Inflation der Superhelden

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 11. März 2012

In „Wenn Träume fliegen lernen“ gibt es eine Szene, in der James Barrie von einem kleinen Flur aus nervös die Premiere seines neuesten Stückes beobachtet. Als ein Platzanweiser vorbeikommt, hält Barrie ihn auf und zwingt ihn zu sagen, dass das neue Stück „richtiger Bockmist“ sei. Joe Johnston, der Regisseur des neuesten Marvel-Flicks „Captain America“, hat das wohl nicht getan. Ihm hat keiner gesagt, dass sein Machwerk richtiger Bockmist ist.

Die Geschichte von „Captain America“ dürfte nicht nur versierten Comic-Lesern vertraut sein: Der allergische Hänfling Steve Rogers (Chris Evans) möchte gern zur Armee und die Nazis bekämpfen, wird aber ausgemustert. Durch einen Zufall wird der brillante Wissenschaftler Dr. Erskine (Stanley Tucci) auf den schmächtigen Steve aufmerksam und wählt ihn aus, durch das Geheimprojekt "Rebirth“ doch noch zur US-Army zu kommen. Dr. Erskine injiziert ihm ein Serum, dass ihn im Handumdrehen zu einem enorm schnellen, extrem starken und herrlich glänzenden Adonis macht. Als „Captain America“ bekämpft er fortan das Böse in der Welt. Sein erster Gegner ist Johann Schmidt ( "Agent Smith" Hugo Weaving). Der war bis vor Kurzem die rechte Hand Hitlers und bekam dummerweise einen Prototypen des Serums in die Hände, das Steve zum Superhelden macht. Weil er die Weltherrschaft an sich reißen will, injiziert er es sich selbst – und während der Gutmensch Steve durch das Serum noch besser wurde, wird Johann Schmidt noch böser. So böse, dass er sich spontan die Haut vom Kopf zieht und nur noch einen roten Totenschädel mit Augen hat – Red Skull. Als Anführer der „Hydra“, einer ultrageheimen Geheimorganisation, plant Red Skull alle wichtigen Städte der Welt dem Erdboden gleich zu machen. Das deckt sich aber nicht mit den Plänen Captain Americas. Und schon ist er da, der alte Kampf Gut gegen Böse.

„Captain America“ mangelt es an vielem. Vor allem an Motivation. Der 140 Millionen Dollar schwere Streifen kommt geistlos und frei von jeglicher Innovation daher. Die ausgeprägte Eigenironie und die Rolle von Tommy Lee Jones als fieser aber liebenswerter Col. Chester Phillips rufen gelegentlich einen Schmunzler hervor, aber im Großen und Ganzen ist das neue Werk von „Wolfman“-Regisseur Joe Johnston nichts als ein bisschen schlechter Action, die man schon zu oft gesehen hat, angereichert mit einer lückenhaften Story und gar zu platten Figuren. Chris Evans hat seine schauspielerischen Fähigkeiten schon mehrfach bewiesen; für diesen Film jedoch hat er sie komplett abgestellt. Evans springt und hüpft durch die Gegend, befreit hier ein paar Gefangene, flirtet dort mit seiner Ausbilderin, kommt aber weder als Schauspieler noch als Figur zu Rande. Stattdessen verstrickt sich Captain America mehr und mehr in Belanglosigkeiten, die dem Zuschauer immer fragwürdiger erscheinen. Letztlich ist es die Aneinanderreihung von teuren CGI-Effekten, die den Zuschauer mit Mühe bei der Stange hält. Von Nachhaltigkeit keine Spur – nur visuelles Fastfood; Unterhaltung für das Dummvolk, das den faden Michael-Bay-Trash für große Kunst hält.

Der einzige Grund sich „Captain America“ anzusehen, ist Stanley Tucci, der als Dr. Erskine einfach grandios besetzt ist. Die Tatsache, dass er die Rolle nur annahm, um auf der Leinwand einmal einen deutschen Akzent imitieren zu können, schmälert jedoch die Freude über die Besetzung. Tommy Lee Jones ergeht sich einmal mehr in seiner üblichen Rolle, die zufällig dem Col. Chester Phillips, einem Verbündeten von Captain America, sehr ähnelt. Man könnte also sagen, auch Jones sei grandios besetzt. Hugo Weaving, seit Matrix einer der Lieblingsbösewichte Hollywoods, kommt über Ableger seiner Agent Smith-Interpretation auch nicht hinaus. Der restliche Cast versinkt in der Sparte „Ferner liefen“ und ist ebenso austauschbar wie profillos. Einen Teil der Schuld kann man den Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeely geben, die nicht bemerkt haben, dass die meisten Figuren eines Comics nur einen elementaren Charakterzug haben und deswegen zu flach sind um sie ohne Adaption in einen Film zu schreiben. Zwar nimmt sich „Captain America“ selbst nicht ganz ernst und spielt mehrfach mit dem übertriebenen Patriotismus der Comicvorlage, aber an anderer Stelle hätten Regisseur, Produzenten oder die Drehbuchautoren definitiv noch einmal überdenken müssen, was filmreif ist und was nicht. Das betrifft insbesondere das Ende – der elementare Konflikt des Films, der Kampf von Captain America gegen seinen Gegner Red Skull, wird aufgelöst, ohne dass Captain America etwas damit zu tun hätte.

Die Story und die Figuren von „Captain America“ entspringen der Fantasie von Marvel-Gründer Joe Simon, der das Comic 1941 entwickelte. Stan Lee hat es 1963 wieder aufleben lassen, indem er die „Avengers“, die Rächer, erdachte – eine Koalition aller wichtigen Superhelden der Comiclandschaft. Die Vereinigung der Avengers wurde von Iron Man, Hulk, Captain America und Thor gegründet. Somit ist Captain America der letzte der Avengers, der seinen eigenen Film bekam. Zumindest wollen uns die Filmstudios das Glauben machen - denn im Comic verließ Hulk das Avengers-Team schon nach der ersten Ausgabe und Captain America kam erst drei Ausgaben später hinzu. Die Avengers-Gründungsmitglieder Wasp und Ant-Man werden auch einfach übergangen. Ein Pärchen, das lediglich seine Größe verändern kann ist wohl keinen eigenen Film wert. Der Film zu eben jener Koalition, „The Avengers“, kommt planmäßig am 3. Mai 2012 in die deutschen Kinos und hat eine Besetzungsliste, die sich sehen lassen kann. Neben >Captain America< Chris Evans, >Iron Man< Robert Downey Jr., >Black Widow< Scarlett Johannson, >Thor< Chris Hemsworth, >Hawkeye< Jeremy Renner und Samuel L. Jackson als Nick Fury stehen auch Mark Ruffalo, Stellan Skarsgard und angeblich Gwyneth Paltrow vor der Kamera. Original-Hulk Lou Ferrigno wird nur als die Stimme von Hulk präsent sein.

 

Die Comic-Verfilmungen haben auch noch lange kein Ende gefunden: Anfang Juli 2012, nur zwei Monate nach „The Avengers“, kommt der neue Spider Man-Film in die Kinos. 2013 folgen „Thor 2“ und „Iron Man 3“ und 2014 schließlich soll „Captain America 2“ erscheinen. Man könnte meinen, das Thema sei spätestens nach „Catwoman“, der an den Kinokassen weltweit 18 Millionen Dollar Verlust einfuhr, vom Tisch gewesen. Oder doch schon 1997, als Basketball-Profi aber Schauspieler-Amateur Shaquille O'Neal den Superhelden „Steel“ spielte? Diesen Film kann man nicht einmal auf DVD kaufen. Wahrscheinlich weil von den 16 Millionen Dollar, die der Film gekostet hat, nicht einmal 2 wieder eingespielt wurden. Und auf der am 24. Juli beendeten weltgrößten Comicmesse in San Diego, der Comic-Con, ist bestimmt wieder neues Material hinzu gekommen, das sich mehr oder weniger profitabel in Drehbüchern verwursten lässt.

 

Andererseits gibt es Comic-Verfilmungen schon seit den 60ern. Die erste Fernsehserie um Batman umfasste 15 Episoden und erschien sogar schon 1943! Dass in dieser langen Geschichte einige Fehltritte sind, ist verzeihlich. Bevor das Genre in den 70ern von der Leinwand verschwand und nach einem kurzen Tim-Burton-Schluckauf in den frühen 90ern erst um die Jahrtausendwende wiederkehrte, war der erste große Schub in den 60ern schon durch. Und jetzt, zu Zeiten von Green Screen und 3D sind die Möglichkeiten noch vielseitiger, die gezeichneten Helden auf die Leinwand zu bringen. Der zweite große Superhelden-Schub kam 2002 durch Spiderman, der mit seinen bisher zwei Fortsetzungen fast zwei Milliarden Dollar einspielte. Die neuen Batman-Verfilmungen mit Christian Bale schwammen auf derselben Welle. Die Batman-Verfilmung „The Dark Knight“ ist einer von acht Filmen, der mehr als eine Milliarde Dollar eingespielt hat und gehört damit zu den zehn erfolgreichsten Filmen aller Zeiten. Allerdings kam der unschuldig-bunte Spiderman in der Post-9/11-Depression genau zur richtigen Zeit in die Kinos: Ein kleiner Mann wird zum Helden und rettet New York! Genau der Stoff, den die Welt seinerzeit sehen wollte. Und der so wenig comichafte Batman in „The Dark Knight“ und Heath Ledgers verstörend-kafkaeske Darstellung des Jokers waren Neuheiten und deshalb erfolgreich; der nächste Teil, „The Dark Knight Rises“, erscheint im Juli 2012. „Captain America“ dagegen ist weder eine Neuheit noch kommt er zur richtigen Zeit. Aber auch schlechte Kritiken können das moderne Hollywood bekanntlich nicht aufhalten. Die drei „Transformers“ Teile haben bisher 1,3 Milliarden Dollar eingespielt, obwohl jeder einzelne von den Kritikern zerrissen wurde. Der vierte Teil soll sogar der Anfang einer neuen Trilogie werden. Es folgt also noch viel mehr Unterhaltung aus der untersten Schublade. Unser aufgepumpter Captain America hat am Eröffnungswochenende sogar den profitabelsten aller dahergelaufenen Zauberer aus dem Rennen geschlagen. „Captain America“ ist offiziell erfolgreicher als der finale Harry Potter-Film! Was für eine Welt!

 

Vielleicht sollten einmal alle Superhelden und Comicfiguren gegeneinander antreten - und derjenige, der dann übrigbleibt, sollte das Privileg erhalten, dass nur noch über ihn oder sie Superhelden-Filme gemacht werden. Möge der Bessere gewinnen – Captain America jedoch drücke ich nicht die Daumen.

Die Talsohle der Superhelden-Filme - Captain America