Andreas Winkelmann
Thriller-Autor
Veröffentlicht am 16. August 2012
Erzähl doch bitte etwas über Dich selbst.
Ich wurde am 5. Dezember 1968 in einem kleinen Dorf in Niedersachsen geboren. Heute lebe ich mit meiner Frau und meiner Tochter, die übrigens vor ein paar Tagen 18 geworden ist, vor den Toren von Bremen. Aber sehr ländlich. Viel Wald drum herum, Friedhöfe, alte Bunkeranlagen, ein Wolfsgehege. Eine wirklich inspirierende Gegend also. Vor allem die Menschen hier. Hinter jeder Fassade lauern Abgründe. Beruflich war ich immer ein Vagabund. Armee, Sportstudium, lange Jahre als Trainer im Fitness-Studio, Taxifahrer, Versicherungsfachmann... - aber nebenbei immer Schriftsteller. Im Verborgenen, nachts, darauf hoffend, irgendwann davon leben zu können. Und dieser Traum ist in Erfüllung gegangen.
Auf Deiner Webseite erklärst Du, dass wir alle den Keim des Bösen in uns tragen, der sich zuweilen in Schaulust oder dem Interesse am Bösen äußerst. Sind also Freuds „Es“ und seine Theorie vom Todestrieb Deine Erklärung, warum sich Deine Bücher verkaufen?
In Freuds Modell existiert ein Ich, ein Über-Ich und ein Es. Gerade die angeborene natürliche Seite der menschlichen Psyche wird bei Freud aus dem Ich ausgegliedert. Das missfällt mir. Das Es steht bei Freud für das Triebhafte, das Natürliche im Menschen. Das muss ja nicht schlecht sein. Allerdings gibt es natürlich Triebe, die gegen jede Moral und jede Wertvorstellung verstoßen. Zu Freuds Es habe ich Folgendes gelesen: Das Es ist der Teil des Menschen, der an der roten Ampel nicht stehenbleiben möchte. Hat nicht jeder von uns schon einmal einen ähnlichen Wunsch verspürt? Einfach gegen eine Regel verstoßen, nicht angepasst sein. Das schlummert in uns allen. Normalerweise überschreiten wir dabei bestimmte Grenzen nicht oder trauen uns gar nicht. Die Ersatzstimulation dafür kann aber das Abtauchen in Geschichten sein, die von solchen Grenzüberschreitungen handeln.
Du bist als Kind fast erstickt, hast Dir versehentlich die Pulsadern aufgeschnitten, hast einen Autounfall überlebt und Dir beim Sprung ins Mittelmeer das Genick gebrochen. Angenommen nichts davon wäre geschehen, würdest Du dann heute Kinderbücher statt Thriller schreiben?
Ich habe vor fast nichts Angst, was die Natur aufzubieten hat, aber was Menschen einander antun können, das ängstigt mich.
Ich denke nicht. Meine Leidenschaft für Thriller resultiert nicht aus diesen Unfällen, sondern aus der Art der Lektüre, die ich schon als Jugendlicher verschlungen habe. Daraus hat sich auch die starke Faszination für die dunkle Seite des Menschen entwickelt. Ich habe vor fast nichts Angst, was die Natur aufzubieten hat, aber was Menschen einander antun können, das ängstigt mich. Weil es Unberechenbar ist. Weil es keine Grenzen gibt. Eine Realität mit Fritzl, Breivik usw. zeigt uns, dass alles möglich ist.
Dir wird selbst von Deinen Fans eine kranke Phantasie diagnostiziert. Ist das eine Beleidigung oder ein Kompliment?
Bei meinen Leidenschaften und meinem Beruf? Natürlich ein Kompliment.
Andreas Winkelmann
Am 17. August erscheint Dein neuer Roman „Wassermanns Zorn“. Bist Du vor Veröffentlichungen noch aufgeregt?
Bin ich. Ich komme dann kaum zur Ruhe und muss mich irgendwie ablenken. Das geht ganz gut mit Bergsteigen, Canyoning, Kanufahren, Motorradtouren, Trekking. Ich würde wahrscheinlich sterben, müsste ich Zuhause auf den Erscheinungstermin warten. Noch schlimmer ist es allerdings, wenn ich ein neues Manuskript abgebe und auf das erste Urteil warte. Das ist wie damals in der Schule. Als der Lehrer mit ausdrucksloser Miene die zensierten Arbeiten zurückgab. Minuten wurden zu Stunden. Heute werden Wochen zu Jahren.
Liest Du die Kritiken zu Deinen Romanen?
Wenn ich ein neues Manuskript abgebe und auf das Urteil warte, ist es wie damals in der Schule. [...] Minuten wurden zu Stunden. Heute werden Wochen zu Jahren.
Ich suche nicht danach, aber wenn man sich im Internet bewegt, stolpert man zwangsläufig darüber. Und dann ist das Interesse größer als die Vorsicht. Negative Meinungen hinterlassen natürlich Spuren, aber damit muss man umgehen können, wenn man veröffentlicht. Wer das nicht will, muss seine Manuskripte in der Schublade verstecken. Ich halte es diesbezüglich mit dem guten alten Stephen King: Du kannst es nicht allen jederzeit recht machen.
Wer sind Deine literarischen Vorbilder?
Bleiben wir gleich bei King. Seine Bücher waren die Wegbegleiter meiner Jugend, seine wunderbaren Figuren meine Freunde. Ich mag das Wort Vorbild nicht so gern, ich sehe ihn eher als Inspiration. Das geht vielen so, die mit seinen Geschichten aufgewachsen sind, und die können sich nicht alle täuschen.
Was ist Dein nächstes Projekt?
Ein Buch schreiben, über dessen Inhalt ich noch nichts verrate. Das tue ich nie. Zu Fuß die Alpen überqueren. Eine Trekkingtour durch den Himalaya planen.
Wenn Du einen anderen Beruf hättest wählen müssen, welcher wäre das?
Wer einen Traum hat, ein fernes aber konkretes Ziel, darf sich niemals den Umständen oder den Meinungen anderer beugen.
Tischler. Ich liebe Holz. Als Schüler habe ich ein Praktikum gemacht, aber meine Eltern hatten andere Pläne.
Die Inselfrage: Welche fünf Bücher würdest Du mitnehmen?
Stephen King „Sara“, Jon Krakauer „In eisige Höhen“ und „In die Wildnis“, Tolkien „Herr der Ringe“, Carlos Ruiz Safon „Der Schatten des Windes“.
Was liest Du grade privat?
Wolfgang Herrndorf „Sand“.
Gibt es noch etwas, das Du unbedingt mitteilen möchtet?
Weil es mich durch Zuschriften von Menschen, die gern ein Buch veröffentlichen würden, gerade beschäftigt: Wer einen Traum hat, ein fernes aber konkretes Ziel, darf sich niemals den Umständen oder den Meinungen anderer beugen. Besorgt euch einen Leitspruch, ein Mantra, hängt es an einen Platz, wo ihr es ständig vor Augen habt. Bei mir ist es ein Gedicht von William Ernest Henley „Unbezwungen“. Legt los, arbeitet hart und lasst euch nicht von eurem Weg abbringen.