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"Ladies and Gentleman, Welcome to the 76th Hunger Games!" - Review zu "Die Tribute von Panem- Mocking Jay Teil 2"

von Portrait von Sarah Schulte Sarah Schulte
Veröffentlicht am 23. November 2015

Ich persönlich schaue gerne Mädchen-Liebesfilme oder französische Dramen; vielleicht mal einen geschickt eingefädelten Psychothriller... aber Action und Science-Fiction-Filme vermeide ich so gut es geht. Als eine Freundin mich 2012 bei einem gemütlichen DVD-Abend mehr oder weniger zwang, "Die Tribute von Panem - The Hunger Games", also die Verfilmung des ersten Bandes der Trilogie, anzuschauen, war ich jedoch ab der ersten Minute von der außergewöhnlich tristen Welt rund um Panem fasziniert...

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Der zweite "Mockingjay"-Teil ist extrem actionlastig und während mein Gehirn bei Actionszenen normalerweise sofort in den Standby-Modus schaltet, verfolgte ich 2 Stunden und 7 Minuten lang gebannt, wie die Rebellen versuchen, in das Kapitol einzudringen und durch diverse Explosionen und Attacken daran gehindert werden sollen. Granaten fliegen, uniformierte Menschen kämpfen, Leute werden erschossen - und ich will, dass der Film niemals endet. Aber warum?? 

Zum ersten Mal sind in Panem alle 13 Distrikte vereint und gehen gemeinsam gegen das Kapitol und Präsident Snow vor. Im Zuge dessen werden Einheiten gebildet, die ihr Leben riskieren und dieses auch oft verlieren, um zum Kapitol vorzudringen. Dieses Szenario erinnert stark an das System der Hunger Games und wird durch Finnick sarkastisch mit den Worten "Ladies and Gentleman, Welcome to the 76th Hunger Games!" eingeläutet. Gänsehaut. Doch diese Hunger Games sind noch schrecklicher als die "normalen" Spiele, auch wenn das zunächst unvorstellbar scheint. Diesmal geht es um die Zukunft ganz Panems, um das Leben Tausender Bewohner. Es geht um Gerechtigkeit und Gleichkeit. Es geht um ein neues Panem. Um eine neue Welt.

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Mich haben die Gesellschaftsstrukturen Panems extrem fasziniert. Die Trostlosigkeit, ausgebeutete Menschen, eine extreme Klassengesellschaft, die Distrikte, die Diktatur... All das ist kein absurdes Sci-Fi-Inferno. Es wirkt lediglich wie eine überzogene Bearbeitung unserer Welt. Eine Dystopie, die nicht weit von unserer Realität entfernt ist und uns gerade deswegen an unsere eigenen Missstände erinnert. All die Unmenschlichkeit, die in Panem vor sich geht, erleben wir in etwas anderer Form jeden Tag. Der Film übt starke Kritik an gesellschaftlichen Strukturen und zeigt uns durch das Kapitol den irrationalen Reichtum und die Seifenblase, in der wir, vor allem in Europa und Nordamerika, leben und hat mich daher sehr nachdenklich gemacht. 

Im Zuge der Propaganda-Videos ruft Katniss die Bürger Panems fast schreiend, mit einer rauen, verzweifelten Stimme, die den Zuscher direkt ins Herz sticht, zur Revolte gegen das Regime auf: "Tonight, turn the weapons to the Capitol. Turn your weapons to Snow". Die Themen "Propaganda" und "Inszenierung" spielen auch in diesem Panem-Teil wieder eine große Rolle und bieten einen realistischen, tiefen Einblick in die Strukturen einer Revolution in Hightech-Zeiten. Doch bei Katniss' harschen Worten überkam mich ein kalter Schauer. Die Art, wie sie Menschen manipulieren kann und hitzige Reden hielt, erweckte in mir unangenehme Erinnerungen - auch wenn sie für das Richtige einzutreten scheint. Die Instumentalisierung von Katniss wird deutlich und befreit sie von dem verklärten Helden-Ethos - sichtbar wird ein Mädchen, das unter allen Umständen für ihre Überzeugungen einsteht, aber auch mit Unsicherheiten zu kämpfen hat.

Während Katniss in den ersten Teilen Opfer des schrecklichen Regimes von Panem war und es schaffte, sich langsam dagegen zu wehren, ist sie nun zum Haupakteur in einer riesigen Rebellion gewachsen, die eine komplette Umstrukturierung der Werte sowie politischen Vorgänge bewirken soll. Die Erfolge der vorherigen Teile - wie beispielweise das Finale des ersten Bandes, in dem Katniss und Peeta die Hunger Games gemeinsam lebend verlassen dürfen - scheint im Vergleich zu dem letzten Teil extrem trivial. Katniss und ihre Freunde verlieren durchgehend die Menschen, die ihnen am nächsten stehen, aber auch diese großen Opfer verleihen dem Film meiner Meinung nach erneut Tiefe und Authenzität. Der Film verliert in der Zeit von mehr als 2 Stunden nicht einmal an Spannung. Ereignis reiht sich an Ereignis, aber die Relevanz wird dadurch meiner Meinung nach sogar gesteigert und nicht gemindert. Der Film überzeugt durch eine Dynamik und Tiefe sowie unerwartete Wendungen, die die vorherigen Teile in den Schatten stellt.

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Selten hat mich ein Film so emotional ergriffen wie das Finale der Tribute von Panem-Reihe. Diese derbe Mischung aus tiefer Freundschaft, tiefem Hass, Liebesgeschichte und einem brutalen Kampf gegen eine brutale Diktatur - all das wirkt auf mich unglaublich nah an dem, was unsere Welt ausmacht und bewegt. Wie verhalten sich Menschen in Extremsituationen? Wie weit setzt man sich für seine Mitmenschen ein? Wie weit reicht Liebe? Angesichts der weitreichenden Ereignisse fällt die Liebesgeschichte von Katniss und Peeta in den Hintergrund, wird dadurch jedoch meiner Meinung nach noch intensiver und tiefgründiger. Die schauspielerische Leistung von Jennifer Lawrence und Josh Hutcherson ist herausragend. Das Mädchen aus schlechten Verhältnissen, das stets versucht, für ihre Familie zu sorgen und die Gerechtigkeit in Panem aufrecht zu halten und der komplett ausgebrannte Peeta, der durch das Kapitol psychisch gebrochen und gegen Katniss aufgebracht wurde - dieses Liebespaar ist für mich so traurig und ihre Liebe genau deswegen so schön. Trotz all der Umstände, die immer gegen sie spielten, ist ihre Liebe stärker. Das Ganze könnte schnulzig sein, ist es meiner Meinung nach bis zum Ende des Filmes jedoch nicht. Dieses Ende ist meiner Meinung nach allerdings extrem kitschig. Katniss und Peeta spielen glücklich mit ihren zuckersüßen Kindern auf einer Wiese und all der Terror und die Traumata sind vergessen. Realistisch gesehen fragt man sich wirklich, wie zwei Menschen, die wichtige Familienmitglieder sowie die Hälfte ihrer engsten Freunde auf brutalste Art und Weise verloren haben, starke psychische Störungen entwickelt haben und sich gegenseitig mehrmals umbringen wollten - zusammen eine Familie gründen können und unbeschwert im neuen, komplett freien Panem leben. Als man die taffe, widerspenstige Katniss, die ehemalige Anführerin einer brutalen Revolution, als brave Mutter im Kleid auf der Blumenwiese sitzen und ihren Peeta anhimmeln sieht, haben sich mir die Nackenhaare aufgestellt. Ein bisschen mehr Tiefgang und eine etwas realistische Einstufung der neuen, "heilen" Welt hätte ich mir sehr gewünscht. Natürlich wünscht man sich eine perfekt Zukunft für Panem, aber für mich wirft sich die Frage auf: Kann eine Revolution eine Gesellschaft komplett ändern und wirkliche Gleichberechtigung einführen? Auch wenn Revolten mehr als wichtig sind, so scheint mir das Schlussbild der Tribute von Panem im Kontrast zu seiner wirklich gesellschaftskritischen Handlung wirklich utopisch. Zumindest ist unsere Gesellschaft trotz zahlreicher Revolutionen leider immer noch weit weg von einer komplett freien und gleichen Welt...

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