Die Leiden der jungen A. - Im Ausländeramt

von Portrait von Arzu A. Kayvani Arzu A. Kayvani
Veröffentlicht am 15. Oktober 2014

Es war wieder soweit. Uns stand der Besuch eines lieben Menschen von weit her bevor. Trotz aller Freude bedeutet von weit her immer Visumspflicht und für mich mindestens  zwei bis fünf Gänge zum Ausländeramt, um eine Verpflichtungserklärung abzugeben. Das ist mal mehr, mal weniger unangenehm, jedoch nie wirklich angenehm.  Dass es aber noch sehr viel schlimmer als die letzten Male werden konnte, ahnte ich noch nicht, als ich am vergangenen Dienstag demonstrativ  frohen Mutes um Punkt 9 am Schalter der Ausländerbehörde stand. Frohen Mutes deshalb, weil ich mir einbildete, dass eine entspannte Mimik und ein freundlich-joviales Auftreten positive Energien auch in einer Ausländerbehörde freisetzen können. Wie sehr ich mich täuschen sollte wurde mir in der nächsten Sekunde bewusst, als mir der von meiner positiven Energie völlig unbeeindruckte Schalterbeamte verkündete, dass die Wartemarken aus seien.

Um 9 Uhr in der Früh?

Ja! Es gäbe eine neue interne Regelung, nach der täglich nur noch 20 Marken vergeben werden dürften. Ich möge doch bitte morgen um 08:00 Uhr noch einmal vorsprechen.

Hin war die entspannte Mimik und wich einer tiefen Verzweiflung, die sich ihren Weg in meine Gesichtszüge bahnte. Denn wenn ich meine zwei kleinen Kinder nicht um 4:30 wecken und um 06:30 in den Kindergarten bringen wollte, der unverfrorener Weise erst am späten Vormittag um 08:00 Uhr öffnete, war mir ein Vorsprechen zur vorgeschlagenen Uhrzeit schlichtweg unmöglich.

Nichts ist unmöglich dachte sich der Herr am Schalter ganz offensichtlich und zuckte mit den Achseln. Doch so freundlich und hilfsbereit wie er war, bot er mir an, um 10:00 Uhr noch einmal mein Glück zu versuchen.  Das passte mir gut, denn so hatte ich Zeit, einen aufheiternden Sprint durch den Regen zu unternehmen und mir am nächsten Bankautomaten die hoffentlich noch heute benötigte Gebühr zu besorgen.

Erfrischt und pünktlich um 3 Minuten vor 10 stand ich wieder am Schalter. Nach einem Blick auf die Uhr erklärte mir der Samariter von vorhin, ich sei zu früh und schüttelte den Kopf über mein Unvermögen, Zeitangaben einzuhalten. Ich war mir etwas unsicher, ob ich drei Minuten stehen bleiben durfte oder mich zu setzen hatte. Um keinen weiteren Ärger zu provozieren, setze ich mich kurz hin, um dann – dieses Mal pünktlich – um 10:00 Uhr wieder vorzusprechen.

Da die Wartesituation auf der elektronischen Tafel meinen Helfer in der Not nicht zufrieden stellte, durfte ich mich eine weitere Stunde entspannen, um dann um 11:00 Uhr noch einmal höflich nachzufragen. Also machte ich es mir abermals auf meinem angenehm angewärmten Stühlchen bequem und lauschte mit steigender Besorgnis den Ausführungen meiner Mitstreiter. So erfuhr ich, welche aufregenden Ereignisse mir wegen meiner Kinder morgens um 06:30 Uhr beim Ausländeramt versagt blieben. (Als Mutter zieht das Leben tatsächlich an einem vorbei.) Denn kurz nach Sonnenaufgang – so verriet man mir -  versammelten sich Massen verzweifelter Bürger vor dem Eingang der Behörde, um für eine Wartemarke buchstäblich in den Krieg zu ziehen. Sobald sich um 08:00 Uhr die Türen öffneten, begänne der Wettkampf um die Vorreiterstellung in den Aufzügen und Treppen. Wer unverletzt und halbwegs wohlbehalten am Schalter ankäme, vor dem ich nun mit vor Schreck aufgerissenen Augen saß, und einer Wartemarken Limited Edition ergatterte, durfte bleiben. Alle anderen mussten gehen, sich ihre Wunden lecken und tags darauf wieder in die Arena der Ausländerbehörde ziehen.

Was das überhaupt für ein furchtbares Wort sei – „Ausländeramt“ - presste meine Sitznachbarin angewidert hervor. In anderen Ländern habe man viel klangvollere Namen gefunden, wie etwa Aliens Department. Das Wort Ausländer sei schon so unverschämt. Was das denn heißen solle, als ob man aus einem anderen Land käme. Ja, die Bürokratie ruft das Schlimmste in den Menschen hervor…

Um Punkt 10:59:59 Uhr stand ich wieder stramm und tapfer lächelnd vor dem Schalter. Um 11:00 Uhr sackten meine Schultern nach vorne, als ich das tiefe Bedauern in den Augen meines Samariters sah. Ich straffte mich und verlangte nun in bestimmtem Ton den Behördenleiter zu sprechen. Ich habe nun einmal auch Rechte, wenn auch nur Menschenrechte.

Die erlaubten mir nun, 4 Stühle weiter zu rücken, vor das Zimmer der Behördenleiterin. Diese war dann auch nach einem kurzen Imbiss um 11:47 Uhr für mich zu sprechen. Mit wenig Verständnis für meine Situation belehrte sie mich darüber, dass ich – wie auf der professionellen Webseite der städtischen Behörden erklärt - telefonisch einen Termin hätte vereinbaren können, um mir die Warterei zu ersparen. Ich wurde angesichts der 174 Stunden in der Warteschleife der professionellen städtischen Behörden dann doch etwas ungehalten über diese Belehrung.

Ich weiß bis heute nicht, ob es die Verzweiflung in meinen Augen oder die klangvolle Rhetorik meines Plädoyers war – jedenfalls bekam ich um 12:17 Uhr eine Wartemarke. Einen kleinen nichtssagenden Fetzen Papier mit einer Nummer. Ich war nun Nummer 24. Der vierte Teil eines Quartetts, das heute nicht aufgegeben und sich seine Rechte erstritten hatte. Ich habe meine Kampfgenossen nie kennengelernt, bin aber mit ihnen seither im Herzen verbunden.

Das Warten fiel mir jetzt mit der Marke in der Hand und der Hoffnung im Herzen leichter. Nur meine Blase machte sich langsam aber sicher bemerkbar. Doch ich wollte meinen hart erkämpften Platz vor Zimmer 4 nicht durch einen völlig überbewerteten Toilettengang verderben und gebot meinem Körper Einhalt.

Um etwa 12:30 Uhr wurde ich hereingebeten und dann ging alles ganz schnell: Unterlagen geprüft, Gebühren bezahlt und Verpflichtungserklärung ausgestellt!

Irgendwie ich konnte ich mich an meinem Sieg nicht so richtig erfreuen. Die furchtbaren Erlebnisse und Erniedrigungen des Tages hatten mir schwer zugesetzt. Fluchtartig rannte ich zum Aufzug, um das Etablissement zu verlassen und wurde von meinem Samariter aufgehalten. Ob ich das Dokument denn auch geprüft habe, es käme immer wieder vor, dass seine Kollegen Fehler machten. Das Herz rutschte mir in die Hose, aber nach einem prüfenden Blick erkannte ich: Es war alles in Ordnung.

Auf meinem Weg zum Parkhaus beschloss ich, mich am Abend zu betrinken, nachdem ich das Papier per UPS für 76,83 EUR nach Bangkok geschickt haben würde. Denn auf die Deutsche Post wollte ich mich dieses Mal nicht verlassen. Die versprach mir nämlich noch vor 3 Monaten nach einem ähnlichen Erlebnis beim Ausländeramt, die Verpflichtungserklärung würde per Express Brief in maximal 5 Tagen beim Empfänger sein. Aus 5 Tagen wurden 20, der gebuchte Flug verließ Bangkok ohne meine Freundin und brachte mich heute wieder zum Ausländeramt.