Anne Will Talk vor Bundestagswahl: Parteien legen Karten auf den Tisch

von Portrait von Marlon Kumar Marlon Kumar
Veröffentlicht am 19. September 2013

Es schien ein ganz normaler Polit-Wahlkampf-Talk bei Anne Will zu werden: Die geladenen Gäste Wolfgang Bosbach (CDU),  Manuela Schwesig (SPD), Wolfgang Kubicki (FDP) und Renate Künast (Bündnis 90 / Die Grünen) warfen sich gegenseitig Beschuldigungen an den Kopf, zählten gebrochene Versprechen und Versäumnisse ihrer Gegner auf, setzten die Ziele und Ideologien der eigenen Partei als dogmatische, unverdrehbare Weisheiten fest und versuchten sich selbst, in scheinheilig eloquentem Polit-Kauderwelsch zu profilieren. Dazu wurde die Zeit-Journalistin Tina Hildebrandt hinzugeholt, die auch noch ein Stück vom Polemik-Kuchen verputzen durfte.

Viel wurde über die FDP als aussterbende Art gesprochen, die sogar selbst von Koalitionspartner Angela Merkel keine Unterstützung erhalte (Merkel wirbt für Erst- und Zweitstimme CDU), sodass Frau Hildebrandt zu dem Schluss kam, die Bundeskanzlerin strebe eine große Koalition (CDU/SPD) an. Dennoch wahrte man den obsoleten Anschein, "Jeder kämpft für sich allein" und verfiel in verjährtes Schubladendenken: Sozial hetzte gegen konservativ, liberal gegen öko - und umgekehrt. Was die Frage nach Authentizität aufwirft, können Bosbach und Co. ihren Aussagen überhaupt Glauben schenken?

Gerne - und wie üblich - wurde aneinander vorbeigeredet, sich gegenseitig unterbrochen, nur um sich dann darüber zu echauffieren, nicht ausreden zu dürfen, auf Höflichkeitsfloskeln verzichtet und zuweilen der ein oder andere verbale Kinnhaken verteilt. Wie immer, wenn man sich über eine Stunde der ermüdenden Selbstdarstellung von Politikern verschreibt, bleibt am Ende der Sendung nicht viel hängen, geschweige denn irgendeine erleuchtende Erkenntnis. Vorausgesetzt, es passiert nichts Unerwartetes, womit wir niemals gerechnet hätten. Etwa, wenn Politiker ihre Fehler eingestehen und dafür von den Gegnern auch noch Respekt gezollt bekommen. Und genau das war der Fall, als man nach nervtötendem Gezeter auf das Thema Pädophilie zu sprechen kam.

Der Saal war mucksmäuschenstill, angespannt. Bedacht, die Worte sorgsam wählend, sprach Frau Künast über die dunkle Vergangenheit, an die sie "mit Grausen" zurückdenke und welche schon wesentlich früher hätte angesprochen werden müssen. "Wir haben massive Fehler gemacht", gestand sie ein, man sei sich dem Ausmaß des Problems "nicht hinreichend bewusst gewesen". Bosbach und Kubicki lauschten aufmerksam und erteilten der Grünen Fraktionschefin damit soetwas wie Absolution. Mehr noch. Respekt. Kubicki erzählte, es fiele ihm schwer, Jürgen Trittin in dieser Sache zu attackieren. Bosbach würdigte Künasts Worte, indem er versicherte, ihr Schuldeingeständnis nötige ihm Respekt ab.

Wenn also etwas von dieser Sendung im Kopf hängen blieb, dann war es ebenjenes unerwartes Ereignis, das bewies, dass Politiker nicht immer diese kalten, emotionslosen Wesen sind, als die sie häufig stigmatisiert werden und auch in Eintracht eine Show verlassen können.