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Manifestation: Warum der Trend gerade heute boomt und was die Wissenschaft darüber denkt

von Portrait von Arzu A. Kayvani Arzu A. Kayvani
Veröffentlicht am 26. September 2024

Manifestation ist längst nicht mehr nur ein esoterisches Nischenkonzept, sondern hat sich zu einem regelrechten Megatrend entwickelt, der vor allem durch Plattformen wie TikTok und Instagram immer mehr Anhänger findet. Doch was steckt wirklich dahinter? Warum ist das Thema plötzlich so präsent, und was sagen Wissenschaftler dazu?

Was bedeutet Manifestation?

Im Kern basiert Manifestation auf der Idee, dass man durch positive Gedanken, Visualisierung und eine feste Überzeugung seine Wünsche und Ziele Realität werden lassen kann. Populär wurde dieser Ansatz durch das 2006 erschienene Buch The Secret von Rhonda Byrne, das die sogenannte „Gesetz der Anziehung“-Theorie in den Mainstream brachte. Die Kernaussage lautet: „Gleiches zieht Gleiches an.“ Indem man seine Gedanken auf das fokussiert, was man sich wünscht – sei es beruflicher Erfolg, finanzielle Sicherheit oder persönliche Erfüllung –, soll das Universum auf mysteriöse Weise diese Ziele Wirklichkeit werden lassen.

In den letzten Jahren erlebte der Trend ein großes Comeback, angetrieben durch Plattformen wie TikTok. Der Hashtag „#manifestation“ wurde dort bereits über zehn Milliarden Mal angesehen, und seit 2018 haben die Google-Suchanfragen zu diesem Thema um 66 % zugenommen – insbesondere während der Höhepunkte der COVID-19-Pandemie, als die Unsicherheit und Angst vor dem Weltgeschehen ihren Höhepunkt erreichten (theweek).

Manifestation auf Social Media: Eine Generation auf der Suche nach Kontrolle

Die aktuelle Popularität von Manifestation auf Social Media kann auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden. Eine zunehmend unsichere Welt mit Klimakrisen, wirtschaftlichen Unsicherheiten und politischen Konflikten hat vor allem jüngere Generationen wie Millennials und Gen Z stark geprägt. Die Ambivalenz des modernen Lebens, in dem theoretisch alles möglich scheint, aber praktisch viele Wege blockiert bleiben, hat den Wunsch verstärkt, auf irgendeine Weise Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen. Manifestation, mit ihren Versprechungen von direkter Einflussnahme auf das eigene Schicksal, bietet hier eine scheinbar einfache Lösung.

Die Praktiken, die in der Manifestations-Community geteilt werden, reichen von Affirmationen über das Führen eines „Wunsch-Tagebuchs“ bis hin zu detaillierten Visualisierungsübungen. Einige Coaches versprechen sogar, dass man durch das Einhalten bestimmter „Regeln“ seine Ziele innerhalb von 24 Stunden erreichen könne. Allerdings steht diese Oberflächlichkeit oft in der Kritik, da sie unrealistische Erwartungen schürt und Menschen dazu verleiten kann, rein materiellen Zielen wie einem hohen Einkommen oder teuren Luxusgütern nachzujagen, anstatt sich auf innere Entwicklungsprozesse oder soziale Themen zu konzentrieren.

Wissenschaftliche Grundlagen und Kritik

Obwohl das Manifestieren auf den ersten Blick wie eine Form von magischem Denken erscheint, gibt es durchaus psychologische Erklärungen, die zumindest Teile des Phänomens unterstützen. Die Idee, dass positive Gedanken eine Wirkung auf unser Verhalten und unsere Wahrnehmung haben, ist in der Psychologie nicht neu. Prinzipien wie das Self-Fulfilling Prophecy (Selbsterfüllende Prophezeiung) oder die Kognitive Verhaltenstherapie zeigen, dass unsere Einstellung tatsächlich beeinflussen kann, wie wir Herausforderungen begegnen und welche Chancen wir ergreifen. In diesem Sinne kann das Manifestieren helfen, eine optimistische Grundhaltung zu fördern und mehr Selbstvertrauen zu entwickeln.

Allerdings gibt es auch große Bedenken seitens der Wissenschaft, insbesondere in Bezug auf die sogenannten „Law of Attraction“-Theorien, die besagen, dass negative Ereignisse im Leben ausschließlich auf negative Gedanken zurückzuführen seien. Kritiker wie der Psychologe Neil Farber argumentieren, dass solche Theorien ein gefährliches „Blame the Victim“-Paradigma fördern, indem sie suggerieren, dass Menschen selbst schuld an Krankheiten oder Unfällen seien, weil sie angeblich „schlecht gedacht“ hätten.

Die Psychologin Inna Kanevsky betont ebenfalls, dass diese Art des Denkens schädlich sein kann, da es Menschen von praktischen und umsetzbaren Schritten zur Zielerreichung ablenken könnte. Das Vertrauen auf Manifestation allein könne dazu führen, dass man notwendige Maßnahmen vernachlässigt und am Ende enttäuscht wird, wenn das gewünschte Ergebnis ausbleibt.

Manifestation in der spätmodernen Gesellschaft

Die Frage bleibt: Warum ist Manifestieren gerade jetzt so attraktiv? Ein Erklärungsansatz könnte sein, dass Manifestation auf eine Art und Weise als „Rezept gegen die Ernüchterung“ fungiert. Junge Menschen sehen sich mit einer Vielzahl von Optionen konfrontiert, aber auch mit vielen Unsicherheiten und Barrieren, die den Weg zu den traditionellen Lebenszielen wie Eigenheim, Karriere und Sicherheit erschweren. Der Versuch, diese Ziele durch Manifestation zu erreichen, mag ein Ausdruck der Verzweiflung sein, aber auch ein Zeichen des Wunsches, die Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen.

Das Phänomen des Manifestierens ist also mehr als nur eine Social-Media-Erscheinung. Es spiegelt tieferliegende gesellschaftliche Ambivalenzen und Ängste wider. Während die einen es als Möglichkeit zur Erreichung persönlicher Ziele feiern, sehen andere darin eine gefährliche Verkürzung komplexer Prozesse und eine Flucht vor der Realität.

Fazit

Manifestation mag eine einfache Methode sein, die Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen, doch es gibt auch zahlreiche Fallstricke. Ein blindes Vertrauen auf die Erfüllung durch das „Universum“ kann dazu führen, dass man wichtige Schritte zur Zielerreichung übersieht oder Enttäuschungen erlebt, wenn Wünsche unerfüllt bleiben. Gleichzeitig kann es aber auch eine Möglichkeit sein, sich mehr auf positive Gedanken und Selbstfürsorge zu fokussieren – solange man es als Ergänzung zu konkretem Handeln versteht und nicht als Ersatz.

In einer zunehmend komplexen und unsicheren Welt scheint Manifestation eine Strategie zu sein, mit der viele Menschen versuchen, die Zügel ihres Lebens in die Hand zu nehmen. Ob es dabei wirklich hilft, bleibt jedoch umstritten.

Für weiterführende Informationen und wissenschaftliche Hintergründe zu diesem Thema können die Artikel auf NZZ , National Geographic und RefLab herangezogen werden.