Günther Jauch talkt sich und Natascha Kampusch in bittere Verlegenheit

von Portrait von Karoline Sielski Karoline Sielski
Veröffentlicht am 18. Februar 2013

Das junge Entführungsopfer Natascha Kampusch war am Sonntagabend zu Gast bei Günther Jauchs ARD-Talkshow. Die Österreicherin sollte von ihren Erlebnissen sprechen und von ihrem jetzigen Leben - wie sie das Leid überwand. Besonders wohl fühlte sich Kampusch nicht in ihrer Haut. Wieso wurde die acht Jahre in Gefangenschaft ihres Entfühers Lebende zusehends verlegener und verlegener? Was war mit Jauch los?

Zum einen zeigte die ARD unverblümt die Vergewaltigungsszenen. Nicht nur das Publikum im Studio fragte sich, ob Natascha Kampusch eingewilligt hatte, diese "3096 Tage"-Film-Szenen genau jetzt zu zeigen. Abschreckung mit schonungslosen Mitteln, ist es das, was damit bezweckt werden sollte? Unerbittlich das Thema aufrütteln und zur Sprache bringen, damit das Thema mit aller Härte trifft? Günther Jauch fragte seinen Gast nach dem Einspieler - ihm waren die ausgestrahlten Szenen sichtlich unangenehm. Natascha Kampusch wollte es scheinbar so - einmal öffentlich alles zeigen, um endlich mit dem Thema abzuschließen. Radikal und schonungslos. Musste sie das wirklich tun? Für sich, als therapeutische Maßnahme? Anscheinend schon - denn aus ihrem Buch "3096 Tage" wurde nun ein Film. Und Szenen aus eben diesem wurden in der Jauch Sendung gezeigt.

Natascha Kampusch sah trotzdem aus, als hätte man sie in der Magengegend getroffen; irgendwie war ihr nach der Ausstrahlung anscheinend doch nicht so wohl. Günther Jauch stellte ihr trotzdem seine Fragen, immer weiter. Wenn er mutmaßlich mutig ein Tabuthema zusammen mit Kampusch ansprechen wollte - so offen, wie es nur geht, um die Schweigemauer von Vergewaltigungthemen zu brechen - wieso schaute er dann ständig nach unten, während er Kampusch die Fragen stellte? War ihm die Fragestellung letztendlich doch zu unangenehm? Brachten Gast und Talkmaster sich gegenseitig in Verlegenheit dadurch, dass sie sich offensichtlich nicht so wohl in ihrer Haut fühlten, wie erhofft?

Das hätte man sich alles früher überlegen sollen. Wäre das Tabuthema so inszeniert worden, das es in der Jauch Sendung kein Tabuthema ist - so, dass die Kampusch sich wohl fühlt, genau wie Jauch, und offen über ihre Situation reden will - dann wäre es ein gutes Gespräch. Jauch hätte in dem Fall gut reagiert; mit Bravour die Situation gemeistert.

Was stattdessen zurück bleibt, ist ein peinlich bitteres Gefühl. Es war nur Halbes, aber nix Ganzes. "3096 Tage", der Film, will sich scheinbar etwas trauen, Grenzen aufmachen, enttabuisieren. Wenn es doch nur in der Sendung gelungen wäre. Leider entgleiste das Thema durch die Aufmachung des Interviews in Grenzüberschreitung; Peinlichkeiten. Natascha Kampusch hatte zwar in Vergangenheit etliche Male überraschend offen und ehrlich über das Thema gesprochen, was auch diesmal zu erwarten wäre. Schließlich hatte sie selbst das Buch über ihre Gefangenschaft geschrieben - Redewille ist definitiv grundsätzlich bei ihr vorhanden. Der Film treibt den Redewillen noch weiter.

Wenn da nur nicht die mutuale Verlegenheit wäre. Jauch und Kampusch kamen nicht mehr heraus, aus dem Teufelskreis. Hätten sie das Ganze doch nur mehr durchdacht. Aber sie sind eben Menschen und reagierten menschlich auf die Szenen. So enttabuisiert ist das Thema offensichtlich noch nicht, auch bei Kampusch und Jauch nicht. Wenn in der Sendung ein Kein-Tabu-Signal an die Öffentlichkeit gerichtet werden sollte, dann ist es gestern fehl geschlagen. Man wird sehen, wie der Gesamtfilm auf die Öffentlichkeit wirken wird. Enttabuisierung ist grundsätzlich schon mal nicht verkehrt - aber auf die Handhabe kommt es an.