Simon Borowiak

Autor und Journalist

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 17. September 2012

Erzähl' doch bitte etwas über Dich selbst.

Im November 1964 in Frankfurt/Main geboren, dann durch sieben Schulen mäandert, aber hauptberuflich am Hoch'schen Konservatorium gewesen, in einem Förderprogramm mit Hauptfach Klavier. Ich wollte Pianist werden, aber meine Nerven haben nicht mitgemacht, bzw. waren sie auf dem Podium schneller als die Finger. Blieben nur noch „Schreiben“ oder „Malen“ übrig. Vorsichtshalber erst vier Semester Jura und Publizistik studiert, zwischendurch Texte an „Titanic“ geschickt, dort sieben Jahre Redakteur gewesen, seit 1992 Freiberufler. Sieben Jahre Odyssee durchs Ausland, jetzt seit acht Jahren begeisterter, nahezu paranoid-patriotischer Hamburger.

Die meisten Deiner Romane kamen sehr gut an, besonders „Frau Rettich, die Czerni und ich“ - und auch „Alk – Fast ein medizinisches Sachbuch“ hat positive Kritiken bekommen. Auch Dein neuester Streich „Du sollst eventuell nicht töten“ ist wieder bitterböse, rabenschwarz und verdammt lustig. Worüber hast Du zuletzt richtig herzlich gelacht?

Zur Zeit lache ich gar nicht. Oder wenn, dann nur verbittert: Ich muss nämlich gerade die Steuer machen, obwohl ich immer knapp am Hartz-IV-Niveau herumschrabbe. In diesen Zeiten bin ich traditionell sehr ernst und in mich gekehrt. Nota bene: Von Büchern kann man praktisch nicht leben!

Zur Zeit lache ich gar nicht. Oder wenn, dann nur verbittert.

Liest Du die Kritiken zu Deinen Romanen, oder sind Dir die Kritikerstimmen egal?

„Egal“ wäre mehr als gelogen -  jeder einzelne Verriss schmerzt, auch wenn er von einem analphabetischen Idioten stammt. Das ist wie mit einem Hieb in den Magen: Es tut weh, egal wer zugeschlagen hat. Da ich selbstkritisch bis zur Selbstabwertung bin und die Gefahr der Überheblichkeit nicht besteht, will ich es in diesem Jahr mit einer Kritik-Diät versuchen: Ein Freund siebt aus und gibt mir nur die aufbauenden Besprechungen zu lesen. Vielleicht erspare ich mir damit eine Menge Wut und Trauer.

Der Held in „Du sollst eventuell nicht töten“ ist ein Mittvierziger mit unklarem Beruf, der seinem blinden  Kumpel regelmäßig Lebensmittel von seinen Shoppingtouren in Supermarkt-Müllcontainern unterjubelt. Und dann verliebt er sich spontan in seine neue Nachbarin, die 20 Jahre jünger ist als er. Steckt da wieder etwas Autobiografisches drin? Und wenn ja – wie viel?

Keine Parallelen, denn ich bin schließlich schon ein Endvierziger mit unklarem Beruf und Containererfahrung. Und was das Verlieben angeht: Nebenan wohnt zur Zeit ein älterer Typ und irgendwelche positiven Gefühle wollen sich da so gar nicht einstellen.

„Du sollst eventuell nicht töten“ zeichnet sich auch dadurch aus, dass absurde Geschehnisse mit ziemlicher Gleichgültigkeit hingenommen werden. Schlomo, der Held Deines Buches, wirkt permanent unentschlossen und den Dingen, die um ihn herum passieren, hilflos ausgeliefert. Ist das eine Kritik an der deutschen Grundstimmung mit niedrigen Wahlbeteiligungen und chronischer Lethargie? Immerhin wird ja jeder, der heute demonstrieren geht, gleich als „Wutbürger“ abgetan.

Die verdammte Politik nimmt mich jetzt seit über 30 Jahren mit. Und nicht etwa, dass mein Interesse abflauen würde, es wird im Gegenteil immer schlimmer und mein Zorn gerade bei Wiederholungen altbekannter Muster heftiger. Und da genieße ich es, zumindest auf dem Papier jemanden zu haben, der mit einer gottergebenen Leck-Arsch-Haltung durchs Leben geht.  

Du hast mal in einem Interview gesagt: „Lachen ist Erlösung. Komik ist Lebenserhalt: Sie tröstet, relativiert Verzweiflung, gibt Hass eine zivilisierte Form – Komik ist Gott.“ Wenn Komik Gott ist, muss Schwermut der Teufel sein. Du hattest lange mit Depressionen zu kämpfen und wolltest nicht in Selbstmitleid versinken. Abgesehen von Humor, was hat Dir noch Rückhalt gegeben? Wie überwindet man eine jahrelange Depression?

Ich genieße es, zumindest auf dem Papier jemanden zu haben, der mit einer gottergebenen Leck-Arsch-Haltung durchs Leben geht.  

Gar nicht. Ich werde offenbar bis zum Ende an ihr zu knabbern haben. Immer wieder schlägt sie mir mit ihrer gusseisernen Bratpfanne auf Kopf und Gemüt. Und ich muß mich jedes mal neu aus ihr retten.

Für „Titanic“ zu schreiben ist der große Traum vieler junger Journalisten. Du wurdest damals wegen Deines derben Humors engagiert, obwohl Du noch sehr jung warst. Erinnerst Du Dich, wie Du Deinen Humor bewiesen hast? Gab es beim Vorstellungsgespräch so etwas wie einen Schlüsselmoment?

Erstens gab es kein Vorstellungsgespräch in dem Sinne. Sie hatten Texte von mir genommen und mich zu ihren Montagskonferenzen eingeladen. Und da ich eh um die Ecke wohnte, hockte ich dann hartnäckig wie ein Stockfleck in der Redaktion herum, bis eine Redakteursstelle frei wurde und es für alle irgendwie logisch war, daß ich sie bekam. Echt jetzt! Und zweitens: dass mein Humor zu dieser Zeit „derb“ war, kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil: Am Anfang fielen mir vor Scham fast die Ohren ab ob der dort geführten Reden. Da erst erlernte ich die hohe Kunst der gut platzierten Geschmacklosigkeit.

Was macht eine gute Satire aus? Gibt es so etwas wie goldene Regeln, die man nicht brechen darf, oder brechen muss?

Jeder Satiriker hat seine eigenen Regeln. Meine lautet: Nie auf das Opfer, immer auf den Täter.

Am Anfang fielen mir bei „Titanic“ vor Scham fast die Ohren ab ob der dort geführten Reden. Da erst erlernte ich die hohe Kunst der gut platzierten Geschmacklosigkeit.

Angenommen, Du wärst mit 21 Jahren nicht bei „Titanic“ gelandet – wo würdest Du heute stehen? Gab es noch andere Alternativen, als Deinen derben Humor zum Haupteinkommen zu machen?

Nochmal: Das „derb“ nimmst Du zurück! Ich bin doch nicht Mario Barth! Obwohl ich gerne seine Kohle hätte. Dann würde mir auch die Steuer mehr Spaß machen. Aber sonst - nee, nee, eigentlich gab es keine Alternativen. Außer der Musik.

Was ist Dein nächstes großes Projekt?

A propos Musik: Es gibt eine neue Titanic-Kolumne, und zwar mit Musik! Mit meinem alten Abi-und Konservatoriumskollegen, dem wirklich - und das meine ich ausnahmsweise mehr als ernst! - genialen Komponisten Moritz Eggert zusammen puzzel' ich gerade an neuen deutschen Volksliedern. Ansonsten schreibe ich die Fortsetzung von „...eventuell nicht töten“ und muddel' auch weiterhin an Bildern und merkwürdigen Skultpuren herum.

Die Inselfrage: welche fünf Bücher würdest Du mitnehmen?

Die „Essais“ von Montaigne, „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ von Carson McCullers, „morbus fonticuli“ von Frank Schulz, „Das Pferd ohne Kopf“ von Paul Berna und „Pawlows Kinder“ von mir.

Was liest Du grade privat?

„Gewächshaus mit Alpenveilchen“  - Rebecca West über die Nürnberger Prozesse: Sagenhaft!

Gibt es noch etwas, das Du unbedingt mitteilen möchtest; eine finale Weisheit?

Es kristallisiert sich offenbar heraus:

1.    Es gibt keinen Gott.

2.    Jeder Krieg ist ein Wirtschaftskrieg.

3.    Nur drei Teile pro Kabine.

Zur Rezension von „Du sollst eventuell nicht töten“ geht's hier.