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Affluenza – die Wohlstandskrankheit

von Portrait von Deborah Helfrich Deborah Helfrich
Veröffentlicht am 5. August 2016

Vor ein paar Tagen ist Harry Brant (20), der Sohn des ehemaligen amerikanischen Supermodels Stephanie Seymour (48) und des amerikanischen Multi-Milliardärs Peter Brant (68), wegen einer nichtbezahlten Taxirechnung von 28 Dollar (25 Euro) verhaftet worden. Bei der Festnahme leistete der unter Drogen stehende Brant Widerstand und behauptete zuerst sogar, gar nicht mit dem Taxi gefahren zu sein. Die Anspruchshaltung einiger Kinder reicher Familien, dass Gesetze und Regeln nur für das gewöhnliche Volk gemacht und man mit dem bekannten Satz »Weißt du eigentlich, wer ich bin?« die Freikarte aus jeder unangenehmen Situation besitzt, ist nicht neu. Früher aber waren die Entgleisungen sogenannter »Trust-Fund-Babies« den Familien peinlich. Man versuchte irgendwie das angeknackste Image durch eine Mea-Culpa Aktion, wie zum Beispiel das Austeilen von Essen in einer Suppenküche für Obdachlose, wieder zu richten. Heutzutage sind die Erbinnen und Erben stolz auf ihre Mätzchen und erfreuen sich einer hohen Zahl an Followern auf Instagram. Von Peinlichkeit und Schuldgefühlen ist keine Rede mehr. Der Begriff »Affluenza« wird in Verbindung mit solchen Ereignissen immer öfter genannt, aber was ist das eigentlich?

MAC Cosmetics/Youtube.comMAC Cosmetics/Youtube.comHarry Brant

Affluenza
 

Das erste Mal, als das Wort  »Affluenza« in Verbindung mit dem Nachwuchs einer wohlhabenden Familie international bekannt wurde, war in 2014, als der 16-jährige US-Amerikaner Ethan Couch bei einer betrunkenen Autofahrt vier Menschen umbrachte und zwei Mitfahrer schwer verletzte. Anstatt einer Gefängnisstrafe, kam Couch auf Bewährung frei und wurde in einem noblen Rehabilitationszentrum wegen seines Alkoholkonsums behandelt. Die unangemessene Strafe für Couchs Vergehen verdankte er seinem Anwalt, welcher mithilfe eines Psychologen Affluenza bei dem Teenager diagnostizierte. Die Bezeichnung setzt sich aus den Wörtern »Influenza« (Grippe) und »Affluence« (Wohlstand, Überfluss) zusammen und wird als Konsumismus oder auch die Gier und das Streben nach Konsumgütern als Lebenssinn bezeichnet. Der Anwalt argumentierte, dass Couch keine Schuld an seinem Verhalten hätte, da er ein Opfer des Wohlstands und privilegierten Lebensstils seiner Eltern wäre. Dazu hätte es niemals Konsequenzen für seine Handlungen gegeben. Obwohl bis heute die Affluenza oder auch Wohlstandskrankheit kein offiziell anerkanntes Leiden ist, half es Couch damals einer 20-jährigen Haftstrafe zu entgehen. Dass dieses Urteil ein gefährliches Anspruchsdenken bei den Kindern reicher Eltern auslöst, die die zweifelhafte Diagnose Affluenza als Gefängnis-Freikarte nutzen könnten, scheint man jedoch nicht wirklich zu befürchten. In den meisten Fällen von »Erben vor Gericht« reicht schließlich oft das Wissen um die vermögenden Verwandten, um eine nicht allzu hohe Strafe zu erhalten.

abc News/Youtube.comabc News/Youtube.comEthan Couch

Erbe zu sein bedarf es wenig...
 

Als Anfang des neuen Jahrtausends Socialite Paris Hilton (35) durch ihre medientauglichen Eskapaden berühmt wurde, war es plötzlich schick, sich für eher geistig minderbemittelt, aber als konsumgeil zu outen. Ihre unbekümmerte Art den Reichtum ihrer Familie und alle dazugehörigen Privilegien zur Schau zu stellen, trat eine Welle von Medienberichten und TV-Formaten los, in der sich die reichen Sprösslinge bekannter und unbekannter Familien nicht entblödeten, über ihr Luxusleben zu protzen, welches sie dazu befähigte alles kaufen zu können, außer gesundem Menschenverstand. Einer damals 27-jährigen Collien Ulmen-Fernandes war es nicht peinlich, im deutschen Abklatsch der amerikanischen Pseudo-Doku-Serie »The Simple Life« mit Paris Hilton und Nicole Richie zu behaupten, nie Eier in irgendeiner Form gekocht oder gebraten zu haben. Ob das jetzt die Wahrheit war, oder in Manier einer verwöhnten Erbin gespielt, sei dahingestellt. Immerhin war es eine Weile für reiche und möchtegern-reiche junge Menschen unglaublich trendy so zu tun, als ob die alltäglichen Abläufe eines selbständig geführten Lebens völlig unbekannt und unbegreiflich wären. Auf diese Weise wollte man sich vom gewöhnlichen Volk und den Pflichten eines arbeitenden Menschen distanzieren.

VOGUE/Youtube.comVOGUE/Youtube.comParis Hilton

Rich Kids Of Instagram
 

Natürlich ist Reichtum kein Verbrechen. Es gibt wirklich schlimmeres unter dem man leiden könnte. Viele Menschen streben nach diesem Zustand, weil bekannt ist, dass neben finanzieller Sicherheit ein volles Bankkonto sich in bestimmten Situationen durchaus positiv für den Besitzer auswirken kann. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf, deshalb kann man eigentlich niemandem vorwerfen, froh zu sein, auf der besser situierten Seite zu stehen. Trotzdem erhofft man sich insgeheim wohl ein Gewissen oder auch eine Art soziale Empfindsamkeit wohlhabender Leute für weniger gut betuchte Menschen. Dass junge Leute diese Empfindsamkeit besitzen, ist wohl auch eine Sache der Erziehung und des Umfelds. Wenn diese Erziehung aber von Anfang an im monetären Überfluss bis zum Exzess stattfindet, kann man das wohl nicht wirklich erwarten. Prunk und Protz sind in diesem Alter sinnstiftend und muss in Zeiten von Social Media auch gebührend dokumentiert werden. Ein Profil auf Instagram mit dem passenden Namen »Rich Kids Of Instagram« dokumentiert die Feten der Reichen und Schnöden an diversen Stränden, deren Privat-Jets, teure Uhren und vieles mehr. Es wird sich nicht für die Spendier-Orgien geschämt, auch wenn sicher ist, dass zumeist kein einziger Cent vom ausgegebenen Geld selbst verdient wurde. Viele junge Leute sind daran interessiert, diesen Lebensstil zu verfolgen, weshalb zahlreiche Personen, die man auf Deutsch wohl mit der Bezeichnung »von Beruf Sohn/Tochter« betiteln würde unglaublich viele Follower auf diversen Social-Media-Plattformen haben. Auch oben genannter Harry Brant nutzt sein Instagram Profil, um sich und sein luxuriöses Dasein dandylike in Szene zu setzen. Wie die Verhandlung in der Sache der geprellten Taxizeche und des illegalen Drogenkonsums ausgeht, steht noch aus. Man mag hoffen, dass eine Ansteckung mit Affluenza nicht als Argument der Verteidigung genannt wird.