Eine Liebesgeschichte - nicht mehr und nicht weniger

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 6. Dezember 2011

Es ist schon fast vier Jahre her, seit Heath Ledger starb. Er hatte am 22. Januar 2008 versehentlich eine fatale Mixtur verschiedener Schmerz- und Schlafmittel genommen. Die Wechselwirkungen verstärkten sich gegenseitig und führten schließlich zum Tod des 28-Jährigen. Vier Jahre zuvor hatte er bei den Dreharbeiten zu „Brokeback Mountain“ Michelle Williams kennengelernt. Bis 2007 lebte er mit ihr in Brooklyn zusammen. Im Oktober 2005 war ihre gemeinsame Tochter Matilda geboren worden. Schon lange bevor Heath Ledger starb, hatte Michelle Williams eine Unterhaltung mit einem Regisseur namens Derek Cianfrance. Der arbeitete seit Jahren an einem Drehbuch in dem es um ein Paar ging, das sich voneinander trennt. Williams mochte das Drehbuch und wollte unbedingt in dem Film mitspielen. Wäre Heath Ledger nicht gestorben, hätten die Dreharbeiten zu „Blue Valentine“ schon 2008 begonnen. Aber ungewöhnlicherweise beschloss Derek Cianfrance, statt die Rolle neu zu besetzen, Michelle Williams Zeit zu geben und vertagte die Dreharbeiten. Das war eine clevere Entscheidung – Michelle Williams wurde für ihre Rolle für den Oscar nominiert und „Blue Valentine“ avancierte zu einem der populärsten Filme 2010.

Für Dean und Cindy ist es Liebe auf den ersten Blick – sie gehen miteinander aus, er spielt für sie Ukulele, sie steppt für ihn, eine Tochter, Frankie, wird geboren, der Alltag holt die beiden ein und schon bald leben sie nur noch nebeneinander her. In einer finalen Aktion wollen sie ihre träge gewordene Beziehung reanimieren und verbringen ein Wochenende in einem Motel, fernab von Job, Kind und Stress. Aber die beiden müssen feststellen, dass die Probleme gar nicht von außen kommen.

Sehr kalt, ganz leise und furchtbar bedrückend

Es ist eine frustrierende Geschichte um die große Liebe und die noch größere Enttäuschung, die Derek Cianfrance dem Zuschauer mit „Blue Valentine“ aufbürdet. Kontrastiv in der Zeit hin und her springend wird man Zeuge einer Beziehung, die eigentlich nichts Besonderes ist und auch nicht anders in die Brüche geht, als andere Beziehungen. Aber anders als Trennungs-Filme wie „Der Rosenkrieg“, „Trennung mit Hindernissen“, „High Fidelity“ und „Der Stadtneurotiker“ lässt „Blue Valentine“ jegliche Komik außen vor. Es wäre einfach gewesen, aus der Story eine seichte Komödie zu machen oder eine „Seht-mal-was-wir-durchmachen-Story“, die man beim Frauenabend oder am Stammtisch weitererzählt. Aber nach 66 Drehbuchentwürfen, 1224 Storyboards und 12 Jahren Entwicklung ist „Blue Valentine“ auf das reduziert, was eine Trennung nun einmal ist: sehr kalt, ganz leise und furchtbar bedrückend. Viel Schwarz und Blau ist dort zwischen Ryan Gosling und Michelle Williams zu sehen. Musik gibt es kaum. Das „Zukunftszimmer“, in das sich die beiden im Motel einquartieren, strahlt bedeutungsschwangere Kälte aus. Das ist kein Film, der viel Wert darauf legt, gemütlich zu wirken.

Schon die Einführungsszene ist voller unangenehmer Ruhe – Frankie, die etwa 5-jährige Tochter der beiden sucht vergeblich ihren Hund. Dean nimmt sie auf den Arm, schaut im Garten nach und muss ratlos vorschlagen, einfach zu warten, bis der Hund wieder kommt. Natürlich kommt der Hund nicht wieder, sondern wird kurz darauf von Cindy am Straßenrand gefunden. Von da an wird alles nur noch unschöner, bis es am Ende des Films wieder die kleine Frankie ist, die in einer herzzerbrechenden Szene verzweifelt versucht, ihre Familie zusammenzuhalten. Doch die gemeinsame Tochter nimmt nur einen sehr kleinen Teil im Bewusstsein der beiden Hauptfiguren ein. Zu sehr haben sie mit sich selbst zu kämpfen und schieben die Frage nach der Schuld hin und her. „Blue Valentine“ macht dabei den gleichen Fehler wie viele andere Filme des Genres und schiebt die Schuld rigoros dem Mann zu. Cindy indes kann nicht einmal genau sagen, warum sie ihren Mann so plötzlich verabscheut. Ja, sie räumt ein, dass er nichts aus sich macht und zu viel trinkt, aber ihre tatsächlichen Beweggründe bleiben verborgen. Vielleicht hat sie auch ganz einfach keine; vielleicht hat sie einfach das Interesse verloren, so wie man nach ein paar Jahren Ehe eben das Interesse verlieren kann.

Dean: „Sag' mir, wie ich werden soll! Ich mach' es!“

Dass sich „Blue Valentine“ nach 12 Jahren Entwicklungszeit nicht tiefsinniger präsentiert, ist Fluch und Segen gleichermaßen – Interpretieren, Stellung beziehen und Beantworten ist nicht das, was Derek Cianfrance im Sinn hatte. Er wollte nur eine Trennung darstellen, so wie sie jeden Tag vorkommt. Aber reicht das aus? Nichts Innovatives findet sich in dem nach einem Tom Waits-Album benannten Film, nichts Erbauliches, oder auch nur Hoffnungsvolles. Es ist eine Geschichte, wie das Leben sie jeden Tag schreibt – und tatsächlich basiert „Blue Valentine“ auf den Erfahrungen von Regisseur und Drehbuchautor Derek Cianfrance. Der Hauptgrund, weshalb man die knapp zwei Stunden investieren sollte, ist letztlich aber nicht die Story, sondern die packende Darstellung nicht nur des Plots sondern auch der beiden Hauptdarsteller. Ein weiterer Grund ist die niedliche Tochter der beiden, gespielt von Faith Wladyka. Sie hat sich für die Rolle die Haare schneiden lassen müssen und 33 Zentimeter an eine Organisation gespendet, die gemeinnützig Perücken für Kinder herstellt, die ihre Haare durch medikamentöse Behandlungen verloren haben.

Ryan Gosling ist ein erstaunlich vielseitiger Schauspieler; das weiß der geneigte Zuschauer nicht erst seit gestern. Seine letzte Beziehungsgeschichte hatte er 2007 mit dem gleichermaßen verstörenden wie amüsanten „Lars und die Frauen“, in der er als introvertierter Einzelgänger mit einer aufblasbaren Puppe „anbandelt“ und sie wie einen richtigen Menschen behandelt – zur Verwirrung aller Mitmenschen. Ein Jahr zuvor hatte er sich eine Oscar-Nominierung mit seiner Darstellung des cracksüchtigen Lehrers Dan Dunne in „Half Nelson“ gesichert, verlor die Trophäe aber an Forest Whitacker, der sie für „Der letzte König von Schottland“ erhielt. Goslings Co-Star Michelle Williams verlor den Oscar für die beste Hauptdarstellerin in „Blue Valentine“ an Natalie Portman, die die Jury mit ihrer Darbietung in „Black Swan“ überzeugte. Für Gosling kam der große Durchbruch 2001 mit der Darstellung eines jüdischen Nazis in „Inside A Skinhead“. Seitdem hat er immer wieder auf gewinnträchtige Mainstream-Produktionen verzichtet und widmete sich lieber anspruchsvollen Rollen in kleineren Produktionen wie „Wie ein einziger Tag“, der ihn praktisch über Nacht zu einem der gefragtesten Jungschauspieler machte. Am 26. Januar kommt „Drive“ in die Kinos, in der Gosling einen Fluchtwagenfahrer spielt, der sich gegen die Mafia behaupten muss – und natürlich ist auch das ein Film, der keinen Actionstar brauchte, sondern jemanden, der sein Handwerk versteht und feinfühlig in einem Drama spielen kann, das sich als brutaler Actionstreifen getarnt hat. Demnächst werden Derek Cianfrance und Ryan Gosling auch erneut zusammen arbeiten – „The Place Beyond The Pines“ mit Bradley Cooper, Ray Liotta und Eva Mendes kommt wahrscheinlich Anfang 2013 in die Kinos.

„Blue Valentine“ ist ab 9. Dezember auf DVD und Blu-ray erhältlich.

Ganz leise und sehr kalt - Blue Valentine