Kathrin Weßling

Autorin und Bloggerin

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 17. Januar 2013

Erzähl doch bitte etwas über Dich selbst.

Ich wurde 1985 in einer Kleinstadt im Münsterland geboren und bin dort auch aufgewachsen, bis ich 2006 zum Studium der Germanistik, Philosophie und Klassischen Literatur nach Köln ging und ein Jahr später nach Hamburg, um dort am Theater als Souffleuse und Regie-Assistentin zu arbeiten. Mittlerweile lebe ich ausschließlich vom literarischen Schreiben und arbeite manchmal zusätzlich als freie Texterin oder schreibe journalistische Artikel für Magazine.

Dein Debütroman „Drüberleben - Depressionen sind doch kein Grund, traurig zu sein“ ist im September erschienen. Die Frage bindet sich einem wegen des Sachbuch-mäßigen Titels quasi auf: Wie autobiografisch ist Dein Roman um die junge Ida?

Weniger, als viele vermuten und glauben wollen. Ida Schaumann ist nicht mein Alter Ego und hat auch eher wenige charakterliche Eigenschaften oder Erfahrungen und Erlebnisse, die ich mit ihr teilen würde. Natürlich verbindet uns aber auch viel: Wir beide sind junge Frauen, die an einer Depression erkrankt sind. Wir beide sind wütend. Und wir beide waren in einer Klinik. Ida habe ich aber konstruiert, um eine Geschichte zu schreiben, die nicht 1:1 meine eigene ist. Das wäre mir zu einfach gewesen, zu wenig anspruchsvoll und auch, tatsächlich, zu langweilig. Ich schreibe schon zu lange Geschichten, als dass ich lediglich mein Tagebuch hätte veröffentlichen wollen. Ich glaube, das hätte auch niemanden interessiert.

Wie oft wolltest Du „Drüberleben“ aufgeben und das Script zum Fenster rauswerfen?

Mindestens jeden zweiten Tag. Das Buch zu schreiben war ein psychischer und physischer Kampf. Die Sprache des Buches wird oft als „gewaltig“ beschrieben, aber ich habe das Schreiben seit jeher eher sogar als „gewalttätigen“ Akt erlebt. Ich quäle mich mit (zu) hohen Ansprüchen an mich selbst und hinterfrage so lange, bis ich einfach fünfzig Seiten ohne nachzudenken lösche, weil sie mir zu wenig elegant oder genau erscheinen oder was auch immer ich an solchen Tagen gerade daran auszusetzen habe. Mein Agent hat sich irgendwann von mir diese Textpassagen schicken lassen, weil er wusste, dass ich auch gerne mal in einem Wutanfall ein halbes Manuskript wegwerfe und es nachher bereue - immer. Ich habe bis nach der Veröffentlichung sehr stark an dem Text gezweifelt, aber heute weiß ich, dass es mir mit jedem Text so geht und gehen wird und dass ich lieber andere entscheiden lassen sollte, ob etwas fertig und gut ist.

Das Buch zu schreiben war ein psychischer und physischer Kampf. Die Sprache des Buches wird oft als „gewaltig“ beschrieben, aber ich habe das Schreiben seit jeher als „gewalttätigen“ Akt erlebt.

Hast Du, als „Drüberleben“ erschien, die Kritiken und Pressestimmen verfolgt, oder hast Du einen Bogen darum gemacht?

Leider habe ich sie verfolgt - und es hat mich wahnsinnig gemacht! Ich habe ganz zu Beginn einmal Sibylle Berg gefragt, wie man am besten damit umgeht und ihr einziger Rat war: Alles ignorieren, nichts lesen. Daran hätte ich mich halten sollen. Ich habe zwar so gut wie keine negativen Kritiken bekommen, aber auch die positiven verändern die Sicht auf das eigene Werk, als sei man plötzlich existentiell abhängig von den Meinungen der anderen und könnte alles auch nur noch nach fremden Maßstäben beurteilen. Und ständig ist da plötzlich die Angst: Was kommt als nächstes? Warum haben die nicht darüber geschrieben, andere aber schon? Ist diese Kritik jetzt berechtigt oder nicht? Ich kann mich erinnern, dass ich manchmal schon zittrig morgens den Laptop hochgefahren habe, weil ich Angst hatte, dass an diesem Tag plötzlich etwas ganz Negatives über das Buch erscheinen würde. Das ist niemals passiert, aber die Angst ist nicht weggegangen. Und dann ist das natürlich auch alles eine große Eitelkeit: Sich ständig Rezensionen durchzulesen, oder Interviews, die man gegeben hat. Und ich habe gemerkt, dass mich das alles stark verunsichert. Und das zerrt an meinem Selbstbewusstsein. Beim nächsten Buch werde ich es mir besser zu verbieten wissen, ständig bei Amazon oder sonst wo danach zu schauen. Aber, wenn man mal ehrlich ist: Autoren leben von der Meinung anderer. Wir SIND existentiell auf Meinungen der Rezensenten und Kritiker angewiesen, denn wir schreiben unsere Bücher ja nicht für uns allein. Das ist also alles eine zweischneidige Angelegenheit.

Kathrin Weßling

„Drüberleben“ ist auch der Titel Deines Blogs, mit dem Du seit 2010 recht populär geworden bist. Auch das Blog befasst sich mit Depressionen. Angenommen, Du hättest nie Depressionen gehabt, hättest Du dann jemals angefangen zu schreiben?

Ich schreibe seit meiner Kindheit und lange, lange, lange bevor das Blog überhaupt eine Idee in meinem Kopf war, habe ich für Magazine und Zeitungen geschrieben, war auf Lesebühnen und hatte sogar eine eigene kleine Lesebühne zusammen mit drei anderen Autoren im Hamburger Schauspielhaus. Unter Depressionen leide ich ebenfalls seit ich denken kann. Also kann es sein, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt. Aber wissen kann ich das nicht. Müsste ich eine Vermutung äußern, dann würde ich sagen, dass ich ein (zu) sensibler Mensch bin, dass ich bestimmte Dinge anders wahrnehme und viel verletzlicher bin als die Menschen, die ich kenne und dass all das sowohl ein guter Nährboden für eine psychische Erkrankung als auch für eine künstlerische Betätigung ist, diese beiden Dinge sich also nicht bedingen, aber den gleichen Ursprung haben.

In Deinem Blog hast Du kürzlich angeprangert, dass Literatur in Deutschland ein schwieriges, unhandliches Thema ist, weil der Zugang dazu sehr schwer ist – es gibt keine Literatur-Sendung im Fernsehen, die nicht über ihre eigene Intellektualität stolpert. Warum glaubst Du, ist das so?

Nichts muss kompliziert sein, nichts muss so schwierig sein, dass es nur noch ein Bruchteil der Leser oder Betrachter versteht. Das ist ein Missverständnis der Menschen, die glauben, dass „schwierig“ gleich „gut“ bedeutet.

Ich glaube, dass das, wie so vieles, in der Angst begründet ist: Die Intellektuellen haben Angst, sich nicht mehr von „der Masse“ abzuheben, wenn sie sich erst einmal aus ihrem Elfenbeinturm „herab begeben“ und die von ihnen so gefürchtete „Masse“ hat Angst als „dumm“ zu gelten, wenn sie bestimmte Dinge und Bücher und Architektur und Kunst nicht „versteht“. Das alles ist aber ein Missverständnis: Kunst im Allgemeinen, egal, ob Literatur oder Malerei oder etwas anderes, muss nicht unzugänglich sein, um gut zu sein. Nichts muss kompliziert sein, nichts muss so schwierig sein, dass es nur noch ein Bruchteil der Leser oder Betrachter versteht. Das ist ein Missverständnis der Menschen, die glauben, dass „schwierig“ gleich „gut“ bedeutet. Und ich glaube, dass sich viele Leser dem langsam widersetzen und dass das einige Kritiker, Betrachter, usw. als „Verdummung“ abtun, es sich jedoch eigentlich einfach um neue Begrifflichkeiten handelt, um einen neuen und anderen Zugang, den man vielleicht wegreden kann, aber dass er da ist, verrät schon ein Blick in die Bestsellerlisten.

Du bist Jahrgang 1985 – wie sieht Deine Zukunft aus? Willst Du hauptberuflich Schriftstellerin sein, oder greifst Du auf etwas anderes zurück, um Deinen Lebensunterhalt zu verdienen?

Ich lebe ja schon seit mehreren Jahren vom Schreiben und hoffe sehr, dass ich nie, nie wieder etwas anderes machen muss. Falls sich meine Bücher nicht mehr verkaufen würden, würde ich trotzdem weiterschreiben - für mich. Um Geld zu verdienen; dann eben als Werbe-Texterin oder Ghostwriterin, wie jetzt schon desöfteren. Es gibt - leider - keinen Plan B, keine Alternative. Das macht mir oft Angst, aber es ist eine Entscheidung, bei der ich oft denke, dass ich sie nicht wirklichen treffen kann: Sie ist schon in mir angelegt, weil ich mich sonst für etwas anderes als das interessieren würde. Aber es gibt tatsächlich nichts, das mich beruflich wirklich reizen würde und das nichts mit dem Schreiben zu tun hat.

Wer sind Deine literarischen Vorbilder?

Jonathan Franzen, Juli Zeh und Siri Hustvedt.

Im Moment arbeitest Du an Deinem zweiten Roman, der nächstes Jahr erscheinen soll. In zwei Sätzen - worum geht’s?

Um die Unmöglichkeit der Liebe zwischen Zweien, zwischen Dreien oder auch nur zu sich selbst. Und um die Dekonstruktion des Begriffes „Familie“ .

Dieses öffentliche Hinrichten von Privatpersonen, Politikern oder Geschäftspersonen und Stars erschreckt mich immer wieder.

Die Inselfrage: Welche fünf Bücher würdest Du mitnehmen?

Jonathan Franzens „Die Korrekturen“ und Proust, alle Bände, was in meinem Fall drei sind. Damit ich es endlich einmal zu Ende lese - das wäre dann der dritte Versuch. Und natürlich den Klassiker: Ein Buch mit praktischen Anleitungen zum Überleben in der Wildnis.

Mit was kommst Du gar nicht zurecht – sei es beruflich oder privat?

Mit jeder Form der Diffamierung einer Masse gegenüber einer einzelnen Person. Dieses öffentliche Hinrichten von Privatpersonen, Politikern oder Geschäftspersonen und Stars erschreckt mich immer wieder. Wie da eine Massenbewegung entsteht und die schlimmsten, widerlichsten Dinge im Internet über Menschen gesagt werden und jeder noch ein bisschen krasser und bösartiger sein will - so etwas ekelt mich zutiefst an.