Ein perfektes Kinomärchen - Hugo Cabret

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 6. März 2012

Martin Scorsese ist einer der besten Regisseure unserer Zeit. Besonders seine Gangster-Filme wie „Goodfellas“, „Casino“ und „Departed – Unter Feinden“ haben ihn bekannt gemacht. Jetzt versucht sich der 1942 geborene New Yorker auf ganz neuem Terrain – zum ersten Mal drehte er einen Film in 3D. Und auch das Genre ist neu für ihn, denn der am 9. Februar startende „Hugo Cabret“ ist ein Familienfilm.

Hugo Cabret (Asa Butterfield) lebt 1931 im Pariser Bahnhof Gare Montparnasse. Nachdem sein Vater (Jude Law) bei einem Brand ums Leben gekommen war, nahm sein Onkel (Ray Winstone) ihn zu sich. Der ist aber der Trunksucht verfallen und drückt Hugo einfach seinen Job auf – er wartet die Uhren in dem Bahnhof und zieht sie jeden Tag auf. Aber schon bald verschwindet er spurlos und Hugo ist auf sich allein gestellt. Ständig auf der Hut vor dem fiesen Stationsaufseher (Sacha Baron Cohen), der ihn für einen Herumtreiber hält und ihn ins Waisenhaus bringen will, stiehlt er sich von den Verkaufsständen sein täglich Brot zusammen und beobachtet aus den Lüftungsschächten heraus das Treiben im Bahnhof. Alles, was ihm von seinem Vater geblieben ist, ist ein alter Apparat, der wie ein Roboter aussieht - und ein Notizbuch, das erklärt, wie man ihn reparieren kann. Aus einem Spielzeugladen im Bahnhof holt er sich hin und wieder Ersatzteile, aber eines Tages erwischt ihn der Inhaber Papa Georges (Ben Kingsley) und nimmt ihm mit merkwürdigem Gesichtsausdruck sein Notizbuch weg. Als Hugo ihm nach Hause folgt, traut er sich nicht, bei ihm zu klingeln, macht aber stattdessen Georges' abenteuerlustige Stieftochter Isabelle (Chloë Grace Moretz) auf sich aufmerksam. Hugo sieht, dass sie um den Hals einen herzförmigen Schlüssel trägt, der genau in das Schlüsselloch passt, mit dem man seinen alten Automat wahrscheinlich zum Laufen bekommt. Aber warum hat Isabelle den Schlüssel zu Hugos Apparat? Was kann der alte Roboter eigentlich? Und wieso hat sich Papa Georges so eigenartig benommen, als er das Notizbuch zum ersten Mal sah? Ratsuchend wenden sich die beiden an den Bücherhändler Labisse (Christopher Lee), der ihnen ein Buch über Filmgeschichte empfiehlt. Darin entdecken die beiden nicht nur ein Bild von Papa Georges, sondern auch ein Bild aus dem Film „Die Reise zum Mond“. Langsam, ganz langsam entdecken Hugo und Isabelle das Geheimnis von Papa Georges, dessen Geschichte sehr eng mit der von Hugos Apparat verknüpft zu sein scheint.

Martin Scorsese hatte lange auf seinen verdienten Oscar warten müssen. Nachdem er sieben Mal nominiert war, fünfmal davon als Bester Regisseur, bekam er ihn 2007 endlich für „Departed – Unter Feinden“. Auch für „Hugo Cabret“ ist er wieder nominiert – einmal als Regisseur und einmal als Produzent. Aber sein Film ist noch in 9 weiteren Kategorien nominiert. Den Golden Globe als Regisseur hat Scorsese dieses Jahr auch schon gewonnen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn „Hugo Cabret“ ist einer von sehr wenigen Filmen, die den Zuschauer tatsächlich in eine andere Welt entführen und es nicht nur krampfhaft versuchen. Das gelingt unter anderem durch die Technik. „Avatar“-Regisseur und 3D-Fetischist James Cameron sagte nach einer Testvorführung, dass „Hugo Cabret“ die beste 3D-Optik bietet, die er jemals gesehen hat, seine eigenen Filme mitgezählt.

 

Das Paris der 30er, das Scorsese mit 170 Millionen Dollar Budget für seinen Familienfilm erschafft, ist so wie der ganze Film - ein kleines Wunder. „Hugo Cabret“ zeigt mit aller Deutlichkeit, dass die Zukunft des Mediums Film zwar in der Erschaffung möglichst realistischer dreidimensionaler Orte liegt, diese aber nicht zwingend authentisch sein müssen. Die Welt in und um den Bahnhof von Paris gestaltet sich zwar mit großer Detailverliebtheit, Scorsese war aber nicht versessen darauf, das Paris von 1931 so abzubilden, wie es wirklich war - er verwirklichte stattdessen seine Vorstellung davon, wie „Die Stadt der Lichter“ damals ausgesehen haben könnte. Das ist auch gut so, denn „Hugo Cabret“ ist, trotz sehr vieler Bezüge auf authentische Figuren und Orte sehr märchenhaft und phantastisch und stellt die Welt aus den unschuldigen Augen eines Kindes dar, ohne dabei infantil zu wirken. Die kleine Wunderwelt unterhält sprichwörtlich „jung und alt“. Einziges kleines Manko: Dass der Roboter so gut zu der Vergangenheit von Papa Georges passt und sich grade er und Hugo schicksalhaft auf dem Bahnhof treffen, wirkt etwas konstruiert. Allerdings kann man darüber recht einfach hinwegsehen, wenn man sich auf die restliche Geschichte einlässt.

 

Für seine warmherzige Liebeserklärung an das Kino hat Scorsese einen hochkarätigen Cast engagiert. Neben Ben Kingsley („Gandhi“), Asa Butterfield („Der Junge im gestreiften Pyjama“) und Chloë Grace Moretz („Kick-Ass“) sind in Nebenrollen Christopher Lee („Der Herr der Ringe“), Sacha Baron Cohen („Sweeney Todd“), Emily Mortimer („Shutter Island“), Jude Law („Alfie“), Ray Winstone („Sexy Beast“) und Helen McCrory („Harry Potter und der Halbblutprinz“) zu sehen.

 

Seit 12 Jahren ist „Hugo Cabret“ der erste Spielfilm von Martin Scorsese, in dem Leonardo DiCaprio nicht mitspielt. Der letzte war 1999 die großartig-finstere New-York-ist-ein-Ghetto-Story „Bringing Out The Dead“ mit Nicolas Cage als ausgebrannten Sanitäter und Patricia Arquette als Junkie. Seit sogar 18 Jahren hat Scorsese außerdem keinen Film mehr gemacht, der in den USA ab 13 Jahren frei gegeben wurde. Der letzte war 1993 „Zeit der Unschuld“. Sein Debüt auf dem „Kinderfilm“-Sektor lässt hoffen, dass Martin Scorsese sich auch künftig der ein oder anderen Romanvorlage annimmt. „Hugo Cabret“ jedenfalls darf man sich nicht entgehen lassen. Schon vor der Oscar-Verleihung am 26. Februar ist klar: Dieser Film ist einer von jenen, die man im Kino sieht und ihren Zauber nicht mehr vergisst.

 

„Hugo Cabret“ ist ab sechs Jahren freigegeben und startet am 9. Februar in den deutschen Kinos.

Unbedingt sehenswert - Martin Scorseses dreht Liebeserklärung an das Kino