Wer's glaubt, bleibt selig - Scripted Reality

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 6. Juli 2012

Sat.1 geht es nicht sehr gut. Deswegen wird am Programm jetzt viel gebastelt. Demnächst laufen in der „Daytime“ (früher sagte man „tagsüber“) zwei neue Talkshows. Die sind aber keineswegs echt im Sinne von authentisch - stattdessen werden die Gäste von Laienschauspielern gemimt, fand dass Medienmagazin dwdl heraus:

In den kommenden Wochen testet Sat.1 am Mittag zwei neue Formate von Constantin Entertainment: „Annica Hansen“ und „Ernst-Marcus Thomas“, zwei mögliche neue Talkshow-Formate, die nach erfolgreichem Test im Herbst dauerhaft auf Sendung gehen könnten. Doch obwohl die beiden nach ihren Gastgebern benannten Sendungen von Sat.1 als Talkshow angekündigt werden, wird der Zuschauer ein geskriptetes Format zu sehen bekommen. Das heißt: Darsteller spielen Rollen. Bei Sat.1 räumt man das auf DWDL.de-Nachfrage auch ein. Einen entsprechenden Hinweis werde es im Abspann der Sendungen geben. mehr...

Mit der Scripted Reality, der „Wirklichkeit nach Drehbuch“, ist es so eine Sache - alles sieht täuschend echt aus und erschreckend viele Zuschauer bemerken gar nicht, dass das, was sie sehen, nicht authentisch, nicht echt ist. „Die Schulermittler“, „Verdachtsfälle“, „mieten, kaufen, wohnen“, Mitten im Leben“, „Die Super Nanny“ - alles erfunden, alles Lüge. Manchmal werden sogar Gesichter und Autokennzeichen verpixelt, als könnte das Persönlichkeitsrecht von irgendjemandem verletzt werden. Die Illusion von Realität soll um jeden Preis erhalten werden. Dabei steht doch oft im Abspann, dass alles frei erfunden ist. Aber wer liest schon den Abspann?

Unter 861 jungen Leuten zwischen sechs und 18 Jahren glauben laut einer Studie der Gesellschaft zur Förderung des internationalen Jugend- und Bildungsfernsehens 30 %, dass das, was da im Fernsehen läuft, echt wäre. Dagegen wussten nur 22 %, dass es sich nicht um reale Fälle handelt. Wer nun denkt: ja, die sechs bis 18-Jährigen sind ja auch noch Kinder und haben ohnehin keine Ahnung, wird von einer Ipsos-Studie geläutert - alle Altersgruppen und sogar alle Bildungsstände betrifft das Phänomen. Als 1000 Befragten ein Ausschnitt aus der Scripted Reality-Doku „Die Schulermittler“ gezeigt wird, halten 17 % der 50- bis 64-Jährigen und auch 17 % der 30- bis 49-Jährigen und dies für echt; aber nur 12 % der Jugendlichen glauben, der Ausschnitt wäre real. Bittere Absage also an alle, die Unwissenheit auf die Jugend schieben wollen. Auch was den Bildungsstand betrifft, ist es düster: 12 % der Befragten haben studiert oder zumindest Abitur und halten den Ausschnitt trotzdem für real. 39 % der Befragten mit Abitur oder Universitätsabschluss glauben sogar, dass gewalttätige Übergriffe an allen Schulen jeden Tag geschehen. Man kann also sagen: Was gezeigt wird, wird von vielen für echt gehalten. Trostpflaster: Trotz allem gibt es mehr Zuschauer, die wissen, dass die Handlung nicht echt ist, als es Zuschauer gibt, die die Handlung für bare Münze nehmen. Um Klarheit zu schaffen - hier gibt es die Liste der gescripteten Formate in Deutschland.

 

Mogelpackung bei Sat.1 - das Problem mit der „Scripted Reality“

Wie nah sind so genannte Reality Dokus an der Realität?

16 32%

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