Ein Interview ohne unangenehme Fragen: Charlotte Roche interviewt Carla Juri
Veröffentlicht am 22. August 2013
Selten hat ein Buch so viel Wirbel geschaffen und noch seltener war eine Verfilmung eines Romans so sagenumwoben und verstörend wie die von „Feuchtgebiete“. Fragte man sich bei Charlotte Roche diverse Male, warum sie so eine Faszination an Körperflüssigkeiten hat und warum sie darüber auch noch ein Buch geschrieben hab, rätselt man nun darüber wie Carla Juri die Rolle der frivolen Helen Memel spielen konnte. In der Septemberausgabe des Andy Warhols Interview kommen die beiden selbst zu Wort, Charlotte Roche interviewt selbst Carla Juri, die jetzt schon als die deutsche Filmentdeckung des Jahres gefeiert wird. Entstanden ist ein Gespräch zwischen Schmunzeln, Stirnrunzeln und der Standardzutat – eine Prise Ekel.
Eine für alle und alle nackt für eine
Sodom und Gomorra am Set von „Feuchtgebiete“? Wäre wohl keine Überraschung. Tatsächlich entlockt Roche der Hauptdarstellerin, dass das gesamte Team vor Drehbeginn zusammen in der Sauna war. Damit sich auch alle gegenseitig nackt kennen und nicht nur Carla. Nette Geste oder verstörender Teamgeist? Schließlich erzählt Juri auch, beim Filmteam wären die weiblichen Mitarbeiter deutlich in der Unterzahl gewesen. Auch bei den gewagten Bettszenen war immer eine große Anzahl Menschen dabei.
Literaturverfilmung oder Porno?
Roche fragt sich derweil, ob der Film ähnliche Diskussionen wie ihr Buch auslösen wird, ob er zu sehr Porno sei – und warnt Juri vor den gemeinen Reaktionen der prüden Deutschen. Doch Carla Juri antwortet gewohnt selbstbewusst, beim Dreh habe sie nichts bereut. Wichtig war ihr dabei, die Rolle der Helen Memel, so zu spielen, dass sie Frauen anspricht und nicht das männliche Wunsch-Ideal verkörpert. Auch bei den Sexszenen sei ihr das wichtig gewesen – und manchmal habe sie dann sogar die Kamera vergessen. Daraufhin gesteht Roche, dass sie sich persönlich bei Sexszenen im Film ärgere, bei denen unnatürlich viel verhüllt wäre und die interessanten Dinge verborgen blieben. Das erinnere sie unangenehm daran, nur Zuschauer zu sein. Sowieso sollten Schauspielerinnen doch kein Problem haben während einer Bettszene ihre Brüste zu zeigen. Nur das sie nicht Brüste sagt sondern Titten.
"Die haben gerade gebumst, und dann steht die auf und hält sich so die Bettdecke vor. Das nervt mich dermaßen, weil ich in dem Moment erinnert werden, dass ich eine Zuschauerin bin!"
Juri hat aber anscheinend kein Problem mit der Darstellung von Helen. Und auch nach Beendigung der Dreharbeiten habe sie sich noch gut einen Monat wie die Protagonistin gefühlt und das empfand sie auch als ´super´. Ob sie in der Zeit auch einen ähnlichen Lebenstil wie Helen führte, verriet sie jedoch nicht. Jedoch, dass sie sich zur Vorbereitung auf ihre Rolle wieder zur Schule gegangen ist. Natürlich Undercover. Ob sie da im Nachhinein niemand erkenne, fragt Roche – wisse sie nicht, so Juri. Schließlich hatte sie damals noch lange Haare. Die sind jetzt aber zum Bubikopf geschrumpft. Roche gibt zu, sie selbst habe Helen Memel optisch schon nach ihrem eigenen Vorbild entworfen. Juri breche äußerlich etwas mit der Roman-Vorlage, dies sei aber gelungen.
Helen, Charlotte und Carla
Roche jedenfalls hofft, dass die Leser ihres Buches nicht mehr sie vor dem inneren Auge haben, sondern vielleicht eher Juris Lockenkopf. Und außerdem sind im Film einige Komponenten besser umgesetzt als in ihrer Literaturvorgabe – die Rolle der Mutter oder aber auch besonders perfide Ekelheiten, wie Menstruationsblut als Gesichtsbemalung. Das einiges weggelassen wird, stört die Autorin nicht. Schließlich ginge es ihr auch um eine politische Message – mit „Feuchtgebiete“ wollte sie gegen die Verkrampftheit vieler Menschen und die dadurch entstehende falsche Scham seinem eigenen Körper gegenüber. Und die existiert anscheinend weder bei Roche noch bei Juri – denn beiden sinieren noch im Anschluss darüber, wie es wohl funktionieren würde, wenn Männer einmal im Monat bluten würden. „Da unten raus“ ist Juris entschlossene Antwort.
"Stell dir mal vor. Männer würden bluten. Wäre das nicht kraftvoll?"
Aber diese Sache mit dem Menstruationsblut im Gesicht, welches sich Helen und Corinna im Film ins Gesicht malen, das fand dann sogar die Roche zu krass. Juri hingegen empfand die Situation eher als eine Art Karneval.
Vielleicht, schließt Roche das Gespräch, sei so eine Restverklemmtheit auch was Gutes. Solange alle das Thema Sex lustig und gleichzeitig unangenehm fänden, gebe es wenigsten immer etwas zu lachen.
Wer lachen und sich schämen mag, der kann sich "Feuchtgebiete" jetzt endlich im Kino angucken.
Ein Interview ohne unangenehme Fragen: Charlotte Roche interviewt Carla Juri