Warum die Cohen-Biografie von Anthony Reynolds nicht nur etwas für Fans ist.

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 20. Oktober 2011

Es ist 1949 oder vielleicht auch schon 1950, als in einem Park in Montreal der damals etwa 15-jährige Leonard Cohen auf einen spanischen Immigranten trifft. Dieser ist ungefähr 19 Jahre alt und hat eine Gitarre bei sich auf der er Flamenco spielt. Leonard ist begeistert und bittet den Spanier darum, ihm ein paar Griffe zu zeigen. Seine Bitte wird erfüllt; der Flamenco-Spieler zeigt ihm das Tremolo und ein paar Tonartwechsel. Zweimal kommt Leonard in den nächsten Tagen noch in dem Park, der direkt neben seinem Elternhaus liegt, um Unterricht bei dem jungen Mann zu nehmen. Als er seine vierte Stunde nehmen möchte, sucht er den Flamenco-Spieler vergebens. Er hatte sich umgebracht. Die drei Gitarrenstunden bei dem Unbekannten sind noch heute prägend – von ihm hat Leonard Cohen die ungewöhnliche Art, die Saiten anzuschlagen. Danach hat er nie wieder Gitarrenstunden genommen. Und Gesangsstunden auch nicht.

16 Jahre später wird Cohens zweiter Roman „Beautiful Losers“ von der Presse als „verbale Masturbation“ zerrissen. Auch sein erster Roman „The Favorite Game“ von 1963 hatte durchwachsene Kritiken erhalten. Es lag nicht daran, dass Cohen ein schlechter Autor war – es lag daran, dass er ein Lyriker war; kein Prosa-Schreiberling. Als er noch auf der Uni war, hatte sein Gedicht „Sparrows“ Cohens Literatur-Professor so beeindruckt, dass dieser ihn mit dem zusammengerollten Manuskript zum Ritter schlug. Noch bevor er einen Abschluss bekam, veröffentlichte er mit dessen Unterstützung den Gedichtband „Let Us Compare Mythologies“. Das war 1956 und die Auflage betrug 500 Stück. 50 Jahre später hat er mehr als sechs Millionen Platten verkauft, wurde in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen und ist nicht nur Dichter und Musiker, sondern auch zweifacher Vater, buddhistischer Mönch und ein Mann, der ein wahrhaft außergewöhnliches Leben geführt hat. Das ist auch der Untertitel der Biographie von Anthony Reynolds: „Leonard Cohen – Ein außergewöhnliches Leben“.

Neben den vielen Leuten, die mit Cohen zusammen gearbeitet oder zusammengelebt haben und die in der Biographie zu Wort kommen, hat Reynolds auch unzählige Anekdoten über Cohen ausgegraben. Wie er bei den Aufnahme-Sessions zu dem Album „Death Of A Ladies' Man“ vom betrunkenen Erfolgsproduzenten Phil Spector mit einer 45er bedroht wurde; wie er jede Form des Schreibens ausprobieren wollte und versuchte, unter Wasser mit seiner Schreibmaschine zu tippen (es glückte nicht); wie er auf Drängen seines Sohnes Adam in einer Folge „Miami Vice“ mitspielte und ein paar Jahre später an dessen Krankenbett Wache hielt, als er nach einem Verkehrsunfall vier Monate im Koma lag. Das alles und noch viel mehr erzählt Reynolds mit ruhigen, aber nicht cohenesken Worten; er versucht nicht, sich dem Alt-Meister sprachlich anzubiedern. Kopien gibt es schließlich schon mehr als genug. Über 2000 mal wurden seine Songs gecovert; eine ganze Generation von Lyrikern versuchte, ihm nachzueifern. Cohen selbst hatte natürlich auch Vorbilder: Bob Dylan und Hank Williams sind jene, die ihn beeinflusst haben.

Der Sohn eines Textil-Unternehmers war nicht schon immer die Legende, die er jetzt ist. Auf einem seiner ersten Konzerte 1967 wurde er von einem Produzenten entdeckt, der ihn als zweiten Bob Dylan vermarkten wollte. Cohen willigte nur ein ein, weil es mit der Schriftstellerei nicht so recht klappte und er die Musik als Möglichkeit sah, kurzfristig ein wenig Geld zu verdienen. Als sein Erfolg jedoch schon mit dem ersten Album sehr groß wurde, entschied er sich bald gegen die Literatur und widmete sich ganz der Musik. Zumindest auf den ersten Blick – seine Texte sind noch immer sehr lyrisch, gesungene Gedichte, so wie Cohen auch angefangen hatte – wenn er auf dem Campus seine Lyrik vortrug, begleitete er seine Zeilen mit einer Gitarre. „Unser Leben war Poesie“, sagt Cohen über jene Zeit, um das Jahr 1960 herum, als er mit Zahnschmerzen durch den Regen lief, Zuflucht in der griechischen Nationalbank fand und dies als Anlass nahm, seinen Wohnsitz nach Hydra zu verlegen. Dort traf er eine junge Schönheit namens Marianne. Auch die Idee zu „Bird On The Wire“ ereilte ihn auf Hydra – als die Insel mit einem Telefonnetz versorgt wurde. Autos, Leuchtreklamen und Plastikstühle dagegen sind auf Hydra noch immer verboten. Damals war Hydra Cohens Refugium voll süßem Wein, schöner Frauen und kreativem Input.

1973 kündigte Cohen seinen Rückzug aus dem Musikbusiness an und stellte sich im September desselben Jahres, obwohl eben erst sein Sohn geboren worden war, den israelischen Truppen im Jom-Kippur-Krieg zur Verfügung; jedoch nicht als Soldat, sondern als Entertainer für die Truppen. Er geriet auch tatsächlich unter Beschuss und nahm unter dem Eindruck des Krieges das Album „Field Commander Cohen“ auf. Aber davor und danach gibt es noch viel mehr zu berichten. Über Cohens Verhältnis zu Janis Joplin und Joni Mitchell etwa. Oder seine Zeit im Chelsea Hotel. Und das sind nur ein paar Geschichten, die Anthony Reynolds über den Dichter, Sänger, Schriftsteller und den Mönch Jikan („der Stille“) zu erzählen weiß.

 

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