Stephan Valentin

Autor und Kinderpsychologe

von Portrait von Karoline Sielski Karoline Sielski
Veröffentlicht am 12. September 2012

Bitte erzählen Sie uns, wovon genau ihr aktuelles Buch, "Ichlinge - Warum unsere Kinder keine Teamplayer sind", handelt.

"Wir leben in einer Gesellschaft mit anderen und nicht in einem Vakuum."

Dem anderen zuhören, ihn ausreden lassen, nicht dazwischenreden, seine eigenen Bedürfnisse zurückstecken — das fällt vielen Kindern schwer und in Kitas und Schulen wird es immer mehr zum Problem, dass sich der Nachwuchs oft nur schwer an Regeln und Grenzen halten kann. Auch Zuhause zwängen Kinder ihre Wünsche und ihren Willen der ganzen Familie auf und erreichen dadurch, dass sich alles nur um sie selbst dreht. Dabei ist das Team im Leben so wichtig. Wir leben in einer Gesellschaft mit anderen und nicht in einem Vakuum. Das erste Team ist das Eltern-Kind-Team und da hapert es leider schon in vielen Familien ab der Geburt.

Was möchten Sie mit dem Buch erreichen?

In den USA haben, zum Beispiel, die jetzigen Studenten in den letzten 10 Jahren 40% an ihrer Empathie verloren. Es interessiert sie schlicht weg einen „Dreck“ wie es dem anderen geht, denn nur ihr eigener Erfolg steht im Mittelpunkt. Kinder lernen auch von klein an, den Anderen als Konkurrenten anzusehen. So begreifen Kinder sehr früh, dass sie ihren Weg allein bestreiten müssen und dass vor allem die Leistung des Einzelnen zählt und belohnt wird. Ich möchte mit meinem Buch Eltern Tipps geben, wie sie vermeiden können, dass ihre Kinder zu kleinen Egoisten werden, die nur noch an sich selbst denken und dadurch nicht glücklicher werden.

Fällt Ihnen spontan eine Situation ein, in der Sie sich persönlich besonders über Egoismus geärgert haben?

"Beide wollten sich vordrängeln und sie erklärte ihm „Zuerst schubst du und dann sagst zu Pardon!“

Da gibt es so viele Beispiele. Ich war kürzlich im Museum und da war eine ziemlich lange Schlange an der Kasse und hinter mir eine Französin mit ihrem achtjährigen Sohn. Beide wollten sich vordrängeln und sie erklärte ihm „Zuerst schubst du und dann sagst zu Pardon!“ Oder : der Bus war gerammelt voll. Ganz hinten sind immer fünf Plätze nebeneinander. Auf zwei Sitzen saßen zwei Frauen und auf den dreien zwischen ihnen hatten sie ihr Gepäck verstaut. Als eine Frau fragte, ob sie sich setzen könnte, sagte eine der Frauen: „Kein Platz!“

Welche anderen Eigenschaften können sie zudem nicht leiden - sei es privat oder beruflich?

Übertriebener Ehrgeiz, Verlogenheit, Überheblichkeit…

Was ist ihrer Meinung nach das ideale Spielzeug für Kinder?

Das Spielzeug ist nicht so wichtig, sondern das Spielen der Kinder mit Gleichaltrigen. Egal ob im Sandkasten, auf der Wiese, Zuhause, mit oder ohne Spielzeug. Sie entwickeln sich ihre sozialen Kompetenzen. So lernen Kinder, wie man den anderen behandelt, ihn respektiert, ihm zuhört, mit ihm umgeht und wie man sich in seine Gefühle hineinversetzt.

Sie haben sich in der Vergangenheit ehrenamtlich in Bombay und an der Elfenbeinküste engagiert. Welche Erlebnisse sind Ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben?

"In Afrika nannte man mich in der Psychiatrie den „kleinen Weißen“, dabei bin ich 1,82m…"

Wie stark Kultur auf psychische Störungen einfließt. In Indien habe ich zum Beispiel Frauen behandelt, die zu einer Heirat gezwungen wurden und eingeliefert wurden, weil sie von heut auf morgen ihren neuen Mann nicht mehr erkannt haben und „durchgedreht“ sind. Die Heirat war ein solches Trauma, dass diese jungen Frauen sie einfach verdrängt haben. Ihr Ehemann wurde so zu einem „Fremden“. In Afrika nannte man mich in der Psychiatrie den „kleinen Weißen“, dabei bin ich 1,82m… und dort war der Einfluss von schwarzer Magie sehr stark. Ein Patient meinte zum Beispiel, er wäre in der Psychiatrie gelandet, weil er eine Pfeife aus Deutschland hätte und ich hätte ihn so hergelockt.

Erzählen Sie doch bitte etwas über sich selbst – wo wurden Sie geboren, wo wohnen Sie jetzt?

Ich bin in Heidelberg geboren und dann mit 20 Jahren nach Paris gezogen, um dort Schauspieler zu werden. Obwohl ich noch nie geschauspielert hatte. Ich dachte mir einfach, warum nicht? Meine Eltern waren natürlich geschockt. Aber man muss eben sein eigenes Leben leben und die Familie sollte das respektieren.

Wie sind Sie zu Ihrer Berufung gekommen?

"Ich habe dann meinen Doktor an der Sorbonne in Paris gemacht und in der Studienzeit immer mehr den Beruf des Kinderpsychologen lieben gelernt."

Nach 4 Jahren Schauspielstudium, zwei Stipendien und einigen Auftritten im Theater habe ich noch etwas dazu studieren wollen. In diesem Beruf weiß man ja nie, ob man nicht mal später als Tellerwäscher enden wird… Im Theater gibt es ja auch die Psychologie der Rolle. Da dachte ich mir — Psychologie, das wäre was für mich! Ich habe dann meinen Doktor an der Sorbonne in Paris gemacht und in der Studienzeit immer mehr den Beruf des Kinderpsychologen lieben gelernt.

Was macht Ihre Arbeit aus – wie sieht Ihr Alltag aus?

Ich höre Kindern und ihren Eltern zu, versuche zu verstehen, was sie bedrückt, um ihnen dann Lösungen vorzuschlagen. Es ist schön zu sehen, wenn Kinderaugen wieder beginnen zu leuchten…

Wenn Sie einen anderen Beruf hätten wählen müssen, welcher wäre das? Oder welche andere Berufswahl wäre eine Alternative für Sie?

Also neben Schauspieler — Verkäufer. Ich finde es toll, Kunden zu beraten und ihnen zu helfen. Leider hat man aber in Geschäften oft das Gefühl, dass man die Verkäufer stört…

Wie lautet Ihr Lebensmotto?

Risiken eingehen. Dinge wagen. Dann muss ich auch später nicht bereuen, etwas nicht versucht zu haben.

Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Lebenslustig und neugierig.

Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch einen Tag zu leben hätten?

Ich würde eine Riesenparty organisieren und 24 Stunden mit meiner Familie und meinen Freunden durchfeiern.

Welche magische Kraft hätten Sie gerne, wenn Sie eine wählen könnten?

"Unsichtbar zu sein, um mal wirklich mitzubekommen, was in unserer Regierung so vorgeht…"

Unsichtbar zu sein, um mal wirklich mitzubekommen, was in unserer Regierung so vorgeht…

Wer oder was ist Ihnen im Leben am Wichtigsten?

Meine Familie, denn zu wissen, dass sie da ist, wenn ich sie brauche und das Gefühl gebraucht zu werden, gibt mir sehr viel Sicherheit im Leben.

Gibt es noch etwas, dass Sie unbedingt mitteilen möchten?

"Zusammen leben und agieren statt einsamer Erfolg."

Ichlinge werden nicht als solche geboren. Sie sind das Produkt äußerer Faktoren. Doch das Trainieren der sozialen Kompetenz und Prävention im Bereich der Teamfähigkeit kann Ichlingen und generell Kindern und Jugendlichen das sichere Gefühl des „Wir“ vermitteln und ihnen ein neues Motto für die Zukunft schenken: „Zusammen leben und agieren statt einsamer Erfolg“.

Vortrag: ICHLINGE: Montag, 1. Oktober 2012 um 18.00 Uhr, Volkshochschule Duisburg, Königstraße 47, 47049 Duisburg, info@vhs-duisburg.de, www.vhs-duisburg.de