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Kreator in Österreich
Eins steht fest: Es gibt nicht besonders viele Bands mit einer so langen und mannigfaltigen Geschichte wie Kreator, denen es auf ähnlich faszinierende Weise immer wieder gelingt, sich künstlerisch in Frage zu stellen, herauszufordern, neue Horizonte zu erforschen - und darüber dann zu hochexplosiven, absolut relevanten Ergebnissen zu kommen. Bestes Beispiel: Das am 27. Januar 2017 erschienene neue Album »Gods Of Violence«. Mit der insgesamt 14. Platte ist den Essener Thrashern ein auch für diese Karriere außergewöhnlich vitales und besonderes Werk gelungen, das seine unbändige Kraft aus dem wild schlagenden Herzen einer der besten und vielseitigsten Metal-Bands aller Zeiten schöpft. »Gods Of Violence« lebt, atmet und pulsiert!
Wie häufig in solchen Fällen, begann auch hier alles mit einer guten Idee: Kreator-Mastermind Mille Petrozza hatte mit großer Sorge die aktuelle Nachrichtenlage studiert. Insbesondere die Terroranschläge von Paris ließen in ihm die Erkenntnis reifen, dass es eine Kontinuität menschlicher Bösartigkeit gibt, die von der Antike bis in unsere Tage reicht. Eine Überlegung, die wiederum die Vorlage zu einem Gedankenspiel lieferte, für das Petrozza aktuelle Entwicklungen mit Erzählungen aus der griechischen Mythologie verzahnte. Daraus entstand schließlich der Song 'Gods Of Violence', dem das Album nun konsequenterweise seinen Titel verdankt. „Religion hat aktuell wieder eine Bedeutung erlangt, die ich vor 20 Jahren nicht für möglich gehalten hätte“, sagt Mille. „Da findet eine wahnsinnig gefährliche Polarisierung statt, die dazu führt, dass wir alle einander immer mehr hassen. Darüber wollte ich schreiben.“
Damit war ein Grundgedanke des Albums gefunden, der zum Beispiel auch mit dem Brachialbrett 'World War Now' weitergesponnen wird. Der Song geht von der Beobachtung aus, dass wir uns mitten in einer Art Dritter Weltkrieg befinden. Allerdings nicht in der Weise, wie lange befürchtet: Atombombe, aus und weg. „Heute haben wir es mit einem Krieg zu tun, in dem die Waffen auf allen Seiten Hass und religiöse Verblendung heißen“, so Petrozza. Es sei ein vertikaler Krieg, der von den Medien ebenso geführt werde wie von Fanatikern jeglicher Provenienz.
Bereits das Intro zum Opener 'Apocalypticon' verleiht dem Grundgedanken des Albums den passenden bombastischen Rahmen: Marschtrommeln und ein wagnerianischer Chor eröffnen ein außergewöhnliches Metal-Hammerwerk, das brachiale Passagen gegen intime setzt und sich durch einen ökonomisch vorbildlichen Umgang mit Dynamik auszeichnet. 'Death Becomes My Light', das eine Nahtoderfahrung behandelnde große Epos zum Schluss, trägt dann über beinahe acht Minuten - und ist damit keine Sekunde zu lang: »Gods Of Violence« vergeht wie im Rausch.
Die Fähigkeit, derart komplexe Gedankenstränge, wie sie für »Gods Of Violence« typisch sind, zu einer plakativen, universell verständlichen Aussage zu verdichten, die bestens mit dem Zeichensystem des Metal korrespondiert, war stets ein typisches Merkmal eines Mannes, dessen popkulturelles Universum von Hannah Arendt über Pink Floyd und Tocotronic bis zu SLAYER reicht. Mille Petrozza ist in der Metal-Szene groß geworden, er ist in ihr zu Hause. Trotzdem ist und war er stets offen für Inspirationen aus sämtlichen anderen Bereichen. Weshalb seine Texte auch auf diesem Album keine platten Genreschablonen sind, sondern kluge Zeitgeistdiagnostik mit Humor und einem ausgeprägten Hang zu überhöhten Klischees verbinden: Einer der besten Songs auf »Gods Of Violence« heißt tatsächlich 'Satan Is Real'.
Drei Jahre hat die Band - neben Petrozza noch Sami Yli-Sirniö (Gitarre), Christian „Speesy“ Giesler (Bass) sowie Jürgen „Ventor“ Reil am Schlagzeug - insgesamt an »Gods Of Violence« gearbeitet. Nachdem Petrozza die elf Songs im Winter 2015 vorproduziert hatte, begaben sich Kreator nach Schweden, wo das Album abermals mit der bereits bewährten Metal-Produzentenlegende Jens Bogren in dessen Fascination Street Studios produziert wurde. So entstand ein Werk, das die Grundkoordinaten des Kreator-Kosmos’ nochmal ganz neu verortet, auf dem Mille auch mal Deutsch singt und mit dem Indie-Schnulzensänger Dagobert ein unerwarteter Gast zum Einsatz kommt. Außerdem half die italienische Death Metal-Band Fleshgod Apocalypse bei den orchestralen Parts von insgesamt vier Songs und die tatsächlich erst zwölfjährige Musikerin Tekla-Li Wadensten übernahm die Harfe bei »Gods Of Violence«.
Wenngleich also auch hier wieder in Teilen unbekanntes Terrain beschritten wird, ist »Gods Of Violence« doch in einer Hinsicht absolut typisch für eine Karriere, in der immer wieder Wagnisse und musikalische Risiken eingegangen wurden: Diskontinuität ist bei Kreator das Hauptkontinuum. 1982 als reine Schülerband gegründet, blicken Petrozza und Jürgen „Ventor“ Reil - neben Mille das einzige verbliebene Originalmitglied - heute auf eine lange und bewegte Historie zurück. „Für mich beginnt die eigentliche KREATOR-Geschichte erst 1985“, sagt Petrozza lachend. „Wir haben zwar bereits drei Jahre vorher angefangen miteinander Musik zu machen, aber bis 1985 hatten wir vielleicht zwei oder drei Auftritte. Unser Set bestand damals aus fünf eigenen Songs und fünf Heavy Metal-Coverversionen, es gab häufige Line-up-Wechsel, bis »Endless Pain« befanden wir uns noch in der Findungsphase.“
Erst mit jenem Debütalbum wurde überhaupt auch der Name Kreator etabliert, zuvor hatten Mille und Co. sich noch Tormentor genannt. Trotzdem waren die frühen Jahre prägend: „Keiner von uns konnte damals sein Instrument vernünftig spielen“, sagt Petrozza. „Wir haben uns gegenseitig alles beigebracht und auch wenn wir in der Tat eine sehr, sehr holprige Schülerband waren - solche Erlebnisse verbinden natürlich.“ Jene Findungsphase war der Grundstock für eine einzigartige Karriere, in der Kreator analog zu den Big Four des kalifornischen Thrash Metal - Metallica, Slayer, Anthrax, Megadeth - gemeinsam mit Sodom und Destruction stets als Teil einer Art Big Three des deutschen Thrash Metal beschrieben wurden und noch werden.
Zum konstituierenden Element des Kreator-Sounds wurde dann vor allem das dritte Album »Terrible Certainty«, auf dem die für das Klangbild dieser Band wesentlichen Merkmale erstmals in Gänze ausformuliert wurden: Power-Riffing und aggressives Shouting treffen bei Kreator stets auf ein für das Genre nicht selbstverständliches Gespür für vielschichtige Arrangements und hochmemorables Songwriting - Refrains können Kreator besser als die meisten Mitbewerber. Eine Fähigkeit, der die Band nicht zuletzt auch ihre internationale Stellung verdankt: Über die Jahre haben Kreator weltweit über zwei Millionen Alben verkauft und unzählige Tourneen in allen denkbaren Ländern gespielt.
Obschon grundsätzlich im Thrash beheimatet, haben sie die Grenzen des Genres thematisch und musikalisch immer wieder gesprengt. Die allgemeine stilistische und weltanschauliche Offenheit, die insbesondere Mille auszeichnet, findet ihren Niederschlag, wie bereits oben erwähnt, in den Texten: Selbstverständlich beherrschen Kreator die genreübliche Thematik aus Satanismus, Apokalypse und dergleichen mehr. Alleine die Songtitel auf »Gods Of Violence« sprechen diesbezüglich abermals Bände.
Das Alleinstellungsmerkmal des Texters Mille Petrozza besteht indes aus einem eher spielerischen Umgang mit diesen quasi gesetzten Themen - und in ihrer maximalen Ausdehnung und Überhöhung: „Mir ist es sehr wichtig, die Texte als eine zusätzliche Dimension zu betrachten“, sagt er. Und dazu gehört es dann eben auch, Themen zu bearbeiten, die der eigenen Lebensrealität ebenso entsprechen wie der da draußen in der Welt. „Ich bin definitiv nicht mehr in meiner Sturm- und Drangphase und einige Dinge, über die ich früher gesungen hätte, haben absolut nichts mehr mit meinem heutigen Leben zu tun“, sagt er. „Natürlich kann man sein Leben ohne Probleme auch im etwas gesetzteren Alter in einer Metal-Band verbringen. Dieser Prozess muss aber so würdevoll geschehen, dass man nicht zu einer Parodie verkommt - und das ist ein schmaler Grat.“
Kreator sind sich der Gefahr bewusst, die eine so lange Karriere wie die ihre mit sich bringt. Sich immer wieder in Frage zu stellen, Entwicklungen voranzutreiben, nicht im Gestern zu verharren - aus diesen Fähigkeiten beziehen sie ihre ungebrochene Relevanz. Dass all diese Dinge gewährleistet bleiben, spricht auch für den Kameradschaftsgeist, der diese Musiker verbindet. In der Außendarstellung mag Mille als Mastermind und Frontmann präsenter sein als die anderen. Aber „KREATOR sind ganz klar eine Band“, wie er sagt. Und zwar eine, in der jeder seine klar definierten Aufgaben hat: Wahnsinnsbassist „Speesy“ Giesler ist auch eine große Hilfe in organisatorischen Fragen, „Ventor“ Reil besorgt den Beat und alle möglichen anderen Sachen - und der seit 2001 bei Kreator spielende Gitarrist Sami Yli-Sirniö ist „das musikalische Genie“, wie Mille sagt. „Während wir anderen Autodidakten sind, ist Sami der totale Musiker, der schon Konzerte im Opernhaus gespielt hat.“
Grundsätzlich ist es also so: Mille denkt sich den Rahmen aus, den die anderen drei dann mit ihren Ideen und Charakteren füllen. „Eine Band ist ein Organismus“, sagt er. „Ich bin ein sehr großer Fan davon, so lange wie möglich in einem stabilen Line-up zu spielen. Man muss ehrlich miteinander sein, darf Auseinandersetzungen nicht scheuen und sollte das eigene Ego auch mal zur Seite schieben. Wir sind ein Team.“ Den aus diesen Überlegungen hervorgehenden Freundschaftsbegriff bringen Kreator auf »Gods Of Violence« gemeinsam mit Boris Pfeifer von In Extremo am Dudelsack mit 'Hail To The Hordes' auf den Punkt - Milles Ode an die Freundschaft, wenn man so will. „Das ist ein Song gegen die Oberflächlichkeit“, sagt er. „Es geht darum, dass man auch in schlechten Zeiten zueinandersteht.“
Die Treue zum Ruhrgebiet will Kosmopolit Petrozza indes nicht als lokalpatriotisches Bekenntnis verstanden wissen. Trotzdem ist Essen natürlich immer noch das Zentrum des Kreator-Universums: Hier kommen sie zusammen, hier werden die Geschäfte betreut. Nach wie vor kümmert sich Mille eigenhändig um sämtliche Belange der Band: „Ich bin ein kleiner Kontrollfreak“, sagt er lachend. „Aber im Ernst: Ich mache das gerne, es macht mir nichts aus. Warum sollte ich auch so ein bescheuertes Rockmusikerleben führen, wo ich bis zwölf Uhr schlafe und sonst gar nichts mehr mache? Ich arbeite gerne und bin sehr aktiv. Beziehungsweise: Für mich ist das eigentlich gar keine Arbeit. Ich bringe das Ding nach vorne und fertig.“
Das Ding nach vorne bringen: Darum geht es mindestens seit 1985. Mit »Gods Of Violence« ist den deutschen Thrash Metal-Ikonen KREATOR diesbezüglich ein gewaltiger Sprung gelungen.
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