Graffiti in Stuttgart - (c) Alexander Kappen © Alexander Kappen

Kunst oder Übel? - Neues aus der Stuttgarter Graffiti-Szene

von Portrait von
Veröffentlicht am 1. Juni 2015

Graffiti ist Droge und Waffe zugleich - das Betrachten seiner eigenen bunten Bilder, versehen mit den Anfangsbuchstaben seines Namens, versetzt so manchem Sprayer einen „gewissen emotionalen Kick“. Wie sonst wäre es sonst zu erklären, dass in waghalsigen Aktionen nachts (auch im Stuttgarter Raum) Autobahnbrücken oder dergleichen besprüht werden? - An Stellen, an die man normalerweise gar nicht gelangt.

Eine Waffe stellen die kleinen Farbdosen durchaus dar, denn mithilfe von ihnen kann man innerhalb kürzester Zeit einen ganzen Stadtteil „verunstalten“ oder „verzieren“, ganz egal wie man es bezeichnen möchte.

Alt ist die bisher einzige legale Großfläche für Graffiti in Stuttgart – die „Hall of Fame“ in Bad Cannstatt unter der König-Karls-Brücke. Die platzt allerdings aus allen Nähten – die Sprayer haben nicht nur die erlaubte Fläche verziert sondern gleich noch das Gelände im Umkreis von etwa 100 Metern. Was auch einen dort ansässigen Handwerksbetrieb betrifft, deren Garagen alle voll beschmiert sind - die Mitarbeiter schütteln nur noch mit dem Kopf, wenn sie jemand mit bunter Sprühdose vorbeilaufen sehen.

„Die Graffiti-Szene in Stuttgart umfasst über 200 aktive Sprayer, von daher ist die Hall of Fame nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Michael Becker, auch bekannt als „Open-Mike“. Er betreibt eine Graffiti-Workshop-Firma mit dem Namen „Mike´s Workshops“, die an Kindergeburtstagen, Firmenjubiläen und Schulklassen in die Welt der Sprühdosen einführt. „Es gibt ein großes Bedürfnis, sich mit der Farbdose kreativ zu verwirklichen. Ich versuche das in legale Bahnen zu lenken“, sagt „Open-Mike“.

Die Stadt hat gehandelt und sich mit den Graffiti-Experten unter anderem Florian Schupp von der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft (STGJ) an einen Tisch gesetzt. Heraus kam eine neue Hall of Fame, die in Kürze beim Alten Zollamt in Bad Cannstatt als zweite legale Großfläche in Betrieb gehen wird. Zusätzlich dazu veranstaltete die STGJ im März am still gelegten Schoch-Areal gegenüber des Feuerbacher Bahnhofs eine 2-Tages-Sprüh-Aktion. 15 Stuttgarter Sprayer durften sich hier austoben. „Ich wohne in der Nachbarschaft und bin froh über die bunten Farbakzente wenn ich auf dem Balkon sitze“, freut sich Anwohner Micha Dengler (30). Bereits im April wurde das Fabrikgelände am Schoch-Areal allerdings wieder abgerissen. Also nur einen Monat lang konnten sich Anwohner und Sprüher an ihren Werken erfreuen. Weitere legale Sprühaktionen sollen aber folgen, wenn es nach der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft und den Sprayern geht.

Das wäre sinnvoll, denn: „Wenn wir wollen, dass die Stadt nicht wild beschmiert wird, sollten wir noch mehr legale Flächen in der Stadt schaffen. So können sich die Sprayer legal kreativ austoben“, sagt Graffiti-Experte Michael Becker