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BLOG: Wölfe im Schafspelz - Ein Tag mit Peta in Bonn

von Portrait von Carlotta Cornelius Carlotta Cornelius
Veröffentlicht am 23. September 2014

Auf Knien kauere ich auf dem Boden. Hinter mir drücken die Gitterstäbe gegen meinen Rücken, neben mir drängt sich ein Leidensgenosse in eine weitere Ecke des engen Käfigs. Das Surren des Schurmessers ist allgegenwärtig. Ebenso die schmerzerfüllten Schreie eines panischen Artgenossen, der soeben die Tortur über sich ergehen lassen muss. Sein noch vorhandenes Fell ist blutgetränkt, die Stelle, wo das Messer abgerutscht ist, ist klar zu erkennen.

Nur zu gut kann ich es mir vorstellen. Die Situation ist nachgestellt und doch so echt, so real wie in wohl nahezu jedem größeren Schurbetrieb Deutschlands. Verängstigte Tiere, aneinandergedrängt in engen Käfigen. Wartend, während sie von nebenan die Schreie ihrer Artgenossen erklingen hören. Es ist nicht gerecht. Nicht nur allein ob des offensichtlichen Grundes, dass es ethisch keinesfalls vertretbar sein darf irgendeinem Lebewesen so etwas anzutun. Auch die rein rationalen, die kommerziellen Gründe, erklären ein solches Vorgehen vor allem für eines: nicht nachvollziehbar.

Um das zu verstehen, sind zunächst ein paar wichtige Hintergründe vonnöten: Jedes Jahr werden in Deutschland Tonnen und Abertonnen von Wolle durch Schafschur gewonnen. Dennoch wandert ein Großteil davon wieder auf dem Müll - Grund dafür: die Wolle der Australischen Merino-Schafe ist ungleich feiner und wird aus diesem Grunde bevorzugt für die Herstellung von Kleidungsstücken eingesetzt. Dieser Umstand sorgt dafür, dass die Deutsche Wolle in ihrem Marktwert sinkt (aktuell 30 Cent pro Kilo!), weshalb die Betriebe die Ausgaben möglichst niedrig halten, um überhaupt noch Profit aus dem Geschäft zu ziehen. So werden die Scherer auch pro Stück (ja wir reden hier von Schafen) bezahlt, anstatt nach Arbeitsstunden - was dazu führt dass diese unnötig grob vorgehen und keine Rücksicht auf das Wohl der Tiere nehmen. Bei der Schur entstandene klaffende Wunden werden ohne Betäubung und vor Ort mit Nadel und Faden zugenäht, Schwänze werden gekürzt, Ohren durchstochen und junge Lämmer werden (ebenfalls ohne Betäubung) mithilfe von engen Ringen oder Schurmessern kastriert. Um geringen Widerstand bei der Schur zu gewährleisten werden die Schafe zudem 24 Stunden vorher ohne Essen und Trinken in engen Käfigen zusammengepferrcht, um diese zu schwächen.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf, habe ich mich diese Woche bereit erklärt, bei einer Protestaktion von Peta in Bonn dabei zu sein. Als Schaf verkleidet sitze ich in einem engen Käfiggestell und erahne, durch die Maske eines Großteils meiner Sicht beraubt, die grobschlächtigen Bewegungen eines "Scherers" der ein blutendes "Schaf" mit einem Schurmesser traktiert. Hinter mir dröhnt markerschütterndes Geschrei aus einem Ghetto-Blaster, Aufnahmen, die während der Schur in einem Deutschen Betrieb gemacht wurden.

Es ist nicht gerecht. Auch die Reaktionen einiger Passanten erscheinen mir im Nachhinein mehr als fragwürdig. Obgleich ich während der ganzen Aktion kaum etwas von dem Geschehen um mich herum mitbekomme, zu markerschütternd dröhnen die Aufnahmen, berichten mir anschließend andere Aktionsteilnehmer, die außerhalb der Installation Flyer verteilten, von deren Reaktionen. Während einige durchaus interessiert gewesen seien, hätten wiederum andere sich zwar auf ein Gespräch eingelassen, aber trotz mehrmaligen Erklärens den Sinn der Aktion nicht begriffen. Was solle es bringen, wenn man als einzelner keine Schurwoll-Produkte mehr kaufe, sei ein häufiges Argument gewesen. Die Entgegnung, dass schließlich nur soviel produziert wie abgenommen werde, sei dabei auf taube Ohren gestoßen. Der Gedanke, dass viele einzelne zusammen eine große Masse ergeben können, blieb fern. Der Grundgedanke eines jeden Engagements.

Fünf Städte insgesamt waren es, in denen am Montag den 8.9. auf die brutalen Praktiken der Schur in Deutschland aufmerksam gemacht wurde. Und obgleich wir auf viel Unverständnis gestoßen sind, gab es doch einige Menschen, die wir mit unserer Aktion erreichen konnten. Und seien es nur ein paar einzelne - gelohnt hat sich das Ganze allemal!


Mehr zum Hintergrund dieser Aktion unter PeTA Deutschland.


Und weitere Artikel gibts auf meinem Blog themultiplechoice