Vater von Kampusch zweifelt: „Das Mädchen aus dem Keller ist ein Mythos“

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 28. Februar 2013

Ludwig Koch zweifelt in seinem am Dienstag veröffentlichten Enthüllungsbuch daran, dass seine Tochter, Natascha Kampusch, jahrelang in einem Kellerverlies festgehalten wurde und keine Möglichkeit zur Flucht hatte. Koch hatte zusammen mit einem britischen Autor an seiner Sicht auf die Ereignisse gearbeitet, ohne dass Natascha Kampusch davon etwas wusste. Über die Veröffentlichung und die Anschuldigungen ihres Vaters war sie offenbar so schockiert, dass sie ihren Auftritt bei der gestrigen Berlin-Premiere des Films „3096 Tage“ absagen musste. Der Film basiert auf ihrem Bericht der Ereignisse, den sie 2010 veröffentlicht hatte.

In Ludwig Kochs Gegendarstellung, die den Titel „Vermisst“ trägt, heißt es laut oe24.at unter anderem:

Der Keller schaut so aus, als wenn in diesem Raum nie jemand für lange Zeit lebte. Das Mädchen aus dem Keller ist ein Mythos. Sie wartete mit ihrer Flucht, bis sie 18 war, weil sie nicht in ein Heim wollte oder zu ihrer Familie zurück.

Mehrere Ermittler und Juristen glauben nicht an die Theorie eines Einzeltäters und berufen sich auf eine Zeugin, die gesehen hat, dass zwei Männer Kampusch entführt haben. Außerdem soll sich Kampusch während ihrer Gefangenschaft frei im Haus ihres Entführers Wolfgang Priklopil bewegt haben und eine intime Beziehung mit ihm gepflegt haben. Kampusch, die 2006 entkommen war, ist inzwischen 25 Jahre alt und bestritt derlei Anschuldigungen immer. Schon kurz nach der Entführung, als sich der Familienkrieg der Kampuschs in die Öffentlichkeit verlagerte und ihr Vater als spielsüchtiger, trotteliger Alkoholiker dargestellt wurde, entschuldigte Natascha Kampusch das Verhalten ihres Vaters, der einen offenen und in manchen Passagen wirren Brief geschrieben hatte. Sie sagte, er sei im Umgang mit den Medien recht naiv und lasse sich von materiellen Dingen beeindrucken. Der offene Brief war Kochs Reaktion auf das Enthüllungsbuch von Kampuschs Mutter und auf die Story eines ORF-Journalisten, dem er sich anvertraut und der dann die Tatsachen verdreht und Koch diffamiert habe.

Ist das Buch des Vaters wieder eine von seinem Medianberater initiierte Maßnahme um Geld aus den Vorfällen zu schlagen und etwaige Spielschulden zu begleichen? Oder ist das Buch Wasser auf die Mühlen derer, die eine Verschwörung vermuten? Immerhin gibt es viele Ungereimtheiten, nachgewiesene Ermittlungsfehler und DNA-Spuren ungeklärter Herkunft in Priklopils Wagen. Möglicherweise wurde der als unbestechlich geltende Franz Kröll, führender Ermittler im Fall Kampusch, sogar ermordet, weil er die Ermittlungen nicht einstellen wollte. Das könnten Indizien dafür sein, dass bisher unbekannte Täter Natascha Kampusch noch immer unter Druck setzen, oder sie sie aus freien Stücken schützt. In dem Buch, dass er mit dem Journalisten Allan Hall zusammen schrieb, heißt es:

Polizeibeweise lassen Ludwig Koch glauben, dass sie nicht ehrlich war, wenn sie über ihr Leben mit Priklopil spricht.

Sollte ein Vater nicht wissen, ob seine Tochter lügt, auch wenn sie über acht Jahre lang verschwunden war? Oder handelt es sich um eine PR-Maßnahme? Möglicherweise wird niemals ganz geklärt werden, was zwischen 1998 und 2006 im Hause Priklopils passierte - und wer daran beteiligt war. Aber ob Verschwörung, abgeschlossener Fall oder Marketingstrategie - aus finanzieller Hinsicht sind die Ereignisse nach Kampuschs Flucht sicherlich ertragreich gewesen.