Die alte Schule der coolen Helden

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 25. Januar 2012

Ryan Gosling kam aus dem Nichts. Nach Auftritten im Mickey Mouse Club und bei anderen Kinderformaten wie „Grusel, Grauen, Gänsehaut“, wurde er 1998 als Hercules in der TV-Serie „Der junge Hercules“ besetzt. 2001 kam dann über Nacht sein Durchbruch – das heute fast vergessene Drama „Inside A Skinhead“ zeigte Ryan Goslings schauspielerisches Talent in vollem Maße. Seine Darstellung eines jüdischen Neo-Nazis brachte ihm seinen ersten Preis ein – den Goldenen Widder. Das ist die Auszeichnung der russischen Filmkritiker. Viele weitere folgten. Mit 27 war er für „Half Nelson“ für den Oscar nominiert, verlor die Trophäe aber an Forest Whitacker, der die Jury mit seiner Darstellung in „Der letzte König von Schottland“ überzeugen konnte. Obwohl Ryan Gosling einer der meistgefragtesten Schauspieler seiner Generation ist, lehnte er immer wieder gut bezahlte Rollen ab und hielt sich an Angebote, die ihn forderten, zuletzt die bittere Trennungsgeschichte „Blue Valentine“. Sein neuer Kinofilm „Drive“ bricht mit diesem Grundsatz nur scheinbar, denn „Drive“ ist kein stumpfer Action-Streifen mit tiefergelegten Asia-Karossen, pinken Neonlichtern und Nitro-Einspritzung; unter der Oberfläche lauert da viel mehr.

Der namenlose Driver (Ryan Gosling) arbeitet tagsüber als Stuntfahrer für Filmproduktionen. Nachts jedoch verdient er sich als Fluchtwagenfahrer Geld dazu. Ein Zeitfenster von fünf Minuten gibt er seinen Auftraggebern, nicht mehr, nicht weniger. Doch dann lernt er durch einen Zufall seine Nachbarin Irene (Carey Mulligan) kennen. Sie ist alleinerziehende Mutter und wartet darauf, dass ihr Ehemann Standard (Oscar Isaac) in einer Woche aus dem Gefängnis entlassen wird. Standard hat aus seinen Fehlern gelernt und will Irene und seinem Sohn zu Liebe von jetzt an den rechten Weg beschreiten. Dummerweise ist das gar nicht so einfach, denn im Gefängnis wurde er von einem Gangster namens Cook (James Biberi) um Schutzgeld erpresst. Das soll er nun zurückzahlen. Um Irene und seinen Sohn zu schützen, macht er einen letzten Deal mit Cook – einen Überfall auf einen Pfandleiher. Der Driver erklärt sich bereit, Standard dabei zu helfen, weil ihm Irene ans Herz gewachsen ist. Aber natürlich geht alles schief, Standard stirbt und der Driver sieht sich mit einem ganz anderen Problem konfrontiert – neben Irene und ihrem Sohn muss er nun auch sich selbst aus der Schusslinie schaffen, denn bei dem Überfall sollte Standard Geld stehlen, das dem Mob gehört – und der fackelt nicht lange.

Es ist ein Actionheld der alten Schule, den Gosling für „Drive“ spielen musste. Der Driver ist schweigsam, zurückgezogen, diszipliniert und präzise wie eine Maschine. Ohne sich zu entschuldigen folgt er seinem Weg der Rechtschaffenheit, so wie es Eastwood und McQueen vor ihm taten. Und ebenso wie McQueen fuhr Gosling im Film oft selbst - er hatte für die Rolle einen Schnellkurs im Stuntfahren absolviert. Eigentlich sollte die Hauptrolle von Hugh Jackman gespielt werden, doch der musste schließlich wegen anderer Verpflichtungen absagen. Als Gosling für die Rolle unterschrieb, durfte er persönlich den Regisseur auswählen. Die Wahl fiel auf Nicolas Winding Refn, einem aufsteigenden Stern am Regie-Himmel: er hatte 1996 den zum Kultfilm gewordenen „Pusher“ inszeniert. Vertigo Films plant angeblich ein Remake des Filmes. Sein erster englischsprachiger Film „Fear X“ mit John Turturro floppte zwar so sehr an den Kinokassen, dass Winding Refns Produktionsfirma Konkurs anmelden musste, aber mit den schnell und erfolgreich umgesetzten Fortsetzungen von „Pusher“ brachte er genügend Umsatz, dass er die Regie für „Bronson“ und „Valhalla Rising“ zugesprochen bekam. Mit der Adaption des Romans „Drive“ von James Sallis, der dafür den Deutschen Krimipreis erhielt, wagt er sich jetzt auf ein Gebiet, das er bisher nicht betreten hatte. Und Winding Refn bewies erneut ein sehr gutes Händchen – die Kritiken waren fast ausschließlich positiv. 25 renommierte Zeitschriften und Internetportale wählten „Drive“ zu einem der zehn besten Filme 2011“, fünf davon wählten ihn auf Platz eins, darunter der „Rolling Stone“ und die „Chicago Sun-Times“. 15 Minuten Standing Ovations bei den Filmfestspielen in Cannes 2011 sprechen ebenfalls für sich. Und auf der Top 250 Liste der Internet Movie Data Base steht „Drive“ vor Filmen wie „Endstation Sehnsucht“, „Rocky“, „Avatar“ und „Magnolia“.

Ein simpler Action-Film...oder doch nicht?

Winding Refns Inszenierung des grade einmal 160 Seiten starken Buches basierte auf ungewöhnlich schmalen 81 Drehbuchseiten – für normale Filme gilt die Faustregel: Pro Filmminute eine Drehbuchseite. Das ohnehin schon dünne Script wurde beim Dreh noch weiter zusammengekürzt – Gosling und Refn versuchten, den Driver so wenig wie möglich sprechen zu lassen. Dessen Ruhe und Beherrschung steht in starkem Kontrast zu dem, was er tut, um Irene und ihren Sohn zu schützen – die Gewalt in „Drive“ kündigt sich nicht an, sie explodiert einfach von einer Sekunde auf die andere. Eben noch stand Gosling neben seiner heimlichen Liebe im Aufzug, dann küsst er sie, ehe er dem zufällig ebenfalls im Aufzug stehenden Profikiller brutal den Schädel zertrümmert. Für diese Szene hat sich Winding Refn Tipps von Gaspar Noé geben lassen, der 2002 mit einer ähnlichen Szene in „Irreversibel“ für Schlagzeilen gesorgt hatte.

Dem gegenüber steht die so zerbrechlich wirkende Irene, die mit Carey Mulligan perfekt besetzt ist. Winding Refn schrieb die Rolle der temporär alleinerziehenden Mutter extra für sie um – ursprünglich sollte eine junge Latina besetzt werden.

Ein anderer Faktor, der die Popularität von „Drive“ erklärt ist Winding Refns Gespür für Einstellungen, Kamerawinkel und Beleuchtung. Die einzelnen Szenen wirken sehr ausgereift und L.A. hat das letzte mal in Michael Manns „Collateral“ so fantastisch ausgesehen. Die meist nächtliche Stadt ist mehr als ein Schauplatz des Geschehens – sie scheint eine Verbündete des Driver zu sein. Untermalt wird das Schauspiel durch einen ungewöhnlichen Soundtrack, der sich am Elektro-Pop der 80er orientiert. Der Tonschnitt ist sogar für den Oscar nominiert.

Und nicht zuletzt ist da natürlich noch der großartige Cast, den „Drive“ zu bieten hat – Albert Brooks spielt völlig konträr zu seinen sonstigen Rollen einen Bösewicht – dafür war er sogar für den Golden Globe nominiert, verlor jedoch an Christopher Plummer in „Beginners“, der dafür auch für den Oscar nominiert ist. Bryan Cranston spielt den heruntergekommen Mentor des Driver – aus seiner kleinen, unscheinbaren Rolle hat er eine fantastische Figur voller tiefer Emotionen gemacht. Und „Charaktergesicht“ Ron Perlman spielt eine Rolle, die ihm praktisch auf den Leib geschrieben wurde.

Bei Ryan Gosling ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er seinen ersten Oscar gewinnt. Kaum jemand in seinem Alter ist so authentisch wie er, kaum jemand ist so vielseitig und kaum jemand arbeitet so hart. Für seine Rolle des Noah in „Wie ein einziger Tag“ fertigte er den Küchentisch an, der im Film zu sehen ist; für „Drive“ restaurierte der 1980 in Kanada geborene Schauspieler den 1973er Chevrolet Malibu, den er im Film fährt. Sein Weg nach oben scheint immer weiter zu führen. Nachdem er im Moment schon mit „The Ides Of March“ neben absoluten Größen wie George Clooney, Marisa Tomei und Philip Seymour Hoffman im Kino zu sehen ist, dreht er mit Winding Refn schon an dem nächsten Film. „Only God Forgives“ wird mit sehr kleinem Budget gedreht und soll 2013 in die Kinos kommen. Über die Handlung ist bisher sehr wenig bekannt – es soll um einen Cop in Thailand gehen, der im Boxring gegen einen Gangster antritt. Goslings nächster Kinofilm, „The Place Beyond The Pines“ wird wahrscheinlich noch dieses Jahr erscheinen – auch dafür arbeitet er mit einem vertrauten Regisseur zusammen – Derek Cianfrance hatte mit Gosling schon „Blue Valentine“ gedreht. Auf seinem Programm stehen demnächst noch das Terrence Malick-Projekt „Lawless“ mit Christian Bale und Cate Blanchett und „The Gangster Squad“ mit Sean Penn, Giovanni Ribisi, Nick Nolte, Robert Patrick und Josh Brolin. Auch sein „Drive“-Kollegin Carey Mulligan wird demnächst wieder auf die große Leinwand kommen – Baz Luhrmann („Moulin Rouge!“) inszeniert mit ihr „Der Große Gatsby“ neu. Die Titelrolle übernimmt kein anderer als Leonardo DiCaprio.

"Drive" läuft ab 26. Januar 2012 in den deutschen Kinos.

Kein stumpfer Action-Streifen - Drive