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Die SMS - In Erinnerung an einen überholten Kameraden

von Portrait von Kathrin Stegherr Kathrin Stegherr
Veröffentlicht am 10. November 2015

Ich habe einen Sitzplatz in der Bahn ergattert und hole reflexartig mein Smartphone aus der Jackentasche. Mein Blick schweift über das Display mit der freudigen Erwartung das kleine runde Sprechblasen-Logo zu erspähen, das mich wieder in Verbindung mit meinem sozialen Umfeld bringt. Statt des WhatsApp Logos ziert jedoch ein anderes, ungewohntes Textblasen-Icon den oberen Bildschirmrand. Es dauert einige Sekunden bis mir wieder bewusst wird, dass es immer noch Handy-Besitzer gibt, die über SMS kommunizieren. Immerhin sprechen auch die Zahlen gegen den alternden Vater der Kurznachricht: In Deutschland werden fast 17 mal so viele WhatsApp Nachrichten wie SMS pro Tag verschickt.

http://de.statista.com/infografik/3936/pro-tag-in-deutschland-verschickte-kurznachrichten/http://de.statista.com/infografik/3936/pro-tag-in-deutschland-verschickte-kurznachrichten/

Das ergibt auch Sinn. Wer will schon für jedes "lol" oder "thx" bis zu 19 Cent zahlen? Oder macht noch irgendjemand Gebrauch von einer SMS-Flat? In meinem vergleichsweise eingeschränkten Social-Media-Universum existieren nur zwei sinnvolle Gründe, weshalb jemand eine Nachricht per SMS und eben nicht wie gewöhnlich mittels WhatsApp versendet. Zum Einen kommt mir der Absender der eben eingetroffenen SMS in den Sinn. Eine Kommilitonin Mitte zwanzig, die noch nie viel von Technik gehalten hat und mit ihrem Nokia 3410 so zufrieden ist, wie meine Großmutter mit den Funktionen einer gebrauchten Mikrowelle wunschlos glücklich wäre. Es ist durchaus nachvollziehbar eine SMS zu versenden, wenn man ein Handy sein Eigen nennt, mit dem sich der Besitzer die Zeit lediglich mit dem Retrogame Snake oder, sollte sich die Schlange einmal zu oft in den Schwanz gebissen haben, mit Änderungen der Systemeinstellungen vertreiben kann. Die technischen Möglichkeiten eines solchen Geräts machen den Gebrauch einer Applikation wie WhatsApp schlussendlich nicht möglich. Period.

http://de.statista.com/infografik/3975/messenger-nutzung-in-deutschland/http://de.statista.com/infografik/3975/messenger-nutzung-in-deutschland/


Ein anderer, offensichtlicher Grund für das SMS-Senden ist der Boykott von WhatsApp, aufgrund der allseits beliebten Datenschutz-Diskussion. Gegenwärtig legt alle Welt (scheinbar) größten Wert auf Transparenz und Privatssphäre. Dennoch schafft es der Messenger WhatsApp in Deutschland, trotz miserabler Beurteilungen in Sachen Datenschutz, an die Spitze der Downloads. Hat das etwas mit Faulheit zu tun oder kann diese vermeintliche Doppelmoral unter dem Motto "Jetzt erst recht!" verbucht werden? Meiner Meinung nach ist letztere Variante doch sehr fragwürdig. Dagegen kommt mir die passive Nörgel-Mentalität der Deutschen schon bekannter vor. Wenn sich die Mehrheit der Social Media Nutzer über fehlende Sicherheit empört aber der Einfacheit halber untätig bleibt, kann man dem Unternehmen wirklich keinen Vorwurf machen. Mal abgesehen davon, dass sich die kostenpflichtige SMS, inzwischen mit Krückstock, wohl nicht mehr auf den Kurznachrichten-Thron katapultieren kann, ist sie auch im Verglech mit weiteren Messenger-Apps wahrscheinlich die sicherste Option zum Schutz vor Datenräubern.
Am Ende empfinde ich sogar ein positiv nostalgisches Gefühl, wie beim Öffnen eines von Hand geschriebenen Briefs, aus Zeiten, in denen Brieffreundschaften noch ein Ding war. Die SMS bleibt ein willkommener und vor allem konfliktfreier Gast auf meinem Smartphone, der, wenn es nach mir geht, auch uneingeladen gerne vorbeischneien darf.