsam in das andere Zimmer hinüber. „Wow.“ Mehr brachte sie einfach nicht heraus. Sie war in ihrem Leben noch nie so positiv geschockt gewesen wie in diesem Augenblick. Sie drehte ein oder zwei Runden um die voller Leben sprühende Tanne und grinste breit. „Warte.“ Ihr Grinsen verschwand langsam und sie machte ein paar Schritte auf ihre Mutter zu. „Wie kannst du das ganze überhaupt finanzieren? Ich weiß, Papa hat dir Geld vermacht, aber das reicht doch niemals für so eine Wohnung.“  Ihre Mutter zwinkerte ihr zu. „Ich hab’s geschenkt bekommen. Der nette Herr wollte es nach der Trennung eigentlich wieder zurück, doch ich hab es nicht mehr hergegeben. Irgendwann hat er sich dann damit abgefunden.“ Sie brach in Gelächter aus. Ihre Mutter war schon immer raffiniert gewesen, nicht auf den Mund gefallen. Ihr fiel es nicht schwer das zu bekommen, was sie wollte. Sie schaffte es immer irgendwie. Die junge Frau ging zu ihrer Mutter hinüber und drückte sie fest an sich. Sie hatte ihr all die Jahre wahnsinnig gefehlt. Sie hatten lediglich viel Telefoniert, doch geschafft sich zu sehen hatten sie kaum. „Lola, du zerdrückst mich.“ Als sie sich von ihrer Mutter löste, grinste sie breit und konnte spüren wie eine riesige Last, die sie zuvor nie gespürt hatte, in einem Rutsch von ihren Schultern fiel.

„Das riecht köstlich mein Darling.“ Schon seit zwanzig Minuten wirbelt ihre Mutter mit einem Weinglas durch die große Küche und schaute dabei zu wie sie das aufwändige Weihnachtsessen vorbereitete. Sie liebte kochen, deshalb machte es ihr nichts aus das ihre Mutter nur brav umher tanzte und Weihnachtslieder summte. „Das Essen ist gleich fertig. Kannst du den Tisch decken?“ Ihre Mutter zwinkerte ihr zu. „Lola, das hab ich doch alles schon gemacht. Wenn du mit dem Essen fertig bist, kann sofort los geschlemmt werden.“ Sie lächelte zufrieden und schreckte im selben Augenblick zusammen, als der Timer in Aktion sprang, der ihr signalisierte, dass die Ente im Ofen fertig gegart war.

Mutter und Tochter saßen satt und zufrieden am Weihnachtlich geschmückten Esstisch und schauten nach draußen, wo die Lichter tanzten und die Leute feierten. Lola dachte kurz zurück an ihre Zeit mit Dave. Sie waren glücklich gewesen, doch irgendwann funktionierte es einfach nicht mehr. Sie lebten sich von Tag zu Tag und Woche zu Woche immer mehr auseinander. Es war besser so. Und als er ihr dann eines Tag beichtete, dass er sie mit einer anderen Frau betrogen hatte, war es ihr einfach nicht mehr möglich ihm zu vertrauen. Wahrscheinlich hatten sie beide Fehler gemacht, aber an dem Tag als er sich auf eine andere Frau eingelassen hatte, hat er für sich entschieden, dass ihm die Beziehung zu ihr nicht mehr genug wert war, um wenigstens zu versuchen, alles wieder gerade zu biegen. Doch wahrscheinlich war das die Realität. Menschen kommen und Menschen gehen und irgendwann ergab alles einen Sinn. Zuerst tut es weh, doch der Schmerz lässt nach und irgendwann versteht man jeden einzelnen Moment. Die letzten Wochen mit ihrer Mutter waren für sie unbezahlbar und vielleicht war genau das ihr Neuanfang.