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Charlie Kaufman's Kickstarter Projekt ANOMALISA startet heute in den deutschen Kinos

von Portrait von Kathrin Stegherr Kathrin Stegherr
Veröffentlicht am 21. Januar 2016

Nach dem Regiedebut "Synecdoche, New York" 2008 wagt sich Charlie Kaufmann mit Verstärkung von Duke Johnson nun sieben Jahre später an sein Zweitwerk "Anomalisa". Der Film basiert auf dem von Kaufmann 2005 geschriebenen gleichnamigen Theaterstück, welches er unter dem Pseudonym Francis Fregoli veröffentlichte. Es kann sich also um keinen Zufall handeln, wenn der Protagonist im Hotel Fregoli eincheckt. Die mehr als eindeutige Reminiszenz auf das Fregoli-Syndrom, dessen wahnhaften Symptome durchaus mit dem Protagonist Michael Stone in Verbindung gebracht werden müssen, schließt zuletzt den Kreis der symbolischen Zusammenhänge und eröffnet gleichzeitig das Tor zur Entschlüsselung des Kaufman'schen Knetmaskenkosmos.

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Michael Stone, ein Familienvater mittleren Alters, sitzt im Flugzeug nach Cincinatti, die Stadt mit dem berühmten Chili. Apathisch, leidenschaftslos und engstirnig versucht er jeglichen Kontakt mit seinem Umfeld zu vermeiden, weil Michael Stone gezeichnet ist vom Frust über die täglichen Banalitäten. Irgendwie sind das auch alles nur leere Phrasen, die unkontrolliert auf ihn einprasseln.
Der Grund seiner Reise ist eine Motivationsrede, die Stone als Autor eines Bestseller-Ratgebers vor einem großen Publikum halten soll. Sehr motiviert scheint er noch am Vorabend seiner Rede nicht zu sein. Nervös und umtrieben meldet er sich, im Hotelzimmer angekommen, bei einer alten und augenscheinlich bedeutungsvollen Flamme. Das folgende Treffen in der Hotelbar ordnet sich in eine Reihe von tristen Begebenheiten ein, die erst mit dem Erscheinen der schüchternen und selbstzweifelnden Lisa schließlich ein Ende nehmen. Michael ist fasziniert von Lisa, die ganz plötzlich in sein Leben tritt und sich, im Vergleich zur restlichen angepassten homogenen Menschenmasse, einfach nur wundervoll anormal gibt. Als er zusammen mit seiner neugewonnenen großen Liebe am nächsten Morgen gemeinsame Zukunftspläne schmiedet, ist Michael bereit sein komplettes Leben samt Frau und Kind bedingungslos hinter sich zu lassen. Doch so schnell wie die großen Gefühle gekommen sind, so schnell verfliegt der Zauber der Zweisamkeit und aus Anomalisa wird ernüchternderweise einfach nur eine nervend normale Lisa.

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Mit einer kühlen Farbgebung erzählt "Anomalisa" über fehlende Individualität, unzulängliche menschliche Wahrnehmung und die Flüchtigkeit von Liebe. Verschlüsselt, aber auf keinen Fall unüberbrückbar, gliedern sich die Themen in den kurzen Ausschnitt des Lebens von Michael Stone ein. In Verbindung mit der thematischen Suche nach Menschlichkeit schaffen die animierten Knetfiguren eine differenzierte Perspektive und wirken durch den Kontrast umso menschlicher. Nicht umsonst schreibt das Esquire-Magazin: "The most human movie of the year. And it doesn't star a single human." Herausragend ist in diesem Zusammenhang vor allem die Sex-Szene zwischen Michael und Lisa, die so selbstverständlich und natürlich einfach nur passiert und dabei all die potentiellen Problematiken der offensichtlichen Inszenierung außen vor lässt.

Die kurzweiligen 90 Minuten Spieldauer des Films geben dem tiefsinnigen Plot eine kompakte Form über die sich der versierte Cineast wohl wundern wird, wenn man bedenkt dass sich Kaufman's Regiedebut über 124 Minuten zieht. Die Tatsache, dass Kaufmann und Co. mit Hilfe von kickstarter.com über 400.000 $ von Fans und Unterstützern sammelten, um Anomalisa unabhängig von großen Produktionsfirmen ins Leben rufen zu können, verweist auf eine eventuelle Zeit-Geld-Problematik. Mit dieser Info im Hinterkopf schleicht sich immer wieder der Gedanke ein, ob vermeintliche Stilmittel nicht zuletzt gewählt wurden, um auf Sparkurs zu bleiben. Dazu zählt auch der Cast an Synchronsprechern, denn im gesamten Film bekommt der Zuschauer exakt drei Stimmen zu hören (David Thewlis, Jennifer Jason Leigh, Tom Noonan). Sollte sich das Budget tatsächlich auf die Anzahl der Synchronsprecher ausgewirkt haben, so integriert sich dieses Defizit genial in die Handlunsgebene, sodass keiner der nicht etwas vom kickstarter-Rahmen weiß, auch nur einen Hauch an Verdacht schöpfen würde.

Kaufmann und Johnson gelingt mit "Anomalisa" ein Film, der von Liebe in ihrer Abwesenheit erzählt, ohne dabei zu eindeutig zu werden. Dem Zuschauer bleibt nichts anderes übrig als die triste Athmosphäre der Puppenwelt automatisch in sich aufzunehmen, nur um beim Gang aus dem Kino das dringende Bedürfnis nach Selbstreflexion zu verspüren.