Über Grenzen und Gewalt - "Der Junge Siyar"

von Portrait von Andreas Broede Andreas Broede
Veröffentlicht am 9. September 2014

Für seine Kurzfilme, insbesondere „Bawke“ aus dem Jahr 2005, wurde Hisham Zaman vielfach ausgezeichnet. Nun legt der kurdisch-norwegische Regisseur seinen ersten Film in Spielfilmlänge vor. Am 11. September kommt „Der Junge Siyar“ auch in die deutschen Kinos.

Über Grenzen und Gewalt - "Der Junge Siyar"

Siyar (Taher Abdullah Taher) ist Kurde, er lebt im Norden Iraks. Er ist sechzehn – und er spielt gerne Fußball. Sein Vater ist gestorben, Siyar nun das verantwortliche Familienoberhaupt. Und so wird er vor die Entscheidung gestellt, seine ältere Schwester zu verheiraten. Nermin (Baher Özen) aber liebt heimlich Azad (hier tritt der Regisseur selbst vor die Kamera) und flüchtet vor der Zwangsehe nach Europa – für die Familie eine große Schmach, die es zu rächen gilt.

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Um die Schwester zu töten und so die Familienehre wiederherzustellen, macht sich Siyar auf die Reise. Über die Türkei, Griechenland und Deutschland gelangt er nach Norwegen, in dessen verschneiter Landschaft seine Schwester Nermin eine neue Heimat gefunden hat – ohne Schleier und ohne Restriktionen.

Auf seinem langen Weg nach Skandinavien bleibt Siyar nicht alleine. In Istanbul lernt er Evin (Suzan Ilir) kennen, ein Straßenmädchen, das sich als Junge verkleidet durchs Leben schlägt. Erst beklaut sie ihn, dann aber entwickelt sich eine zarte, aber umso intensivere Beziehung zwischen den beiden. Gemeinsam besuchen die beiden Evins Vater (Ahmet Zirek) in Berlin.

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In der vollkommenen Dunkelheit im klaustrophobischen Inneren eines Tanklastwagens beginnt Siyars Reise, in der Weite gleißenden Schnees Norwegens endet sie. Zwischen dem Schwarz und Weiß liegt das Grau der Illegalität, das die beiden Reisenden teilen mit Flüchtlingen überall in Europa. Es ist das Leben im Provisorium, in der dreckigen Peripherie, im Untergrund: was für ein Sinnbild ist die Szene zu Beginn des Film, als Siyar aus der Weite der irakischen Landschaft in das Schwarz des Tanklastwagens hinabsteigt, sich im Wortsinn unsichtbar macht, als eine Art Killermaschine, in der alles Menschliche, alles Emotionelle tief verpackt und fest eingewickelt in der Folie verborgen wird.

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Der Zuschauer nimmt die Reise aus der Sicht Siyars wahr, er erhält Einblicke in die Innenwelt des Protagonisten durch Rückblenden und Traumsequenzen – und dennoch bleibt eine große Distanz zur Figur, die oft spröde, verschlossen, unbeholfen und einsilbig wirkt. Für ihre Rollen wurden sowohl Suzan Ilir als auch Hauptdarsteller Taher Abdullah Taher, der für den Film zum ersten Mal vor der Kamera standen hat, ausgezeichnet.

Der deutsche Filmtitel macht es deutlicher als der internationale Titel „Before Snowfall“: „Der Junge Siyar“ ist ein Film über den Reifeprozess eines jungen Mannes, der am Anfang des Films noch ein halbes Kind ist, das vom Fußballspiel hinweggerufen wird, um die Entscheidung über das künftige Leben seiner Schwester zu treffen und in der Folge immer wieder vor folgenschweren Entscheidungen steht.

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Hisham Zaman gelingt ein vielschichtiges Roadmovie, das Landesgrenzen und Grenzen des Denkens gleichermassen zu überschreiten sucht. Sein Langfilm-Debut wirft ein spannendes und aufschlussreiches Schlaglicht auf eine Region, die heute gerade angesichts der erschreckenden politischen Entwicklungen mehr denn je der Aufmerksamkeit bedarf.

„Der Junge Siyar“: 2013, ca. 100 Minuten, Produktion: Norwegen/Deutschland/Irak, Buch: Kjell Ola Dahl, Hisham Zaman, Regie: Hisham Zaman, Darsteller: Taher Abdullah Taher, Suzan Ilir, Bahar Özen, Nazmi Kirik u.a.

4 von 5 Sternen