Jürgen Heimbach

Krimi-Autor

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 13. August 2012

Erzähl doch bitte etwas über Dich selbst.

Geboren bin ich 1961 am Zusammenfluss von Rhein und Mosel, in Koblenz, damals noch eine riesige Garnisons-Stadt, in der Soldaten das Stadtbild prägten. Dort habe ich bis zu meinem 24. Lebensjahr gelebt, bin zur Schule gegangen, habe eine kaufmännische Ausbildung und dann das Abitur gemacht. Von Koblenz bin ich dann 100 Kilometer rheinaufwärts gezogen, erst für zwei Jahre nach Wiesbaden, dann nach Mainz, wo ich seitdem lebe, inzwischen in dem Stadtteil Gonsenheim, mit Frau, Kind und Hund. In Mainz habe ich Germanisitik und Philosophie studiert, habe seit früher Jugend schon immer gejobbt, so auch während des Studiums. So mit 17 habe ich begonnen, meine künstlerischen Neigungen auszuleben, erst mit Photographie und Schreiben, dann kamen Film und Theater. In Mainz habe ich am Staatstheater als Regieassistent gearbeitet und mit einer freien Theatergruppe ein eigenes Haus gegründet, das wir so sechs oder sieben Jahre betrieben haben und daneben Festivals organisiert, danach auch Ausstellungen mit der Künstlergruppe „V-I-E-R“, in der Hauptsache Installationen, Film, Photo, Graphik und Text. Während dieser Zeit habe ich eine Hospitanz beim ZDF gemacht und bin da geblieben, als Redakteur für Theater. Ich habe lange Jahre das Theatermagazin „Foyer“ auf 3sat und im ZDFtheaterkanal betreut, daraus ist inzwischen das Performings Arts-Magazin „kulturpalast“ geworden, und aus dem ZDFtheaterkanal zdf.kultur.

Du veröffentlichst hauptsächlich Kriminalliteratur. Wie bist Du zu diesem Genre gekommen?

Wie gesagt, ich habe schon früh mit Schreiben begonnen, kürzere und längere Texte, auch Lyrik, auch mal was für's Theater und Drehbuchversuche, aber das ist durch die anderen Interessen etwas ins Hintertreffen geraten. Erst vor einigen Jahren bin ich durch einen Wettbewerb, in dem es um einen Kinder- und Jugendkrimi ging, wieder zum Schreiben gekommen und habe ziemlich schnell Feuer gefangen. Ich habe diesen Wettbewerb zwar nicht gewonnen, aber der beteiligte Verlag hat an meinem Text Interesse gezeigt. Bei diesem Verlag ist dann nichts mit einer Veröffentlichung geworden, aber nach einigem Hin und Her und weiteren Manuskripten, mittlerweile auch für „Erwachsene“, konnte ich einen Verlag finden und dann ging es so weiter. Beim Schreiben des Jugendbuches habe ich bemerkt, dass das Genre „Krimi“, das ja ein unheimlich weit gefasstes ist, mir sehr hilft und Möglichkeiten bietet, da es eine Logik erzwingt, sei es, was die Handlung, die Psyche und den Aufbau angeht. Mir hilft das beim Schreiben, aber auch schon im Aufbau der Geschichten und in diesem Rahmen entstehen dann ganz viele Möglichkeiten. Und wie schon gesagt, „Krimi“ ist ein ganz weites Feld.

Wann hast Du gemerkt, dass Schriftstellerei etwas für Dich sein könnte. Gab es da so etwas wie ein Schlüsselerlebnis?

Beim Schreiben bestimme ich erst einmal alles selbst: was ich schreibe, wo ich schreibe, wann ich schreibe – und ich entwerfe mein eigenes Universum, ohne Rücksicht nehmen zu müssen.

Ein Schlüsselerlebnis nicht, aber durch meine Erfahrungen mit Film, Theater und bei den Ausstellungen, wo man im Kollektiv arbeiten muss, was ich auch ganz gut kann, habe ich bemerkt, dass ich in vielen Bereichen Kompromisse machen muss – was die Kunst selbst, aber auch die Organisation angeht. Beim Schreiben bestimme ich erst einmal alles selbst: was ich schreibe, wo ich schreibe, wann ich schreibe – und ich entwerfe mein eigenes Universum, ohne Rücksicht nehmen zu müssen. Zumindest, wenn man nicht zu deutlich auf den Markt und den gerade angesagten Trend schaut, sondern sein eigenes Ding macht.

Am 20. August erscheint Dein neuer Roman „Unter Trümmern“. Bist Du vor Veröffentlichungen noch aufgeregt?

Ja, klar, da bin ich sehr gespannt auf die Reaktionen. Wie wohl die meisten lese oder höre ich nicht gerne Verrisse. „Unter Trümmern“ ist zudem in zweifacher Hinsicht eine Premiere: zum Einen ist es mein erster Roman, der beim, was Krimis angeht, sehr renommierten Pendragon Verlag veröffentlicht wird - die letztjährige deutsche Krimipreisträgerin kommt von dort - und ich habe zum ersten Mal einen historischen Roman geschrieben.

„Unter Trümmern“ spielt 1946. Basiert der Roman auf einer Familiengeschichte, die Dir mal erzählt wurde, oder ist alles erfunden?

In meiner Kindheit in den 60ern waren noch viele Folgen des Krieges zu sehen: Ruinen bombenzerstörter Häuser in der Stadt, kriegsversehrte Menschen, meistens Männer, denen ein Bein oder ein Arm fehlte. Diese visuelle Erfahrung ist auf die eine oder andere Weise auch in den Roman mit eingeflossen.

Es ist alles erfunden. Das heißt, ich habe sehr viel recherchiert, in Büchern, im Internet und in Archiven, in der Hauptsache dem Mainzer Stadtarchiv, wo man mir ganz toll geholfen und mich unterstützt hat. Und natürlich Gespräche mit Menschen, die sich entweder mit dieser Zeit beschäftigen, sie erlebt haben oder Geschichten und Anekdoten zu erzählen wussten. Und ein wenig haben mir meine eigene Erinnerungen geholfen: ich bin Jahrgang 1961 und in meiner Kindheit in den 60ern waren noch viele Folgen des Krieges zu sehen: Ruinen bombenzerstörter Häuser in der Stadt, kriegsversehrte Menschen, meistens Männer, denen ein Bein oder ein Arm fehlte. Diese visuelle Erfahrung ist auf die eine oder andere Weise auch in den Roman mit eingeflossen. 

Liest Du die Kritiken zu Deinen Romanen?

Ja, am liebsten natürlich die positiven. Negative entsprechend weniger gerne, ich kann aber mit ihnen leben, wenn ich das Gefühl habe, dass an dieser Kritik etwas dran ist. Überhaupt nicht abhaben kann ich, wenn die Kritik persönlich verletzend wird, wie mir das leider schon passiert ist.

Wer sind Deine literarischen Vorbilder?

Ich mag Autoren, in deren Arbeiten sich etwas von ihrem eigenen Leben und Erfahrungen widerspiegelt, natürlich literarisch verarbeitet, aber nicht kalt. Klaus Mann ist so jemand, den ich sehr mag. Während meines Studiums habe ich alles von André Gide und Julien Green verschlungen, ich mag von den zeitgenössischen Krimiautoren international Peter Temple oder national Wolfgang Schorlau. Ersteren, weil er literarisch höchst ambitioniert schreibt, zweiten, weil er es schafft, gesellschaftliche Themen und Fragen sehr raffiniert in eine gute Krimi-Story zu packen. Und, das fällt mir jetzt noch ein, Graham Greene: Er verbindet Stil, Raffinesse, sagenhaft clevere Plots und verhandelt dabei gesellschaftliche und moralische Fragen. Und natürlich Jörg Fauser, ein grandioser Stilist.

Was ist Dein nächstes Projekt?

Ich finde es auch ebenso befremdlich wie faszinierend, wenn Freunde meines Sohnes mit 15 oder 16 schon ganz genau wissen, was sie werden wollen – und es dann tatsächlich auch machen.

Ich schreibe „Unter Trümmern“ weiter, mit den gleichen Protagonisten und natürlich neuen, im Jahr 1947, ein Jahr nach „Unter Trümmern“. Es geht wieder um Morde, die Hintergründe liegen in den 20er Jahren während der Rheinlandbesetzung und deren Folgen in den 30 Jahren, als die Nazis an der Macht waren. 1947 wurde auch das Landeskriminalamt in Rheinland-Pfalz gegründet, das ist ein äußerer Eckpunkt. Und im Kopf habe ich einen dritten Band, der 1951 angesiedelt ist, dem Jahr, in dem das Bundeskriminalamt gegründet wurde, wo noch Ende der 50er Jahre die Spitzenpositionen zu mehr als zwei Drittel von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAP-Mitgliedern besetzt wurden. Für Paul Koch, den Protagonisten aus „Unter Trümmern“ und in besonderer Beziehung zu alten Nazis in neuen Positionen, ist da eine Menge Erregungspotential.

Wenn Du einen anderen Beruf hättest wählen müssen, welcher wäre das?

Ich weiß gar nicht, ob ich meinen Beruf so richtig gewählt habe im Sinne einer Entscheidung, dass ich das oder jenes werden will. Es hat sich entwickelt und das hat seine Richtigkeit. Ich finde es auch ebenso befremdlich wie faszinierend, wenn Freunde meines Sohnes mit 15 oder 16 schon ganz genau wissen, was sie werden wollen – und es dann tatsächlich auch machen. Daher kann ich auf diese Frage keine konkrete Antwort geben.

Die Inselfrage: Welche fünf Bücher würdest Du mitnehmen?

Weil ich nicht weß, wle lange ich es auf der Insel aushalten muss, werden das dicke Schinken sein. Zuerst einmal die Bibel, weil ich die nur rudimentär gelesen habe – und ich glaube, ein Schriftsteller sollte sie kennen. Ich würde nochmals den „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil lesen, der mich vor vielen Jahren sehr amüsiert hat, Albert Vigoleis Thelens „Die Insel des zweiten Gesichts“, ein ganz eigenwilliger, ausufernder Roman, der in den 30er Jahren auf Mallorca spielt, Jörg Fausers „Rohstoff“ und Joseph Breitbachs „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf“.

Was liest Du grade privat?

Von Jan Zweyer „Franzosenliebchen“, ein Kriminalroman, der während der Ruhrbesetzung durch die Franzosen im Jahre 1923 spielt, also mit einer gewissen thematischen Affinität zu meinem neuen Buch. Ich mache das eigentlich nicht gerne, Romane, die zu nahe an meinen eigenen sind, während der Arbeit daran zu lesen, aber ich habe da einen ganz anderen Schwerpunkt und die eigentliche Handlung spielt ja, wie ich schon gesagt habe, 1947. Bei „Unter Trümmern“ habe ich das überhaupt nicht gemacht, thematisch verwandte Romane zu lesen, und ich habe erst, nachdem ich mit dem Manuskript fertig war, entdeckt, dass es schon einige Krimis gibt, die in dieser Zeit spielen. Da hat meine Eitelkeit, dass ich ein ganz neues Thema entdeckt hätte, einen Dämpfer erhalten. Aber im Ernst: mich hat das Thema sehr interessiert, weil es eine Zeit ist, in der viel möglich war, im Guten wie im Schlechten, es herrschte eine gewisse Anarchie.   

Deine Erzählungen spielen oft in Mainz. Du wohnst auch selbst dort. Was gefällt Dir an der Stadt besonders?

Mainz ist zwar keine riesige Stadt, dafür aber übersichtlich mit sehr offenen und geselligen Menschen, die sehr stolz auf ihre Stadt und ihre Geschichte sind und daraus eine große Portion Selbstbewusstsein ziehen. Immerhin war Mainz im Mittelalter eine der bedeutendsten deutschen Städte, war mit Worms und Speyer zusammen das Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit und später der Ort der ersten Demokratie in Deutschland. Ich glaube, das Bewusstsein dessen haben die Mainzer in ihren Genen. Zudem, was die Größe angeht: Mainz ist Teil des Rhein-Main-Gebietes, Wiesbaden liegt auf der anderen Rheinseite, Frankfurt keine vierzig Kilomter entfernt, Darmstadt, Offenbach und einige andere Städte sind in der Nähe, es gibt also ein riesiges kulturelles Angebot. Und wer in die Natur will, kann ins Rheinhessische, den Hunsrück oder den Taunus fahren.

Gibt es noch etwas, das Du unbedingt mitteilen möchtest?

Das war jetzt so viel, nein, im Moment fällt mir nichts ein.