Ende der Diskussion: Natürlich sind Videospiele Kunst

von Portrait von Thilo Nemitz Thilo Nemitz
Veröffentlicht am 23. Juli 2014

Was ist Kunst? Laut Definition sind alle Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit Kunst, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind. Lasse ich also einen Stift vor mich auf den Tisch fallen, dann bilden Tisch und Stift demnach ein Kunstwerk. Ist dann nicht fast alles Kunst, da sich stets über eine eindeutige Funktion gestritten werden kann?

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Was ist überhaupt eindeutig? Über solche Fragen haben sich die größten Philosophen und andere weit schlauere Menschen der Menschheitsgeschichte schon immer den Kopf zerbrochen und sind, wie immer wenn es um Eindeutigkeit in der Philosophie geht, gescheitert. Wieso also gibt es immer noch aufgeblasene, selbstverliebte und hoffnungslos anachronistische Kunst-Kritiker, die den Schritt ins 21. Jahrhundert nicht tun und Computerspiele nicht als Kunst anerkennen wollen?

Für manche Leute ist das Label „Kunst“ scheinbar erst verdient, wenn in einer postapokalyptischen Welt ein altes Super Mario-Modul aus dem Schutt gezogen, irgendwie gestartet und als Kunst des späten 20. Jahrhunderts bezeichnet wird. Wieso sträuben sich immer wieder die Vertreter der „klassischen“ Kunstrichtungen wie Grafik, Literatur und Musik dagegen, schon heute etwas als Kunst anzuerkennen, das genau aus diesen drei Komponenten besteht? Und das, obwohl nach langem Kampf doch sogar Comics als Hybridform aus bildender Kunst und Literatur zur Kunst hinzugezählt werden und auch andere neue Medien wie Hörfunk, Fernsehen und Internet schon längst nicht mehr außer Acht gelassen werden können?

Über L’art pour l’art, also die Kunst um der Kunst willen (und keinem äußeren Zweck dienstbar gemacht) habe ich schon gelacht, als mein Kunstlehrer den Begriff das erste Mal zu Schulzeiten in den Mund nahm. Für mich gibt es so etwas wie Kunst überhaupt nicht. Es gibt nur Menschen, die Dinge erschaffen, die wir manchmal schön und manchmal hässlich finden. Und diese Dinge haben immer, und wirklich immer, einen Zweck. L’art pour l’art existiert nicht. Als Joseph Beuys Scheisse in Einmachgläser gepackt hat, wollte er damit Aufsehen erregen und nicht die Exkremente um ihrer selbst willen hinter Glas bewundern.

Aber ich schweife ab. Es geht um die fadenscheinigen Gründe, warum verstaubte Kunst-Kritiker, die scheinbar Angst haben, dass ein Medium in den Kunst-Kanon aufgenommen werden könnte, von dem sie herzlich wenig Ahnung haben, Computerspiele weiterhin als trivial anstatt als „Kunst“ behandelt wissen wollen. Solche Kritiker wirken auf mich wie die Amish People, die Angst vor Neuerungen haben. Diesen Leuten kann ich nur raten kommt mal klar, wacht auf und „roll with the punches!“ Ich rege mich ja auch nicht darüber auf, dass ich für die Fertigstellung meiner Magisterarbeit noch hunderte von verstaubten Büchern wälzen musste, während Bachelor Studenten dieser Tage bequem von zu Hause aus arbeiten und zur Not alles Wichtige auf Wikipedia nachschlagen können. Zeiten ändern sich eben und damit auch Begrifflichkeiten.

Haben solche (teilweise vermutlich selbsternannten) Kunst-Kritiker überhaupt stichhaltige Argumente, warum Computerspiele keine Kunst sein sollten? Das beliebte Argument, dass Videospiele im Grunde Spielzeug für Kinder sind, gilt ja schon seit Jahren nicht mehr und lässt sich durch den aktuellen Altersdurchschnitt der Gamer-Gemeinde sehr leicht wiederlegen. Ein für mich noch merkwürdigeres Argument gegen Videospiele als Kunst ist Folgendes: „Anders als bei der linearen und nicht-interaktiven Film-Adaption einer Literaturvorlage, ähnelt die Erschaffung von 3D-Welten im Computerspiel eher dem Bereich der Architektur und gibt Spielern die Möglichkeit die erschaffene Welt selbstständig und unter eigenen Prämissen zu erforschen“. Wow, das ist ein besseres Eigentor als das der Brasilianer im ersten Fußballspiel der Weltmeisterschaft 2014. Gilt nicht Architektur ebenfalls als eine der klassischen Kunst-Richtungen? Spiele sind also wie Architektur und Architektur ist Kunst. Nun, keine weiteren Fragen, Euer Ehren.

Ich mache jetzt mal ein Fass auf und behaupte, dass Computerspiele die ultimative Form von Kunst sind. Sie bestehen häufig aus fast allen Formen der klassischen Kunst und leisten ganz nebenbei noch etwas anderes Erstaunliches: Sie machen die Spieler selbst zu Künstlern, die wieder neue Kunst erschaffen. Neuartige Spiele sind so komplex und vielschichtig, dass Spieler ganz eigene Wege und damit kreative Ausdrucksformen finden sie zu meistern. Von den Modder-Gemeinden, die Spiele mit neuen fantastischen Inhalten füllen und teilweise aus alten Konzepten fast vollständig neue Werke kreieren, möchte ich erst gar nicht anfangen.

Die Erschaffung einer komplexen und einzigartigen 3D-Welt ist ein moderner und unfassbar kreativer, digitaler Schöpfungsakt, über dem nur noch der wahre Schöpfungsakt eines Gottes kommt. Und wer jetzt sagt, die Erschaffung der Welt und des Universums sei keine Kunst, dem ist vermutlich nicht mehr zu helfen. Deshalb meine Bitte an die lieben Kunst-Dinosaurier: Jetzt hört bitte mal kurz auf damit, auf euer golden eingerahmtes Kunst-Diplom an der Wand zu zeigen, und verdient euch den Titel eines progressiven Kunst-Kritikers, der noch ernst genommen werden kann. Ich weiß ja auch, dass Computerspiele neu, komplex und damit gruselig sind. Aber ihr müsst keine Angst haben! Es wird alles gut! Keiner möchte euch deshalb euer Diplom wieder wegnehmen! Wir müssen alle auf dem Laufenden bleiben, egal in welcher Fachrichtung wir unterwegs sind! Und hört bitte einfach auf, modernen Menschen wie einem Kind herablassend durch die Haare zu wuscheln und ausweichende und inkompetente Fragen zu stellen wie „Electronic games offer a rich and spectacular entertainment, but why do they need to be anything more than fun? Why does everything have to be art?“ Weil ALLES Kunst ist, darum. Oder besser: Es gibt so etwas wie Kunst nicht. Kunst ist eine von Menschen erfundene Disziplin für Geisteswissenschaftler, die sich auf Partys oder Vernissagen geschwollen unterhalten können wollen.

Aber es macht keinen Sinn nun selbst herablassend zu werden. So wie es keinen Sinn macht, sich über die kleingeistige und egozentrische Haltung einer aussterbenden Rasse von Kunst-Kritikern aufzuregen, da diese bald von dem Sturm einer Multi-Milliarden-Umsatz-Branche weg geblasen werden wie altes Laub. In naher Zukunft wird man unter klassischen Künstlern, wie man sie auf arsmundi nachlesen kann, auch Game Designer finden. Daran führt langfristig kein Weg vorbei. Die Künstler unserer Zeit arbeiten eben nicht mehr mit Papier und Farbe, sondern mit Computer und Grafikprogramm. Im Grunde hat sich außer den Werkzeugen nichts geändert. Und dabei schaffen sie nicht nur Dinge, die Spaß machen, sondern die einen transzendenten, emotionalen und philosophischen Anspruch haben, bei dem Scheiße im Glas nicht mitkommt. Wenn ich zum Beispiel in einem vor Schönheit aus allen Nähten platzenden Spiel wie „Flower“ in die Rolle des Windes schlüpfe, der ohne höheres Ziel über die Weise weht, um Blütenblättern empor zu wirbeln und mit auf seine unbestimmte Reise zu nehmen, dann ist das für mich Kunst im klassischen Sinne genug.

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