Filmkritik "Lunchbox": Flucht zweier einsamer Seelen aus der brodelnden Großstadt

von Portrait von Lina Wemhöner Lina Wemhöner
Veröffentlicht am 20. November 2013

Schillernde, bunte Bilder. Klimpernde Kleider und stimmungsvoll gesungene Texte: Die leuchtende Welt der Bollywood-Filme. Ist es nicht das, woran jeder bei indischen Produktionen denkt? Die heile Welt der Liebe, in der jeder Song Weltfrieden verspricht. Doch dieser Film ist anders. Er will uns eine Botschaft vermitteln, die hinter den undurchdringlichen Charakteren der Protagonisten wimmelt. „Lunchbox“ (Kinostart: 21.11.2013) erzählt die Geschichte einer Liebe, auf seine ganz eigene Art und Weise, doch irgendwie harmonisch und vor allem ruhig. Vielleicht etwas zu ruhig in einer brodelnden Stadt wie Mumbai? Für Regisseur Ritesh Batra ist diese indisch-europäische Filmproduktion sein Debüt. Mit Liebe zum Detail und zarten Beobachtungen kristallisiert er die besonderen Werte dieser Romanze heraus. Wir haben den Film genauer beleuchtet und versucht, die Fassade der Charaktere zu durchbrechen.

Angeblich geht Liebe ja durch den Magen. Nur was ist, wenn es der Magen einer wildfremden Person ist?

Ila (Nimrat Kaur) fühlt sich seit geraumer Zeit von ihrem Mann vernachlässigt und macht sich zur Aufgabe ihre Ehe zu retten. Mit ihren besonderen Kochkünsten möchte sie ihren Mann zurückgewinnen. Doch diese ganz besondere Lunchbox, die sie ihrem Gatten Rajeev (Nakul Vaid) für die Mittagspause vorbereitet, gelangt über die Dabbawallas – Lieferanten, die tagtäglich Tausende von Mumbaier Ehemänner mit den kreierten Speisen ihrer Frauen beliefern – irrtümlich zu Saajan (Irrfan Khan), einem einfachen Büroangestellten, der kurz vor seiner Rente steht. Die Verbindung zweier einsamer Großstadtherzen ist damit geknüpft.

Als Ilas Ehemann keine Worte über ihre besonderen Speisen verliert, wird sie stutzig und legt der nächsten Lunchbox eine Nachricht bei – und sie erhält eine Antwort von Saajan. Doch kaltherzig und kurz angebunden, wie er sich jedem gegenüber verhält, fällt auch die Antwort aus: „Das Essen war versalzen“. Als Rache verwendet sie zu viel Chili im folgenden Mittagessen - aber sie antwortet ihm und so beginnen sie sich regelmäßig Botschaften zu schicken, in denen sie sich immer näher kommen und sich dem anderen offenbaren. Sie schreiben von der Einsamkeit, von Ängsten, ihren Erinnerungen und kleinen Freuden. Sie haben sich noch nie gesehen, doch durch die regelmäßigen Briefe beginnen sie, sich in das reale Leben des anderen zu bewegen...

„Manchmal bringt dich der falsche Zug zum richtigen Bahnhof.“

Man könnte meinen, der Film basiert auf diesem Zitat des lebensfrohen Arbeitskollegen Saajans. Shaikh (Nawazuddin Siddiqui) sieht die Welt anders, er wirkt optimistischer und aufstrebender in dieser großen Stadt. Mumbai dient als Kulisse des Filmes. Doch die einzelne Person geht in der gewaltigen Menschenmasse unter. Auch Saajan und Ila sind zwei einsame Seelen in Mumbai. Er ist Witwer und besitzt außer seinem täglichen Trott nichts. Selbst ein Liegegrab, das seine verstorbene Frau erhalten hat, bleib für ihn nur ein Traum. Die Masse an Menschen fordert sogar nach dem Tod, wie jeden Tag im Bus, zu stehen. Solche kleinen Anekdoten, machen den Film authentisch. So auch die Geschichte von Ilas Nachbarin Auntie, die wir im Film niemals zu Gesicht bekommen. Nachts schläft ihr Mann und und tagsüber schaut er apathisch den Ventilator an, der ihm am Leben erhält. Aus Angst vor der Einsamkeit, schaltet sie den Ventilator nie aus.

Filmkritik "Lunchbox": Flucht zweier einsamer Seelen aus der brodelnden Großstadt

Doch manchmal führt der falsche Zug, oder eben die falsche Lieferung, zum richtigen Bahnhof. Gemeinsam lässt es sich besser einsam Leben. Das erfahren auch die von ihrem Ehemann betrogene Ila und Witwer Saajan. Beide können für die kurze Zeit ihres Briefwechsels wieder zu Charakteren werden. Sie schaffen es, sich dem Alltag ein wenig zu entfremden und sich in dieser Fremde neu zu finden, indem sie ihre Ängste und Wünsche jemandem mitteilen.

Wir wissen nicht, ob es die wirkliche Liebe ist, die den Weg über eine Lunchbox gefunden hat. Doch wir wissen, dass es manchmal nur Kleinigkeiten sind, die einem am Leben erhalten. Durch feinfühlige Erzählungen und reiche Bilderwelten, vermittelt der Film uns diese Botschaft. Der Gegensatz zwischen der brodelnden Stadt und der Einsamkeit hinter den Häuserfassaden wird eindrucksvoll geschildert. Ein Film, der zum Nachdenken anregt und für den es sich lohnt, ins Kino zu gehen.