Marion Alexa Müller

Verlegerin und Autorin

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 5. Juni 2012

Erzähl uns doch bitte etwas über Dich.

Ich kam 1978 in Bayreuth zur Welt und über Umwege 2001 nach Berlin, um dort Restaurierung von audiovisuellen Medien zu studieren. Ich war freiberufliche Filmrestauratorin, was eigentlich ein sehr schöner Job ist. Jetzt habe ich allerdings einen noch viel schöneren: 2007 gründete ich den Independent-Verlag Periplaneta, der schneller wuchs, als ich anfangs dachte. Es sind derzeit um die 90 Titel aus fünf verschiednen Editionen lieferbar, viele davon auch als eBook für iPad oder Kindle oder als Audio-Download. Und mittlerweile haben wir noch ein Tonstudio, ein Musik-Label und ein Literaturcafé in Berlin.

Was gefällt Dir an Berlin am besten?

Berlin ist nicht überschaubar, riesig und widersprüchlich. Und es ist ein Paradies für Kreative.

Manchmal denke ich mir: Warum hat das eigentlich noch keiner erzählt?

Bist Du ein Stadtmensch oder könntest Du auch auf einer einsamen Berghütte glücklich sein?

Glücklichsein hat nichts mit dem Ort zu tun. Aber wenn Berghütte, dann nur mit Internetanschluss.

Du bist Verlegerin und Autorin. Wieso beides?

Das bringt die ständige Beschäftigung mit den Texten anderer so mit sich. Manchmal denke ich mir: Warum hat das eigentlich noch keiner erzählt? Und dann erzähle ich es eben. Außerdem kann ich unsere Autoren viel besser beraten, weil ich viele Fallstricke kenne. Übrigens sind bei Periplaneta die meisten Mitarbeiter ebenfalls Kreative (Autor, Fotograf, Musiker...), anders wäre das auch nicht auszuhalten.

Wie sieht die Zukunft des Buches aus? Lesen wir in 10 Jahren alle nur noch auf iPads? Liest in 10 Jahren überhaupt noch jemand?

Die Zahl der Bücherlesenden wird zwar wegen des zunehmenden multimedialen Überangebots zurückgehen, aber die Bibliophilen werden nicht aussterben, weil ein Film oder ein Spiel diese Form des Kopfkinos nicht ersetzen kann. Man wird also in Zukunft immer noch lesen – wahrscheinlich in erster Linie eBooks mit multimedialen Ergänzungen... Aber das gute Hardcover wird auch das überleben. Die Anforderungen an Autoren und Verlage ändern sich. Und wer daran Spaß hat, diese zu meistern, (so wie wir) für den gibt es auch eine Zukunft. Nur auf die Buchhändler kommen schwere Zeiten zu.

Was gefällt Dir an Deiner Arbeit am besten?

Dass ich unabhängig bleibe. Dass ich mir selbst aussuche, wofür ich schufte. Die kreative Arbeit und die Herausforderung, Dinge zu bewegen. Und mit Menschen zusammenzuarbeiten, die etwas zu erzählen haben, wie z.B. Thomas Manegold, Mara Schwarz, Christian von Aster, Lea Streisand, Clint Lukas, Holly Loose und und und...

Wenn jemand sagt „Verleger“, stelle ich mir jemanden wie Charlie Runkle aus der Serie „Californication“ vor. Wie sieht Dein beruflicher Alltag aus? Bekommst Du jeden Tag 100 unangeforderte Manuskripte, während ein neurotischer Autor am Telefon Deiner aufmunternden Worte bedarf?

Mein Alltag ist wie jeder Alltag von Selbständigen: Eine ganze Menge größtenteils unnötige Bürokratie, Rechnung schreiben, Rechnungen bezahlen, Verträge aufsetzen, Branchenberichte lesen und viel online kommunizieren. Und Manuskripte ablehnen. Denn ja, wir bekommen sehr viele Exposés zugeschickt. Das meiste ist allerdings – sagen wir es mal diplomatisch – nicht veröffentlichungswürdig. Ich habe also weniger Probleme mit unseren „neurotischen“ Autoren als mit jenen, denen wir absagen. Zwischen Androhung körperlicher Gewalt, persönlicher Beleidigungen, wüsten Beschimpfungen und mitleiderregendem Betteln ist da alles schon dabei gewesen und lässt hässliche Rückschlüsse auf die menschliche Psyche zu.

Eine totale Überwachung der vernetzten Welt kommt für mich ebenso wenig in Frage, wie am Tropf übermächtiger Verwertungsgesellschaften zu hängen.

Die Piratenpartei will das Urheberrecht abschaffen. Dein Kommentar?

Die Piraten wollen das Urheberrecht nicht abschaffen. Sie wollen es reformieren. Das ist auch nötig. Wegen rein technischer Gegebenheiten. Dass sie allerdings ihre rigiden Forderungen durchsetzen, halte ich für unwahrscheinlich, weil kein derzeit praktikables Konzept dahintersteht. Aber eine totale Überwachung der vernetzten Welt kommt für mich ebenso wenig in Frage, wie am Tropf übermächtiger Verwertungsgesellschaften zu hängen, die nach zweifelhaften Schlüsseln Gelder ausschütten. Diesen Konflikt muss man lösen. Der gegenwärtige Schlagabtausch ist aber einfach sinnlos, denn kaum einer ist bereit, miteinander Lösungen zu erarbeiten.

Wenn Du einen anderen Beruf hättest wählen müssen, welcher wäre es?

„Wählen“ und „müssen“ schließen sich doch einander aus und man hat immer eine Wahl... Aber wenn, dann vielleicht Seelsorger, spezialisiert auf abgewiesene und unverstandene Autoren. Da sehe ich einen riesigen Markt. (lacht)

Wenn Du von einer Reise zurück nach Hause kommst, was machst Du als erstes?

Ich gehe online.

Marion Alexa Müller

Was war bisher Dein gefährlichstes Erlebnis? Wann hattest Du so richtig Angst?

Ich kann mich an keine derartige Situation erinnern. Wenn ich es mir recht überlege, führe ich doch, fernab von Krieg, Hunger, Gewalt und Unterdrückung, ein sehr sicheres Leben.

Was würdest Du tun, wenn Du nur noch einen Tag zu leben hättest?

Um 0 Uhr aufstehen und nicht vor 23.59 ins Bett gehen.

Welcher war der schlimmste Job, den Du bisher gemacht hast?

Aus einem wassergeschädigten, schimmligen Archiv zu retten, was zu retten war. Im Hochsommer. Mit toten Ratten unterm Regal. Aus einem Raum ohne Fester.

Lesen macht sexy. Selber denken auch.

Deine fünf Lieblingsbücher der letzten 50 Jahre?

Ist alles keine Belletristik. Privat und zur „Entspannung“ lese ich fast ausschließlich Sachbücher. Und ich lese zu viel, als dass ich mich über so einen Zeitraum festlegen könnte. Aber ich kann „Ismael“ von Daniel Quinn, „An allem nagt der Zahn der Zeit“ von Midas Dekkers und „Warum ist der Eisbär weiß?“ von Bas Haring der Welt empfehlen, auf dass sie eine bessere wird. Und natürlich alle Periplaneta-Bücher. Die finde ich auch alle gut und – ja, ich habe sie auch alle gelesen.

Dein Rat an die Menschheit?

Lesen macht sexy. Selber denken auch.

Gibt es noch etwas, das Du unbedingt loswerden möchtest?

Jenseits der Bestsellerlisten, großformatigen Werbeanzeigen und Buchhandlungsregale warten in der harten, ungeförderten Welt unabhängiger Kunst und Kultur unzählige Perlen darauf, entdeckt zu werden. Die beste Möglichkeit eines Lesers, unabhängige Kultur zu unterstützen ist, beim Urheber zu kaufen. Und zwar direkt, nicht bei der Buchhandelskette und nicht im „einzigen“ Internetshop dieser Welt.