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Im Ring ist Familie zweitrangig: Serie „Heels“ blickt hinter die Kulissen des Wrestlings

von Portrait von Christine Pittermann Christine Pittermann
Veröffentlicht am 27. September 2021

Zwei Brüder, eine Leidenschaft und die Frage, wer man wirklich sein will: Mit der neuen Serie „Heels“ zeigt „Loki“-Schöpfer Michael Waldron einmal mehr, dass die Frage nach Gut und Böse sich nicht so leicht beantworten lässt, wie man es gerne hätte. Statt einem Ausflug in fantastische Sphären geht es in seiner neuen Show deutlich geerdeter zu. Aber was macht die Serie so besonders?

Auf den ersten Blick handelt die Story vom Wrestling und der Familie Spade, die die „Duffy Wrestling League“ in Georgia führt. Der älteste Sohn Jack Spade (Stephen Amell aus der langlebigen DC-Serie „Arrow“) kümmert sich seit dem Tod seines Vaters, um die Geschäfte der League, schreibt die Skripte für die Kämpfe und verkauft nebenbei noch Rasenmäher, um seine Familie zu versorgen. Ein Mann, der sich die Rolle des Familienoberhaupts gänzlich übergestülpt hat. Auf der anderen Seite steht sein jüngerer Bruder Ace (Alexander Ludwig aus der preisgekrönten Wikinger-Serie „Vikings“), dessen Football-Karriere scheiterte und der wieder bei seiner Mutter wohnt. Von einer unterstützenden Bruderbeziehung kann bei Ace und Jack jedoch nicht die Rede sein.

Während das Leben seine unerwarteten Höhen und Tiefen präsentiert, ist im Ring ist alles geskriptet. Dabei schreibt sich Jack selbst meistens die Funktion des Heels zu, was ihn als Bösewicht im Ring definiert. Ein Heel wird von den Zuschauern häufig gehasst und ist der Widersacher von dem sogenannten Face, der als Liebling des Rings gefeiert wird. Für Jack ist klar, dass Ace das perfekte Face ist, um für mehr Zuschauer bei den Kämpfen zu sorgen. Doch die wachsende Konkurrenz der Brüder übernimmt immer mehr die Oberhand und lässt die Drehbücher der Kämpfe in den Hintergrund rücken.

Psychologiestunde inner- und außerhalb des Wrestlings

Was sich innerhalb des Rings noch unter Kontrolle hält, entlädt sich im Privaten deutlich heftiger. Aces und Jacks Verhältnis ist schwierig und anstatt darüber zu reden, prügeln sie sich, greifen zu Alkohol und reagieren aggressiv, wenn jemand abfällig über ihren verstorbenen Vater spricht. Um etwas Normalität bemüht, versuchen ihre Frauen das klassische Rollenbild zu verkörpern, das in einer amerikanischen Provinz erwartet wird. Sie kümmern sich um Haus und Nachwuchs, gehen regelmäßig zum Gottesdienst und bemühen sich, die Kinder von dem herben Ton der Wrestlingwelt zu beschützen.

Während Jack innerhalb des Kampfes immer den Schurken gibt, bemüht er sich außerhalb davon stets das Richtige zu tun und gerät gerade deshalb oft mit seinem Bruder aneinander. Immer mehr steigt Ace die fiktive Heldenrolle zu Kopf und macht ihn blind für Konsequenzen. „Heels“ zeigt die Komplexität des menschlichen Seins und blickt auf die Ambivalenz, die im Menschen innewohnt. Wie kann Gutes und Böses in einer Persönlichkeit vereint sein? Mit einer klaren Positionierung hat in der neuen Serie jeder Charakter zu kämpfen und stößt an die eigenen Grenzen.

Klare Generationsfrage

Michael Waldrons Serie trifft damit den Nerv der Zeit, in der vieles unsicher scheint und der stetige Versuch, im Chaos der Gute zu sein, fehlschlägt. Dass dabei Eigen- und Fremdwahrnehmung nicht immer übereinstimmen, wird in der acht Folgen umfassenden ersten Staffel deutlich. Trotz geradliniger Erzählweise, die wenige Twists bereithält, nimmt sie den Zuschauer gefangen und bringt ihn zum Überlegen, ob die Wunschvorstellung von einem Selbst mit den eigenen Handlungen zusammenpasst. Wer ist für unser Handeln verantwortlich? Kann eine fiktive Figur die Fehler der echten Person ausbügeln? Fragen, die auf den ersten Blick im Wrestling deplatziert erscheinen. Doch im Kino und TV bewiesen Genre-Vertreter wie Darren Aronowskys „The Wrestler“ oder Antoine Fuquas „Southpaw“, dass hinter den Schlägen mehr Tiefe steckt als vermutet.

Dass sich das einstige Nischenthema immer mehr in den Mainstream vorarbeitet, liegt auch an dem steigenden Interesse am artverwandten Boxen. Eine neue Generation wie Josh Taylor, der unbestrittene Weltergewichts-Champion, und sein Herausforderer Jack Catterall sorgen für aufmerksamkeitsstarke Schlagzeilen. Zwar ist bis zu ihrem Aufeinandertreffen im Dezember noch viel Zeit, aber ihre Fehde wird schon jetzt medienwirksam auf den sozialen Netzwerken ausgetragen, wie es ich für Stars und Sternchen gehört. Für Fans ein Spektakel, für Anbieter von Sportwetten ein dankbarer Schachzug: Schon jetzt stehen die Wettquoten bei Betway für den amtierenden Titelverteidiger Josh Taylor bei klaren 1,08 (Stand: 16. 09.). Mit einer Quote von 6,50 muss sich Gegner Catterall noch behaupten.

Ab dem 12. Dezember 2021 können sich die Zuschauer mit „Heels“ auf Amazon Prime auf den am 18. Dezember stattfindenden Kampf einstimmen. Die englische Erstausstrahlung der Serie fand bereits im August 2021 auf Starzplay statt.