Koalieren, kollabieren, kolaborieren? Wer regiert demnächst Deutschland?

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 30. September 2013

Angela Merkel ist aus der Wahl letzten Sonntag als klare Siegerin hervorgegangen. Dummerweise ist der traditionelle Koalitionspartner (nicht nur der CDU) dabei auf der Strecke geblieben: Nach insgesamt 38 Jahren als Koalitionspartner musste die FDP im Bundestag den Hut nehmen. Übrig bleiben also nur noch die Grünen, die Linke und die SPD. Schwarz-Grün kann sich kaum jemand vorstellen, eine schwarz-rote Koalition mit der Linken kann sich nahezu niemand vorstellen und eine Große Koalition, wenn auch die wahrscheinlichste Konstellation, ist auch eher eine Verlegenheitslösung - zumal die SPD aus der letzten Großen Koalition mit einem Minus von 11,2 Prozent herauskam. Wer also soll Deutschland künftig regieren? Wer ist der beste Koalitionspartner, wer der wahrscheinlichste - und was ist mit Rot-Rot-Grün? Darüber diskutierten gestern bei Günther Jauch Julia Klöckner, stellvertretende Vorsitzende der CDU, Torsten Albig, SPD-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Winfried Kretschmann, erster grüner Ministerpräsident (in Baden-Württemberg) und die Journalisten Jakob Augstein und Wolf von Lojewski.

Klare Aussagen - Fehlanzeige!

„Vorsicht Kanzlerin! - Wer traut sich zu regieren?“ war der Titel der Sendung vom Sonntagabend. Natürlich wurde die Frage nach der künftigen Regierungskoalition nicht final beantwortet. Schließlich trifft sich die CDU zu Sondierungsgesprächen mit der SPD erst am kommenden Freitag und Termine mit anderen Parteien stehen noch nicht fest. Ein Omen, dass CDU-Talkgast Julia Klöckner einen grünen Frack trug, während Grünen-Talkgast Kretschmann in schwarz-grün-gestreifter Krawatte da saß? Auf Nachfrage Jauchs stritt Klöckner jegliche Intention bei der Kleiderwahl ab und wollte sich auch zu sonstigen Themen nur diplomatisch, ergo schwammig, äußern. Wird es jetzt doch eine Steuererhöhung unter der CDU geben, obwohl Merkel im Wahlkampf sich davon klar freisprach? Keine Auskunft von Klöckner - sie könne schließlich keinen Sondierungsgesprächen vorgreifen. Die sollen ja hinter verschlossenen Türen stattfinden und nicht in einer Talkshow. Mit dieser Ausrede entzog sich Klöckner diversen klaren Zusagen, wie sie im Wahlkampf noch so leidenschaftlich zum Besten gegeben worden waren. Politik, wie sie eben ist. Toppen konnte das nur Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg, der von Jauch gefragt wurde, ob er an den deutlich kommunizierten Steuerhöhungsplänen der Grünen mitgearbeitet hatte und sich jetzt davon distanziert: Er hätte nichts davon gewusst, seine Kanzlei entwickle da manchmal ein Eigenleben. „Ich lasse es prüfen“. Fragezeichen über Jauchs Kopf, schalkhaftes Grinsen bei Kretschmann, sinkendes Vertrauen bei den Zuschauern.

Journalisten sehen unangenehmen Wahrheiten ins Auge

Ergiebiger als die geladenen Gäste von CDU, Grünen und SPD waren die anwesenden Journalisten. Jakob Augstein, anerkannter Sohn des „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein, Chefredakteur und Herausgeber des auflagenmäßig unbedeutenden Wochenblattes „Der Freitag“, ist Verfechter einer Rot-Rot-Grünen Koalition. Das Gemauschel mit der geplanten Mitgliederbefragung der SPD findet er trotzdem perfide. Gregor Gysi als Oppositionsführer würde er sich „lustig“ vorstellen, aber seiner Meinung nach ist das demokratische System nicht so gedacht - man brauche eine starke Opposition und eine starke Regierungspartei, keine Doppelspitze, die theoretisch die Verfassung ändern könnte. Augstein traut sich auch, einer unangenehmen Wahrheit für den anwesenden SPD-Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins, Torsten Albig, ins Auge zu sehen: „Die Linken verschwinden jetzt nicht mehr. [...] Die SPD ist jetzt nicht mehr die große, linke Volkspartei, sondern die stärkste von drei linken Parteien. Da müssen Sie die Führung übernehmen, [...] sonst werden Sie auf unabsehbare Zeit in der Opposition bleiben.“ Ihm gegenüber sitzt Wolf von Lojewski, ehemaliges Gesicht des „heute journal“, der eine Große Koalition für das vielversprechendste Übel hält, grade wegen der stark gegensätzlichen Ansichten der beiden Parteien. Die Mitgliederbefragung der SPD hält er für die in die Praxis umgesetzte Forderung Willy Brandts, „mehr Demokratie wagen“. Probleme bei Rot-Rot-Grün sieht er besonders bei der ungewöhnlich großen Macht der Linken, die volle Kontrolle hätte, weil sonst die Koalition platzen würde.

Trotz aller Theorien, Diskussionen und Szenarien, sahen trotzdem alle Gäste der Runde die Große Koalition als wahrscheinlichste Lösung der Regierungsfrage. 73 Tage dauerten bisher die längsten Koalitionsverhandlungen laut Oskar Niedermayer, Parteienforscher der FU Berlin, der im Publikum saß. Eine Befristung gäbe es aber nicht. Womöglich müssen wir uns also auf eine lange Zeit einstellen, in der Deutschlands Zukunft im Ungewissen liegt.

Wer die Sendung verpasst hat, kann sie sich in der ARD-Mediathek ansehen.