Filmkritik "Der Medicus": Ein emotionales und bildgewaltiges Historienepos

von Portrait von Lina Wemhöner Lina Wemhöner
Veröffentlicht am 16. Dezember 2013

England, Anfang des 11. Jahrhunderts: Eine Welt, in der alles als von Gott gegeben und jede noch so schreckliche Begebenheit als gottgewollt galt. Eine schwierige Stunde für die Wissenschaft. Doch einige wenige entrissen sich der üblichen Ansichten, so auch der junge Medicus Rob Cole in der gleichnamigen Romanverfilmung „Der Medicus“. Gierig nach neuen Kenntnissen, befreit sich der Protagonist aus den Fängen der Gesellschaft und verzaubert uns mit seinem Wissensdurst in diesem epischen Historiendrama. Wir haben bereits vor der Premiere des Films, am 25. Dezember 2013, einen Einblick erhalten dürfen und konnten gemeinsam mit Rob Cole auf eine gefährliche und gar verbotene Reise, die voll von Spannung, kulturellen Konflikten und dem Streben nach Wissen geprägt ist, gehen.

Schon der gleichnamige Roman von Noah Gordan aus dem Jahr 1986 überzeugte die Kritiker. Allein in Deutschland wurde das Werk sechs Millionen Mal verkauft und zählt damit zu den meistgelesenen Bestsellern der Literaturgeschichte. Ungewöhnlich ist, dass sich die Filmproduktion erst nach 27 Jahren an den Roman herangewagt hat, um dieses opulente Historienabenteuer in eine reiche Bilderwelt umzusetzen. Regisseur Philipp Stölzl („Goethe!“, „Nordwand“) ist diese Aufgabe mit seinem 150-minütigen Filmepos definitiv gelungen. Beeindruckende Bilder und realitätsnahe Kulissen geben dem Film den gewissen Charme und führen den Zuschauer in zunächst ärmliche und dem weltlichen Wissen weit entfernte Verhältnisse im frühmittelalterlichen England - später in opulente Szenerien, geführt durch die Wissenschaft, aber tief zerstritten durch kulturelle Machtkämpfe, des Orients. Stölzl setzt diese aufwändige deutsche Produktion mit einer attraktiven internationalen Besetzung um. Unter anderem gehören zu dieser treffenden Besetzung Tom Payne als Hauptdarsteller, Stellan Skarsgård, Ben Kingsley, Elyas M’Barek und Fahri Yardim.

Die Medicus-Handlung

„Erzählt wird die Geschichte eines jungen Mannes auf der Suche nach Wissen und Weisheit. Dass das, was er erreicht, niemals genug für ihn ist, treibt ihn immer weiter. […] Auf seine Art ist er ein sehr unschuldiger Charakter, der durch diese Unschuld zu einer unaufhaltsamen Kraft wird. Er will ganz einfach nur die Welt verstehen.“ (Tom Payne)

Es sind düstere Zeiten, in denen der kleine Robert Cole und seine beiden Geschwister aufwachsen. Die Kinder arbeiten in Minen, es gibt wenig zu essen und die medizinische Versorgung wird ausschließlich durch Wanderheiler oder Bader verabreicht. Doch der Fortschritt der Medizin ist Gotteslästerung. Und so kann der Bader (Stellan Skarsgård) auch Roberts Mutter nicht mehr helfen, als sie an den Folgen starker Bauchschmerzen stirbt. Vor ihrem Tod hat Robert erstmals eine besondere Gabe an sich entdeckt: Bei der Berührung eines Todgeweihten verlangsamt sich die Zeit und er spürt den nahenden Tod. In dieser schicksalhaften Nacht beginnt Roberts ewige Odyssee auf der Suche nach einer Heilung für diese Krankheit.

Sein Weg in die Wissenschaft beginnt zunächst als junger Lehrling des Baders. Aber es muss doch noch mehr geben, um den Menschen zu helfen? Als er miterlebt, wie der bereits fast erblindete Bader von einem jüdischen Arzt durch eine Operation sein Augenlicht zurückerhält, fasst er den Entschluss in das ferne Isfahan in Persien zu reisen, wo einer der weisesten Mediziner aller Zeiten lehrt – Ibn Sina (Ben Kingsley). Doch neben der großen Herausforderung der Reise, steht auch die Hürde der Religionen. Das islamische Reich verweigert allen Christen den Zutritt und toleriert nur noch die Juden.

Die Reise nach Isfahan beginnt

… und damit auch sein Identitätswechsel. Nach etlichen Strapazen auf der langen Reise und einer gefährlichen Etappe durch die Wüste, erreicht er als Jesse Ben Benjamin das fremde Ziel. Und schon bald wird auch sein größter Traum wahr: Jesse sitzt in der ersten Vorlesung des begnadeten Ibn Sina. Mit seinem Fleiß und seiner Leidenschaft wird er schnell zu einem der hoffnungsreichsten Studenten. Neben der Schule lernt er auch die fremde Welt um sich herum kennen, das gespaltene Verhältnis zwischen Juden und Muslimen, den selbstherrlichen Schah (Olivier Martinez) und die schöne Rebecca (Emma Rigby), die kurz vor ihrer Hochzeit mit einem älteren Geschäftsmann steht. 

Aber schon bald bleibt es nicht mehr aus, die theoretischen Studien in der Praxis zu üben. Aufgrund eines hinterhältigen Plans der Seldschuken, gelangt die Pest in die Stadt Isfahan.Vielen wurde die Flucht aus der Stadt gewährt, doch die meisten Erkrankten, die binnen der Stadtmauern blieben, erlagen der tödlichen Infektion. Als Rob ein wichtiges Detail im Krankheitsverlauf der Pest-Infizierten entdeckt, wendet sich das Blatt und sie können die Weiterverbreitung aufhalten und damit die Pest in Isfahan ausrotten.

Filmkritik "Der Medicus": Ein emotionales und bildgewaltiges Historienepos

Der Alltag kehrt in die Stadt zurück und damit auch die drängenden Probleme: Isfahan wird durch muslimische Mullahs an die Seldschuken verraten und soll von ihnen erobert werden, um die Juden und weltliche Gotteslästerer wie Ibn Sina und seine Schüler aus der Stadt zu treiben oder gar zu töten. Nichts ahnend begeht Jesse zu diesem Zeitpunkt einen schwerwiegenden Fehler: Um endlich Gewissheit über den menschlichen Körper zu erhalten, schneidet er den Körper eines toten Patienten auf.

Facetten

Gotteslästerung, eine verbotene Liebe und der Kampf der Religionen führen zu einem spannenden Weiterverlauf der Handlung. Insgesamt ist es beeindruckend, mitzuerleben, welches Facettenreichtum uns der Film bietet. So kann man als Zuschauer zum einen die Wunder der Medizin miterleben, sich einer romantischen Story widmen und zeitgleich den Religionskampf innerhalb eines Landes verfolgen. Besonders hier sieht man, dass Wissenschaft und Fortschritte der Medizin bis zu diesem Zeitpunkt keineswegs mit Religion in Einklang zu bringen waren.

Der Film lädt uns zudem in eine reich gestaltete Bilderwelt ein. Im Kontrast stehen hier besonders England im Frühmittelalter und die opulenten Kulissen im fernen Persien. Doch auch hier herrscht keineswegs Frieden. Was für Jesse zunächst als ein harmonisches Ziel wirkt, weist binnen der Stadtmauern enorme religiöse Machtkämpfe auf und macht ihm, als angeblichen Juden, im späteren Verlauf des Films schwer zu schaffen.

Die Rollen

Die Figuren in „Der Medicus“ zeigen uns faszinierende und zugleich beeindruckende Charaktere. Besonders der junge Rob Cole lässt uns tief in sein Inneres hineinblicken. Er zeigt uns immer wieder seinen verbissenen Ehrgeiz, mehr zu lernen und zu erfahren. Er hat nichts zu verlieren, er lebt in ärmlichen Verhältnissen und hat niemanden, den er zurücklassen würde. Auch wenn er viel Zeit mit dem Bader verbrachte, ist der Drang nach dem medizinischen Wissen weitaus stärker.

Während seiner Reise tritt Rob Cole in Kontakt mit vielen Persönlichkeiten, die ihn in gewisser Weise inspirieren. Ibn Sina verkörpert für ihn das Ideal eines weisen Mediziners, auch wenn er als strenger Lehrer agiert und ihn keineswegs bevorteilt. Auch weitere Charakterköpfe sind stetige Begleiter des jungen Schülers: Darunter auch Karim, gespielt von Elyas M'Barek, der ihm auch durch seine eigensinnige, aber sehr spaßig arrogante Art zu einem guten Freund wird.

Letztendlich ist als wichtige Rolle noch der Schah zu nennen. Ein selbstverliebter, selbstherrlicher Charakter, den man den gesamten Film über nicht einzuordnen vermag. Freund oder Feind des jungen Rob Coles? Vielleicht bleibt diese Frage bis zum Ende des Films unbeantwortet. Dennoch ein inspierender Kopf, sowohl für uns als auch für Rob Cole.

Fazit

"Der Medicus" ist ein prädestiniertes Beispiel für einen spannenden und zugleich intelligenten Historienfilm. Auch wenn sich die ein oder andere Begebenheit geschichtlich nicht richtig einordnen lässt, wirkt der Film authentisch. Dies ist garantiert auch durch die ideale Besetzung der Fall. Die Schauspieler spielen ihre Rollen gekonnt - jede Figur für sich zeigt eine eigene und differenzierte Persönlichkeit. Vielleicht ist es gut, dass sich die Filmwelt mit der Produktion viel Zeit gelassen hat, so ist aus einer schon grandiosen Literaturvorlage ein wirklich guter Film geworden. Ein Muss für den nächsten Kinobesuch!