Irritiert in "Refugee"

von Portrait von Carlotta Cornelius Carlotta Cornelius
Veröffentlicht am 16. Juni 2014

„Anstatt Grenzen zu errichten, sollte Deutschland stolz sein, dass es so anziehend geworden ist. Anstatt Grenzen zu errichten, sollte Deutschland stolz sein, dass es so anziehend geworden ist …“ Ich sitze im Theater, gegen Ende der Vorstellung, und je öfter der Satz von dem Darsteller vor mir wiederholt wird, umso mehr störe ich mich daran.

Dieser Satz spiegelt im Grunde genommen meine gesamte Haltung gegenüber dem Stück wieder, "Refugee", das soeben im Jungen Comedia-Theater uraufgeführt wird. Wie der Titel schon sagt, geht es um Flüchtlinge – besser: die ganze Flüchtlingsdebatte und wie wir in Deutschland mit dem Thema umgehen. Dass Europa eine Festung sei, in die niemand hinein gelassen werde und dass die großen Wohlstandsländer tatenlos zusehen, wie die Welt um sie herum in Armut und Krieg versinkt. So weit so gut.

Es ist nicht das Thema an sich, was mich an dem Stück stört: die Flüchtlingsdebatte ist ein brandaktuelles Thema, das dringend nach einer Lösung schreit. Eine Lösung, die auch in dem Stück selbst bis zum Schluss ungenannt bleibt. Das eigentliche Problem ist, dass „Refugee“ sich nicht entscheiden kann. Würde es tatsächlich nur um Flüchtlinge und unsere Haltung dazu gehen, wie kann man dann einen solchen Satz anbringen? „Anstatt Grenzen zu errichten, sollte Deutschland stolz sein, dass es so anziehend geworden ist.“ Denn soweit mein hoffentlich klarer Menschenverstand das einzuschätzen weiß, ist es einem Flüchtling, den in seinem Heimatland nur das Verderben erwartet, völlig egal, wo er aufgenommen wird. Solange er nur seiner Situation entkommt.

Grundsätzlich fällt mir an sehr vielen Stellen des Stückes auf, dass hier die Flüchtlingsdebatte mit der Migrationsdebatte verwechselt wird. Man regt sich darüber auf, das alle Welt sich über die vielen Ausländer in unserem Land beschwert, die ja doch nur unser Sozialsystem ausnutzen wollten. Wer, bitte wer redet da von Flüchtlingen? Nicht alle die in unser Land kommen, fliehen aus einem Katastrophengebiet, vor Krieg oder politischer Verfolgung. Und wie naiv muss man bitte sein, einem Flüchtling, der möglicherweise seine ganze Familie hat sterben sehen, vorzuwerfen, er wolle unser Sozialsystem ausnutzen? Das ist das Bild, das von den Deutschen und Europäern allgemein gezeichnet wird, nicht bewusst vielleicht, aber so kommt es rüber. Hieße das Stück hingegen "Migrant", sähe alles schon wieder ganz anders aus.

Ich möchte an dieser Stelle auch nicht weiter ausholen, denn ich glaube, dass zuviel Kritik dem Stück auch nicht gerecht wird: Es ist ihm immerhin gelungen, ein Nachdenken anzuregen. Kein Umdenken vielleicht, das wäre wohl etwas zuviel verlangt, aber zumindest setzt man sich mit dem Thema auseinander und hat noch einmal einige Dinge, über die sich sonst keiner Gedanken macht, vor Augen geführt bekommen. Die Ingenieurin aus Syrien, die jetzt in Deutschland als Putzfrau arbeitet, den Wirtschaftsflüchtling, den viele in jedem nur halbwegs fremdartig Wirkenden in der Bahn erblicken. Dass man sich darüber aufregt, dass Türken auf offener Straße in ihrer Muttersprache reden, während es uns bei Engländern oder Franzosen keinesfalls stört.

Und auch die darstellerische Umsetzung ist an mancher Stelle besonders zu loben: so geht man während des Stückes ins Publikum und stellt den Besuchern Fragen. Ob man schon einmal in einem Flüchtlingsheim gewesen sei. Wie man denn über das Thema denke. "Refugee" ist ein Stück mit guten Ansätzen und Botschaften. Nur leider dem falschen Titel.

[PHOTO,3]

Refugee wird noch bis zum 22. Juni 2014 im Comedia Theater Köln aufgeführt.