„Flogging Molly“ rocken das E-Werk

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 30. November 2011

Es ist eine kalte Novembernacht über dem Rhein, aber im E-Werk ist es heiß wie in einer Schmiede und auch so laut. Das Bühnenlicht flutet rot über 2000 schwitzende, dampfende, stampfende Menschen. Die Bässe zerren an der Kleidung, es riecht nach Bier und Schweiß und irischen Rock'n'Roll. Flogging Molly-Frontmann Dave King schreit böse Worte ins Mikro, E-Gitarrist Dennis Casey springt schreddernd auf der Bühne herum und Robert Schmidt schindet das Banjo wie ein musikalischer Sadist. Das E-Werk scheint in leichten Nebel gehüllt zu sein; man glaubt, zu hören, wie Schweiß auf glühenden Stein tropft und verdampft. „I’m ugly and you know it, but you think that I’m a poet“, dröhnt es durch das über 100 Jahre alte Gebäude. Die Hände von Dave King fliegen über die Saiten der schmucklosen Akustik-Gitarre. Er singt die letzten Zeilen, greift sich seine schwarze Dose billiges Discounter-Bier, prostet der Menge zu; die prostet zurück und zusammen trinken sie auf das arbeitende Volk und wie beschissen das Leben manchmal ist und warum es sich trotzdem lohnt.

„I spent 27 years in this factory and the bossman says you're not what we need“

Als die Wirtschaftskrise viele Menschen arbeitslos und manche arm machte, lebte Dave King zusammen mit seiner Frau Bridget Regan in Detroit, jener Stadt die seit dem Niedergang der glorreichen amerikanischen Automobilindustrie als heruntergekommenes Pflaster gilt, als giftiges Symbol einer besseren Vergangenheit. Im Keller seines Hauses saß er mit seiner siebenköpfigen Band und wusste, dass er all das einfangen musste, das ganze Elend jener Zeit, nicht nur in Detroit, sondern im ganzen Land. Das Album „Speed Of Darkness“ ist das Ergebnis seiner Mühen. „Es ist nicht das Album, das wir vorhatten zu schreiben, sondern es wurde das Album, das wir schreiben mussten“, resümiert er später. Es ist ein ausgereiftes Album voller Zorn und Kraft und Hoffnung; gegen das Establishment anschreiend, die Hände zu Fäusten geballt rebelliert es gegen alles was schief läuft in jener modernen Welt, die immer weniger zu tun hat mit dem Irland, das Heinrich Böll einst in seinem Irischen Tagebuch beschrieb. Dave King hatte Irland schon vor vielen Jahren verlassen und war nach Los Angeles gezogen. Aber um ein Zeichen zu setzen, zog er vor ein paar Jahren nach Detroit. Seit den 50ern hat sich die Bevölkerungszahl der Stadt nicht nur halbiert, sondern geviertelt. Dave King's Frau Bridget Regan ist ein Kind der Stadt und kann sprichwörtlich ein Lied vom Verfall singen. Aber Aufgeben kam für Dave King nie in Frage. Gegründet hatte sich die Band 1997 in Molly Malones Pub in Kalifornien. Seitdem war es ein langsamer aber stetiger Aufstieg, heraus aus den kleinen Pubs und Bars an der Westküste, direkt rein in die Fußstapfen der Pogues, Dubliners und letztlich auch von Johnny Cash und The Clash. Von jenem harten Weg erzählt auch der Opening Song von AC/DC – It's A Long Way To The Top (If You Wanna Rock'n'Roll). Aber auch auf privater Ebene hat Dave King einen harten Weg hinter sich – als er Dublin verließ, lebte er acht Jahre lang in den USA, ohne eine Arbeitserlaubnis zu besitzen. In diesen acht Jahren konnte er seine Familie in Irland nicht besuchen, weil er befürchtete, die Einwanderungsgesetze würden ihm eine Rückkehr unmöglich machen. Von seinen Jahren im „Exil“ handeln viele der frühen Songs von „Flogging Molly“.

„I've been down in this world, down and almost broken, like thousands of people, left standing in their shoe“

Das Konzert im Kölner E-Werk war nicht ganz ausverkauft. In den USA sind „Flogging Molly“ einer der erfolgreichsten Independent-Acts aller Zeiten, in Irland dagegen kennt man sie praktisch gar nicht. Aber das stört Dave King, der am 11. Dezember seinen 50sten Geburtstag feiert, überhaupt nicht. Er macht das, was er immer machen wollte, seit seine Mutter ihm im Fernsehen einen Auftritt von David Bowie gezeigt hatte. Mit „Speed Of Darkness“ erschien Ende Mai das fünfte Album der Band. Es ist eine Hymne an die Jugend, aber auch an die Veränderung – und nicht zuletzt auch an die Fähigkeit, sich von Rückschlägen zu erholen und trotz großer Anstrengung weiterzumachen. Aber an Kampfgeist mangelte es den Songs von „Flogging Molly“ noch nie. Die wenigen ruhigeren Stücke, die die Band bisher veröffentlichte, wurden ebenso große Erfolge wie die stampfenden Rocknummern. Das Album „Float“ von 2008 stieg bis auf Platz 4 der US Billboard 200 – und, wie schon das Vorgänger-Album auf Platz 1 der US Independent Charts. Abgesehen von U2 war das die höchste Chart-Platzierung eines irischen Künstlers seit acht Jahren. „Speed Of Darkness“ stieg in Deutschland auf Platz 27 und in den USA auf Platz 9. Das sind beeindruckende Zahlen für eine amerikanische Punkrock-Band, die irische Folklore spielt. MTV kann mit Flogging Molly trotzdem nicht viel anfangen. Und anders als in den USA laufen ihre Songs in Deutschland auch nicht im Radio. Stattdessen sind und bleiben die sieben Musiker ein Live-Act, jemand den man gesehen haben muss, wenn man meint, Rock zu mögen – und vielleicht sogar jemand, den man gesehen haben muss, wenn man meint, Musik zu mögen.