Fragwürdiger BILD-Artikel über Armutseinwanderung in der Kritik

von Portrait von Lisa Siewert Lisa Siewert
Veröffentlicht am 16. Juli 2013

Glaubt man dem Bild Artikel vom 16.07.2013 mit dem Titel "Armuts-Einwanderung gefährdet sozialen Frieden", so stehen wir kurz vor einem sozialen Gesellschafts-Debakel: Armut gefährde den sozialen Frieden. Genauer gesagt die eingewanderte Armut, um den Übeltäter gleich mal direkt beim Namen zu nennen. Vornehmlich schleiche er sich über die offenen EU-Grenzen von Rumänien oder Bulgarien nach Deutschland, besetze hier Häuser und schicke Kinder mit geringem Deutsch-Sprachschatz in unsere Schulen. Natürlich zahlen diese Menschen dem Bild-Tenor nach alle kein Geld für ihre Unterkunft oder leben auf Kosten des mildtätigen deutschen Staates wie die Made im Speck. Wenigstens vergisst die Bild nicht die Menschen zu erwähnen, die für ihr Geld arbeiten - auf den illegal blühenden Straßenstrichen unserer Republik. Mehr als 170.000 Migranten hat Deutschland 2012 aufgenommen, Tendenz steigend, ist in dem Artikel zu lesen. Als Quelle nennt die Bild ein interneres Dokument der öffentlichen Verwaltung, macht jedoch keine genaueren Angaben.

Tatsächlich gibt es aber ein Schreiben des Bundesministeriums, welches sich schon im April 2013 mit dem Missbrauch des Freizügigkeitsrechts in der EU und der Armutsmigration befasst. Es ist ein offizielles Dokument, welches öffentlich auf der Internetseite des Ministeriums zum Download bereit steht.

Darin bitten die für Migration zuständigen Minister einiger EU-Länder (darunter auch Deutschland) die EU-Präsidentschaft in Irland die genannten Themen auf ihre Tagesordnung zu setzen. In dem Schreiben gehen die Minister tatsächlich auf die Fälle von Migration ein, die den Aufnahmeländern schaden. So ist zum Beispiel die Rede von Belastungen des Gesundheitsystems in den sogenannten „Host-Ländern“. Die Minister betonen des öfteren, wie sehr man die Grundsätze der EU (und damit auch die Erleichterung der Einreise in andere Länder und Wohnortswechsel) schätze. Schließlich sei diese Offenheit ja eine Grundlage der EU. Nur über einige besondere Fälle möchte man doch bitte mal reden. Im Sinne des allgemeinen Interesses.

Natürlich ist Armutszuwanderung in der EU ein Problem. Und natürlich ist es gutes Recht der Minister, sich Rat und Hilfe zu holen, wenn es um die Bekämpfung von Missbrauch öffentlicher Gelder geht.

Was besonders traurig ist: Die Bild-Zeitung berichtet tatsächlich von realen Zuständen (wenngleich sie diese auch übertrieben reißerisch und pauschalisiert darstellt): Es kommt vermehrt zu Hausbesetzungen oder Unruhen, weil die Bewohner deutscher Städte die Migranten häufig nur schwer akzeptieren. Dabei ist immer nur die Sprache von den negativen Folgen für deutsche Bürger. Umgekehrt gibt es nur wenig Verständnis für die Situation vieler Migranten.

Die Menschen, die von Armutsmigration betroffen sind, sind nur indirekt die Bürger der Gast-Länder. In erster Linie sind die Opfer jene Menschen, die gezwungen sind aufgrund von Armut oder Verfolgung ihre Heimat zu verlassen. Die Bild zeigt passend zu ihrem Artikel ein Foto eines von Roma besetzten Hauses in Duisburg.

Was nicht erwähnt wird: Sinti und Roma, die aus Bulgarien und Rumänien stammen, werden in ihrer Heimat diskriminiert und verfolgt. Es ist für diese Gruppen kaum möglich eine gute Arbeit zu finden oder sich dort in die Gesellschaft einzugliedern. Wie die Süddeutsche berichtet, hat sich auch Bundespräsident Joachim Gauck vor einigen Monaten in die Debatte eingeschaltet und bringt die Sache auf den Punkt: Diese Menschen verlassen ihre Heimat nicht aus Faulheit - sondern aus Not.

Gleichzeitig ist in Deutschland die Rede vom Bevölkerungsrückgang und dem Fehlen von Arbeitskräften und Fachpersonal. Migranten? Ja gerne, aber dann bitte mit akademischen Titel und Kindern, die zur Schule gehen und von Anfang an unserer doch wirklich simplen Sprache mächtig sind.

Vielleicht ist die Zeit gekommen, in der die Auswirkungen auf den sozialen Frieden (welch ein paradisischer Begriff) und die Belastungen für unsere Staatskasse zu gravierend sind, um weiter mit den Folgen zu hadern. Meistens lässt sich ein Problem nämlich nur dadurch lösen, dass man die Ursache behebt. Und die ist in diesem Fall die mangelnde Perspektive und Chancenlosigkeit vieler Menschen in Europa.