Drew Barrymore liefert feinfühliges Regiedebüt

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 10. April 2012

Ellen Page hat eine senkrechte Karriere hingelegt. Mit nicht einmal 21 Jahren hat sie eine Golden Globe- und eine Oscar-Nominierung für ihre Darbietung des schwangeren Teenagers „Juno“ bekommen. Sie hat mit Hugh Jackman, Catherine Keener, Leonardo DiCaprio und Susan Sarandon zusammengearbeitet. Im Herbst erscheint der neue Film von und mit Woody Allen „Nero Fiddled“ - indem sie auch spielt. Schon 2009 übernahm sie die Hauptrolle in Drew Barrymores ambitioniertem Spielfilm-Regiedebüt „Roller Girl“. Die einzige Nominierung, die der Film irgendwo auf der Welt erzielte, war für das goldene Pferd auf dem Film Festival in Stockholm. Das ist verwunderlich, denn „Roller Girl“ hält viel mehr, als er verspricht.

Bliss Cavender (Ellen Page) ist ein 17-jähriges Mädchen, das in der Prärie in der Nähe von Austin, Texas eher schlecht als recht versucht, nicht zu verzweifeln. Ihre Mutter (Marcia Gay Harden) zwingt sie zur Teilnahme an dämlichen Schönheitswettbewerben, ihre frühere Freundin ist irgendwann „cool“ geworden und für ihren Kellnerjob im ranzigen „Oink Joint“ muss sie eine Schürze tragen, die wie ein Schwein aussieht. Als sie sich aber ein Roller Derby ansieht, wird in ihr die Lust wach, endlich etwas zu tun, das ihr wirklich Spaß macht. Nach ein paar Versuchen, die früheren Rollschuh-Künste wieder zu reanimieren, wird sie in das Team um Coach Razor (Andrew Wilson) aufgenommen, das dummerweise noch nie ein Derby gewonnen hat. Die Mädchen sind desillusioniert und sehen sich die Spielzüge von Razor gar nicht mehr an. Aber Bliss schlägt sich gut und ehe sie es sich versieht, steht das Team dank ihr im Finale. Dumm nur, dass ihre Eltern nichts davon wissen und am selben Tag ein wichtiger Schönheitswettbewerb ansteht.

Drew Barrymore hat schon eine Weile nicht mehr von sich reden gemacht. Nachdem der 1975 geborene Spross einer vier Generationen zurückreichenden Schauspielerfamilie mit neun Jahren das erste Mal betrunken war, mit 10 den ersten Joint rauchte und mit 12 das erste Mal Kokain schnupfte, war sie mit 14 nach mehreren Entziehungskuren und Anstaltsaufenthalten wieder clean und schrieb auch gleich ihre Memoiren „Little Girl Lost“ wurde veröffentlicht, als sie 15 war. Danach verschwand das kleine Mädchen, das mit „E.T. - Der Außerirdische“ Weltruhm erlangte und mit 10 Jahren für ihren ersten Golen Globe nominiert war, weitestgehend von der Bildfläche, sorgte 1995 auf der Titelseite des „Playboy“ kurz für Furore und kam erst durch eine kleine Rolle in Wes Cravens Schlitzer-Klassiker „Scream“ wieder an die Bildoberfläche. Seitdem arbeitete sie sich als Produzentin und Schauspielerin wieder nach oben. Sie hatte 2004 schon eine Dokumentation über das Wahlverhalten junger Amerikaner gedreht. Zu Wort kamen unter anderem Michael Moore („Fahrenheit 9/11“) und Bill Maher („Religulous“). 2009 erschien schließlich das Projekt, an dem sie nach eigener Aussage über zwei Jahre hinweg sechs bis sieben Tage pro Woche gearbeitet hatte - „Roller Girl“, ein Coming-Of-Age-Film mit Ellen Page in der Hauptrolle. Mit zweijähriger Verspätung kam der Film am 1. September 2011 auch in die deutschen Kinos.

Drew Barrymores Debüt-Film ist ganz anders, als die Hauptfigur es zu Beginn ist – Bliss ist introvertiert, trägt eine dicke Brille und kommt nicht wirklich in Gang. Stattdessen schleppt sie sich von einem Schönheitswettbewerb zum nächsten und lässt sich von ihrer Mutter das Frauenbild der 50er eintrichtern. Aber die durchgeknallten, bunten und brutalen Roller Derbys haben es ihr dann angetan – Bliss entdeckt, wofür es sich zu kämpfen lohnt.

Das ist nicht die neueste Geschichte der Welt. Aber „Roller Girl“ hat erstaunlich viele gute Momente. Ellen Page ist wie immer grandios, Marcia Gay Harden und Daniel Stern, die die Eltern von Bliss spielen, glänzen ebenso wie Juliette Lewis, die ihre Rolle des dreckigen White-Trash-Miststücks wahrhaft lebt. Schade, dass der Trailer schon den gesamten Film vorwegnimmt und es kleinere Lücken beim Drehbuch gibt. Am schwersten zu ertragen ist, dass es innerhalb der ersten Stunde gar keinen Konflikt gibt – Bliss macht endlich etwas, das ihr Spaß macht, sie bekommt Beachtung, lernt einen vielversprechenden Jungen kennen und wird zu einem „coolen“ Mädchen. Erst spät kommt der Film in Fahrt und wirft seiner Hauptfigur ein paar Brocken in den Weg – dann aber gleich alle auf einmal – ihre Rivalin findet heraus, dass sie bezüglich ihres Alters gelogen hat und eigentlich gar nicht an den Derbys teilnehmen dürfte, ihr Freund macht Schwierigkeiten, ihre beste Freundin ist sauer und ihre Eltern finden schlechterweise heraus, was ihr neues Hobby ist. Nur der Wandel von Bliss zu einem coolen Mädchen wirkt etwas plump – in das Team aufgenommen zu werden ist, anders als der Trailer einem Glauben macht, überhaupt gar kein Problem und urplötzlich trägt das schüchterne Mädchen aus der Pampa dicken Lidstrich und Kontaktlinsen. Auch dass eine ihrer Kolleginnen aus dem Team praktisch aus dem Nichts zu einer engen Vertrauten wird, erscheint recht unmotiviert.

Trotz kleiner Unzulänglichkeiten ist „Roller Girl“ im Gesamten ein tolles Debüt. Der Soundtrack ist großartig, die stillen Momente sind feinfühlig beobachtet und machen „Roller Girl“ zu einem wenig beachteten Film, den man auf jeden Fall gesehen haben sollte. In kleineren Rollen sind Drew Barrymore selbst und Tarantinos Lieblings-Stuntfrau Zoe Bell zu sehen.

 

DVD und Blu-ray erscheinen am 3. Februar. Die DVD bietet geschnittene Szenen, kurze Interviews und ein paar Trailer.

Coming-Of-Age-Story mit Ellen Page - Roller Girl