Hendrik Buhl

Autor

von Portrait von Lisa Siewert Lisa Siewert
Veröffentlicht am 4. November 2013

Herr Buhl, Sie haben in Ihrem Buch "Tatort. Gesellschaftspolitische Themen in der Krimireihe" sich wissenschaftlich mit dem beliebten TV-Event beschäftigt. Wie kam es zu dieser Arbeit?

Seit Mitte der 1990er Jahre schaue ich mir regelmäßig alle Tatort-Erstausstrahlungen am Sonntagabend an. Ungefähr zehn Jahre später dann wurde mein Interesse an der Reihe so groß, dass ich beschloss meine erste wissenschaftliche Arbeit darüber zu schreiben, meine Magisterarbeit. Dafür interviewte ich Paare bei sich zu Hause zu der Frage, wie ihr Sonntag mit dem Tatort ausschaut. Dabei kam Interessantes zu Tage: Manche bringen ihre Kinder extra früh ins Bett, um 90 Minuten lang ungestört zugucken zu können, viele gehen währenddessen nicht ans Telefon. Von sich aus kamen etliche Paare auf das Thema der Verarbeitung gesellschaftspolitischer Themen in zahlreichen Krimis der Reihe. Auf die habe ich mich dann spezialisiert und meine Dissertation darüber geschrieben.

"(...) Manche bringen ihre Kinder extra früh ins Bett, um 90 Minuten lang ungestört zugucken zu können(...)"

Sind Sie auch persönlich am Tatort interessiert? Schauen Sie die Krimireihe auch ´Just for Fun´ oder wird da gleich der Wissenschaftler in Ihnen aktiv?

Meinen Hintergrund als Forschender kann und will ich beim Tatort-Schauen nicht ausblenden. Das muss ich auch nicht, denn mir machen die Erstsendungen am Sonntag, ebenso alle weiteren Folgen aus den letzten über 40 Jahren viel Freude. Bestätigt fühle ich mich immer dann, wenn sich Ergebnisse meiner Arbeit beim Schauen der Folgen bewahrheiten, beispielsweise die Themen tragenden Funktionen von Expertinnen und Experten, die die Kommissare und Zuschauer in Ausschnitten über Wissenswertes aus „ihrem“ Spezialgebiet informieren.   

Haben Sie einen Lieblingstatort? Wenn ja, warum ist es Ihr Favorit?

Den Tatort aus Wiesbaden mit Ulrich Tukur und seinem Tumor finde ich klasse, die erste Folge mit ihm, Wie einst Lilly (HR 2010) ist in puncto Dramaturgie, Ästhetik und Figurenzeichnung ein Highlight. Außerdem geht es darin um das in der Tatort-Geschichte sträflich vernachlässigte Thema des RAF-Terrorismus, fein umgesetzt, mit einem Sinn für Grautöne und ohne volkspädadgogischen Zeigefinger. Die altgedienten Teams aus Köln und München mag ich auch sehr gerne und sehe ihnen beim Älterwerden zu.

Was zeichnet für Sie einen guten oder schlechten Tatort aus?

Ein guter Tatort sollte vor allem ein spannender Krimi sein. Kommen dann noch eine Prise Humor und die dezente oder auch ruhig deutliche Einbindung eines gesellschaftspolitischen Themas in die Ermittlungshandlung hinzu, so ist der Abend gerettet und der öffentlich-rechtliche Auftrag erfüllt.

Wenn Sie keinen Tatort gucken, was gucken Sie sonst gerne?

Ich schaue mir sehr gern die Fernsehfilme am Mittwochabend im Ersten an, vor kurzem zum Beispiel den ambitionierten Psychothriller Alaska Johansson von Achim von Borries und mit Kriegerin Alina Levshin in der Hauptrolle. Sie wird demnächst ja im Erfurter Tatort ermitteln… Ansonsten bin ich im Serienfieber und schaue mir die, mittlerweile auch von der Fernsehforschung entdeckten Qualitätsserien an: Mad Men, Borgen, Girls, Breaking Bad usw. Wann kommt eine deutsche Serie von internationalem Format? Im Angesicht des Verbrechens war ein sehr guter Anfang!

War die Forschung zwischendurch auch anstrengend? Hatten Sie nicht irgendwann die Ermittlerteams satt?

Anstrengend war es schon zuweilen, aber gleichzeitig auch sehr befriedigend etwas Neues zu entdecken und niederzuschreiben. Viele Dialoge aus Tatorten, z.B. aus der Discounterfolge Kassensturz (SWR 2009), kann ich mittlerweile auswendig aufsagen: „Sind Sie zu blöd, um unsere Aktionsware auzubauen?“

Warum ist es ihrer Meinung nach wichtig, sich wissenschaftlich mit dem Tatort zu beschäftigen?

Weil der Tatort, als eine der am längsten laufenden Sendungen im deutschen Fernsehen, ein medienkulturell hochgradig relevantes Phänomen ist! Da er von uns allen mit der Rundfunkabgabe finanziert wird sollten wir auch alle wissen, wie er funktioniert und was er uns bietet. Der Tatort ist in seinen besten Folgen das Destillat des öffentlich-rechtlichen Auftrages wie Wunsches zu unterhalten und gleichzeitig zu informieren.

"Der Tatort ist in seinen besten Folgen das Destillat des öffentlich-rechtlichen Auftrages wie Wunsches zu unterhalten und gleichzeitig zu informieren."

Zu welchen Ergebnissen in Bezug auf gesellschaftspolitische Themen sind Sie gekommen - gab es Überraschungen?

Eines der vielfältigen Ergebnisse meiner Forschungen ist, wiederkehrende Konzeptionen von Thementrägerschaft im Tatort herausgearbeitet zu haben. Ob Betroffene, Ermittler, Experten oder Mischformen – sie alle leisten ihre (mehr oder weniger glaubwürdigen) Beiträge bei der Verknüpfung von Krimihandlung und Thematik.

Glauben Sie, der Tatort hat eine relevante gesellschaftliche Aufgabe und könnte ihre Ergebnisse nutzen?

Natürlich hat der Tatort eine gesellschaftliche Aufgabe. Sie besteht darin, unterhaltsam auf Problemlagen oder Missstände in Deutschland, Österreich und der Schweiz hinzuweisen und den Leuten Denkanstösse zu liefern. Auch arbeitet der Tatort an der Festigung von Werten und Normen mit, beispielsweise bei der regelmäßigen Ächtung von Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit. Meine Ergebnisse können diejenigen, die den Tatort konzipieren und umsetzen, insofern nutzen, indem sie bei der Lektüre meines Buches etwas über die vielen Möglichkeiten, aber auch Gefahren unterhaltsamer Aufklärung lernen.

Was wünschen Sie sich in Zukunft für den Tatort? Bestimmte gesellschaftspolitische Themen oder Inhalte? Oder einen Auftritt ihres Lieblingsschauspielers?

Ich wünsche mir mehr zu den Themen Terrorismus und Digitalisierung, denn das sind vernachlässigte und dabei doch drängende Themen der Zeit. Öfter sehen möchte ich neue Talente, die im Tatort die Chance erhalten, sich vor einem Millionenpublikum zu beweisen. Wiedersehen möchte ich Lars Eidinger als Psychokiller wie in Borowski und der stille Gast (NDR 2012).

"Ich wünsche mir mehr zu den Themen Terrorismus und Digitalisierung, denn das sind vernachlässigte und dabei doch drängende Themen der Zeit."

Gibt es noch Aspekte, die Sie gerne in Zukunft am Tatort erforschen wollen?

Ja, die gesellschaftspolitischen Themen würde ich sehr gerne in ihrer historischen Entwicklung über die Jahrzehnte erforschen.

Glauben Sie, dass der Tatort gerade eine Renaissance erlebt?

Eine Renaissance? Nein, er war ja nie weg. Ich möchte stattdessen von Omnipräsenz sprechen, die auch zur Gefahr werden kann. Wenn bald jede Region und größere Stadt „ihren“ Tatort hat und es immer mehr Teams und Handlungsorte gibt, besteht die Gefahr einer Übersättigung der Krimination.

Was gehört für Sie zu einem gelungenen TV-Abend dazu - Popcorn?

Nein, ein ausgedehntes Abendessen. Abgeräumt wird erst dann, wenn Günther Jauch kommt!