Ein Leben ohne Cohen ist möglich, aber sinnlos.

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 7. September 2012

„Circa 19.30 Uhr“ ist als Beginn für das Leonard Cohen-Konzert gestern im Mönchengladbacher Hockeypark angegeben. Und der Gentleman aus Kanada lässt sich nicht bitten - denn er ist von der alten Schule, fängt pünktlich an und hört (fast) pünktlich auf, fast so, als wolle er vermeiden, dass er seinen Fans die Zeit stiehlt. Kurz nach 19.30 Uhr betritt Leonard Cohen die Bühne. Ein relativ kleiner Mann in einem eleganten schwarzen Anzug, einem schwarzen Hut und einem sanften, wissenden Lächeln. Nur letzteres verrät, dass er in zwei Wochen 78 Jahre alt wird. Cohen tritt an das Mikrofon. Und dann - fängt er an.

Es war ein kleiner Schock als er vor ein paar Jahren nach drei Liedern in Spanien auf der Bühne zusammenbrach. Es war dieser Moment, in dem ich beschlossen habe, dass man ein solches Ausnahmetalent wie Leonard Cohen live gesehen haben sollte. Und nachdem im Januar sein zwölftes Studioalbum „Old Ideas“ erschien und bewiesen war, dass Cohen nichts, aber auch gar nichts verlernt hatte, war es so weit.

Der Himmel strahlt blau über dem Hockeypark und unterstreicht die Trostlosigkeit der Location. Cohen lässt sich davon nicht beeindrucken. Es sind die Klassiker mit denen er anfängt: „Everybody Knows“, „I'm Your Man“, alle poetisch, schwer und von tiefer Melancholie durchzogen, cohenesk eben. Hinter seiner Stimme verschwindet die Scheußlichkeit des Hockeyparks. Der Sound ist bis zur Perfektion abgestimmt und selbst auf den hinteren Rängen meint man, der Mann im Anzug stünde direkt neben einem und flüstere einem die Weisheiten ins Ohr, die er in dem buddhistischen Kloster gelernt hat, in dem er jahrelang lebte. Die ausgefeilten, ewig wahren Worte Cohens hören sich an, als würde Gott persönlich sprechen, so perfekt ist der Klang.

Schon fast gnädig verschwindet nach ein paar Songs die Sonne in einem ausnehmend schönen Untergang. Aber den sieht nur, wer auf der Bühne steht - und wir gönnen es ihm. Als das Dunkel alles ausblendet, was über Cohen und die Bühne hinausgeht, scheint der Abend, so ungewöhnlich kühl er auch ist, perfekt werden zu können. Der schlichte Vorhang, der die Bühne rückwertig begrenzt, wird in verschiedenen Farben angestrahlt und hüllt alles in edles Rot, Violett oder Dunkelblau. Und als Cohen nach einer zwanzigminütigen Pause gegen halb zehn zum zweiten Teil des Konzert auf die Bühne kommt, dem Publikum dankt, dass nicht alle nach Hause gegangen sind, und zu „Tower Of Song“ anhebt, färbt sich alles golden und es kommt einem vor, als würden nicht die Scheinwerfer leuchten, sondern Cohen selbst. Natürlich kennt man als Fan jedes der Lieder und - man sieht es grade dem jüngeren Teil des Publikums an - mit jedem einzelnen erfüllt sich ein kleiner Wunsch. Cohens Stimme klingt genauso wie auf den CD's; da ist nichts zurechtgemischt oder gradegebogen, es ist nur ein alter Mann mit einem bewegten Leben, der eigentlich Dichter sein wollte und Musik nur nebenher machte, sich als Belletristik-Autor versuchte, bei der Kritik scheiterte und deshalb einfach Lyrik mit Musik vorträgt. Jede Strophe, die Cohen singt, scheint schon immer existiert zu haben, nur darauf wartend, dass jemand sie findet, der genug Talent hat, sie zu den anderen Strophen zu dichten und daraus geniale Stücke wie „So long, Marianne“ oder „Bird On A Wire“ zu machen.

Natürlich wartet Cohen bis zum Schluss mit „Hallelujah“, jenem Song, der von so vielen Künstlern gecovert wurde, und trotzdem von ihm selbst gesungen am besten wirkt. Selbst seinen Background-Sängerinnen hatte er vorher für zwei Songs das Mikro überlassen. Und dann, nach zweieinhalb Stunden, als Cohen die erste Strophe von „Hallelujah“ anstimmt, ist der Hockeypark in Mönchengladbach das erste Mal wirklich ruhig. Aus irgendeinem Grund wuselten bisher ständig Fans durch die Gegend, unterhielten sich oder tickerten mit ihren Handys herum. Das Publikum schien unkonzentriert, der Applaus war eher verhalten und im Takt geklatscht wurde auch nie lange. Hin und wieder flackerte in der Menge mal ein einsames Feuerzeug. Schwer tat sich Mönchengladbach mit Ehrerbietungen eines so großen Künstlers gegenüber. Erst am Schluss von „Hallelujah“ bekommt Cohen Standing Ovations. Und dann, nach mehreren Zugaben, bei denen Cohen dankbar lächelt, weil sich Mönchengladbach nun endlich begeistert zeigt, dankt er dem Ensemble, kniet sich mit gezogenem Hut ehrerbietend vor dem Publikum nieder, wünscht allen eine gute Nacht und verlässt hüpfend die Bühne. Und dann ist Leonard Cohen weg. Zurück lässt er ein Publikum, dessen demografische Zusammensetzung keinen Zweifel lässt: an ihm kommt man nicht vorbei. Ein Leben ohne Cohen ist möglich, aber sinnlos. Und wir danken dem Meister nicht nur für diesen Abend, sondern einfach für alles.