Kadir Aydemir

Schriftsteller, Verleger

von Portrait von Arzu A. Kayvani Arzu A. Kayvani
Veröffentlicht am 10. Januar 2013

Kadir, erzähle ein bißchen von Dir. Wo wurdest Du geboren, wo lebst Du heute, was machst Du so?

Ich wurde 1977 in Istanbul geboren. Ich bin auf der asiatischen Seite in Kadiköy und Maltepe aufgewachsen und lebe heute im Stadtteil Harbiye. Die Familie meines Vaters, deren ältester Sohn er ist, kommt aus dem armenischen Ardahan und kam in den 50’ern als Arbeiter nach Istanbul. Ich habe meinen Vater 1994 verloren, als ich 17 Jahre alt war. Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen in der ich das Schicksal aller armen Arbeiterfamilien geteilt habe. In dieser Umgebung habe ich das Teilen, die Natur und den täglichen Kampf der Menschen entdeckt.  Und ich habe die Bücher für mich entdeckt. Das Lesen hat eine neue Suche in mein Leben gebracht. Später, nach einer mehr schlechten als rechten Ausbildung, zahlreichen Jobs als Herausgeber eines Poesie-Magazins und der Webseite yitikulke.com, habe ich mich in der Welt der Schriftstellerei wiedergefunden.

Du bist Verleger. Welches Buch hat Dich bis heute am meisten beeinflusst bzw. beeindruckt?

Bücher vorzubereiten, zu schreiben und herauszugeben ist ein Kindheitstraum von mir. Es fällt mir schwer, auf einen Schlag ein Buch herauszupicken. Aber ich denke, das waren „Auch Angewohnheiten ändern sich“ von Yannis Ritsos, „Zwanzig Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung“ von Pablo Neruda und „Zorba“ von Nikos Kazancakis

"Am meisten haben mich die Bücher „Auch Angewohnheiten ändern sich“ von Yannis Ritsos, „Zwanzig Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung“ von Pablo Neruda und „Zorba“ von Nikos Kazancakis beeinflusst"

Kannst Du Dich an das erste Buch erinnern, das Du gelesen hast?

Das erste Buch, das ich gelesen habe war „Wolfblut“ von Jack London, ich war tief beeindruckt. Vor diesem Buch gab es nichts für mich, danach kam die Sintflut ? Es ist ein großes Werk

Ich gehe mal davon aus, dass Dir jährlich hunderte von Manuskripte zugeschickt werden mit der Bitte um Veröffentlichung. Wie wählst Du aus?

Unser Verlagshaus ist ein sich ständig entwickelndes, ein für alle Ideen und Bücher offenes Haus. Alle Manuskripte, die uns zugehen, lese zuerst ich. Und wenn es mir gefällt und ich es für ein künstlerisch wertvolles Werk halte, setze ich mich mit meinen Editoren zusammen und bespreche das Werk. Danach setzen wir uns mit dem Autoren zusammen und besprechen alles. Hier in der Türkei ist es denkbar schwierig und mühsam, ein Buch herauszubringen.

"Das erste Buch, das ich gelesen habe, war "Wolfsblut" von Jack London" 

Welches Werk hat Dich zuletzt überrascht?

Wir haben zwei literarische Sammlungen herausgegeben; einmal „Das Buch der eigenartigen Gewohnheiten“ von 126 verschiedenen Autoren und dann „Des Unterschriftenmädchens“ von 114 Autoren. Aufgrund der Sammlung so vieler verschiedener Autoren, war die Resonanz sehr hoch. Auch die Romane „Schwarze Sardinen“ und „Sozes Schrammen“ (von Nehir Yilmaz) werden von der Leserschaft sehr gut angenommen und im Internet sehr empfohlen, was mich natürlich glücklich macht. Das positive Aufsehen, dass diese Bücher im Internet erregen, überrascht mich tatsächlich sehr.

Kannst Du Dich an Dein lustigstes Erlebnis im Berufsleben erinnern?

Der Job als Verleger bietet aufgrund der vielen Müdigkeit, den Überraschungen, dem Staunen und der Tapsigkeit viele komische Vorfälle. Einmal haben wir ein Buch in Druck gegeben und das Inhaltsverzeichnis komplett vergessen. Es ist dann mit zwei leeren Seiten zu Anfang in die Buchhandlungen gekommen. Zum Glück war der Autor ein enger Freund von uns, so dass es nicht so dramatisch war. Naja, solche Sachen passieren eben manchmal...

Und über was hast Du Dich zuletzt sehr geärgert?

Es gibt eine Sache, die ich einfach nicht verstehe. Gedichtbände und Gedichtbücher stoßen im Handel auf eine sehr schlechte Resonanz und werden eigentlich gekauft, ohne gelesen zu werden. Man will sie einfach nur haben. Aber jeder läuft herum und prahlt damit, Gedichte zu lesen und selbst Gedichte zu schreiben. Und dann fehlen mir die Worte zu all denjenigen, die uns Manuskripte zusenden, ohne sich mit der Philosophie und Politik unseres Verlagshauses zu beschäftigen oder diese zu respektieren.

 

Du lebst in der Metropole Istanbul. Ist es hier in dieser Stadt einfacher zu schreiben?

Istanbul ist eine schwierige Stadt…Eine Stadt, die ihre Einwohner verschlingt. Sie hat natürlich auch ihre schöne Seiten, aber wenn man arm ist und wenige Möglichkeiten hat, dann hat man es hier sehr schwer. Ich musste wirklich hart kämpfen, um auf eigenen Beinen zu stehen; besonders als mein Vater gestorben ist und ich mit 17 Jahren meine Ausbildung abbrechen und arbeiten musste, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Meines Erachtens ist Schreiben ohnehin ein Talent. Das hat man in die Wiege gegeben oder auch nicht. Wenn die Muse Dich nicht geküsst hat, wird das auch nichts, Egal wo Du lebst. Hier bei uns sagt man „Wenn Du schon ertrinkst, dann wenigstens im Ozean“…Istanbul bedeutet Kampf.

"Mir fehlen die Worte zu all denjenigen, die uns Manuskripte zusenden, ohne sich mit der Philosophie und Politik unseres Verlagshauses zu beschäftigen oder diese zu respektieren" 

Stell Dir vor, ein alter Freund besucht Dich das erste Mal in Istanbul. Was würdest Du ihm alles zeigen?

Auf jeden Fall würde ich ihm die Stadtteile Kadiköy, Moda und Taksim, Die große Insel (Büyükada) und die Burgaz Insel (dort gibt es das Sait Faik Museum), den Strand von Be?ikta? und den Mädchenturm zeigen. Sultanahmet, die Hagia Sofia, der versunkene Palast, der Galata Turm und die Galata Brücke sind auch wichtig. Istanbul ist eine sehr geheimnisvolle und poetsche Stadt

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"Istanbul bedeutet Kampf"

Hast Du Dich je so richtig blamiert? Wann zuletzt?

Mich beschämen immer die Taktlosigkeiten anderer. Das ist wohl eine Erziehnungssache. Mich verletzen Menschen, denen jedwede empatische Fähigkeit abgeht, die überhaupt kein Gespür für andere, deren Sorgen und Nöte haben und die türkische Sprache nicht ordentlich gebrauchen (der Himmel alleine weiß, was das ist, was sie da sprechen). Angefangen von der Gewalt gegenüber Frauen, gegenüber Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, gegenüber den Lebenwesen und der Natur über all die Schülern und Studenten, die bei Protesten mit Gas traktiert und nachts aus ihren Wohnungen gerissen werden, bis hin zu den Journalisten und Akademikern, die Jahre lang in den Gefängnissen sitzen, weil die eigeneMeinung offensichtlich noch immer eine Straftat ist oder den 300 Mitarbeitern von Turkish Airlines, die ganz plötzlich und ohne Grund entlassen werden ziegen mir, dass unser Land gerade ein sehr befremdliches Kapitel schreibt. Als ein Bewohner dieses Landes und als ein Schriftsteller wünschte ich mir eine demokratischere und freiheitlichere Umgebung. Doch zum Schluß frage ich mich, ob nicht das Töten von Millionen von Menschen im Irak durch die Amerikaner nicht die Ursache der größten Scham ist...

"Mich verletzen Menschen, denen jedwede empatische Fähigkeit abgeht, die überhaupt kein Gespür für andere, deren Sorgen und Nöte haben"

Auf was freust Du Dich gerade?

Ich freue mich gerde ganz riesig auf das Erscheinen meines Geschichtsbuches “Lieblose Schatten” (Asksiz Gölgeler) in deutscher Übersetzung in Deutschland im Binooki Verlag.  Und wer weiß, wenn mein Buch ertsmalig in Deutschland erscheint, habe ich vielleicht die Chance, zum ersten Mal nach Deutschland zu kommen und die dortige Geschichte zu erkunden. 

 

Dann kommst Du uns aber besuchen! Vielen Dank für das sehr interessante Interview und viel Erfolg mit Deinem Buch! Und herzliche Grüße nach Istanbul :)