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von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 5. März 2012

Renditen, Dividenden, Emissionen - einen Film über die Finanzkrise zu machen ist gar nicht so einfach. Welcher Durchschnittsmensch kennt sich schon im Broker-Business aus? Wer in einfachen Worten erklären möchte, was 2008 mit Lehman Brothers und den Immobilienkrediten falsch gelaufen ist, muss sich ziemlich anstrengen. In „Der große Crash - Margin Call“ wird das aber nur bedingt versucht. Und genau deshalb wird der kleine Film mit großem Cast viele Zuschauer nicht fesseln können. Das ist schade, denn „Der große Crash - Margin Call“ ist ein in weiten Teilen gelungener, intensiver Film über ein Thema, das nicht nur 2008 wichtig war.

Eric Dale (Stanley Tucci) ist Risiko-Manager in einer Investmentfirma mit gläsernem Hauptsitz in New York City. Zumindest bis er unverhofft gefeuert wird. Sein derzeitiges Projekt, ein Szenario bezüglich eines eventuellen Kursverfalls, darf er nicht mehr beenden, übergibt es aber seinem ehemaligen Schützling Peter Sullivan (Zachary Quinto). Der entdeckt in den Berechnungen schnell, dass die Unternehmenszahlen auf dem Papier sehr viel besser aussehen, als es in der Tat der Fall ist. Die Immobilienblase ist kurz davor zu platzen und die Firma steht, ohne dass es jemand ahnt, am Rand des Ruins. Sein mitten in der Nacht ins Büro beorderte Chef Sam Rogers (Kevin Spacey) beruft sofort eine Vorstandssitzung ein. Die leitenden Köpfe beschließen, einen schnellen, endgültigen Abverkauf zu starten. Aber wie verkauft man etwas, von dem man weiß, dass es praktisch wertlos ist? Angesichts des drohenden privaten Ruins muss sich jeder Beteiligte entscheiden – widerspricht der Abverkauf der eigenen Moral, oder ist man bereit, zu tun, was nötig ist, um den eigenen Kopf zu retten?

 

Atmosphärisch, subtil, beklemmend.

 

Nach „Company Men“ ist „Der große Crash - Margin Call“ der nächste hochkarätig besetzte Film über die Zeit der Wirtschaftskrise. Doch während es in „Company Men“ um die von den Entlassungen Betroffenen geht, ist das Kind bei „Der große Crash - Margin Call“ grade erst dabei, in den Brunnen zu fallen. Schauplatz des in einem Zeitfenster von etwa 24 Stunden spielenden Films ist nahezu ausschließlich das Bürogebäude, in dem die folgenschweren Entscheidungen getroffen wurden. Besonders Jeremy Irons als abgekochter CEO und Stanley Tucci als entlassener Risk-Manager sind großartig besetzt.

Die Atmosphäre von „Der große Crash - Margin Call“ ist schon in den ersten Minuten bedrückend. Mitarbeiter werden ins Chefbüro gerufen und packen danach den Inhalt ihrer Schreibtischschubladen in weiße Kartons. Die Noch-Kollegen versuchen, Mitleid und auch Angst zu verbergen; so richtig schafft es aber niemand. Nur der scheinbar eiskalte Profibroker Will, großartig gespielt von Paul Bettany („Gangster No. 1“), sitzt dem traurigen Spiel recht gleichgültig gegenüber. Kevin Spacey dagegen schauspielert am Rand der Mittelmäßigkeit herum und bleibt ungewöhnlich austauschbar. Erschwerend kommt eine plumpe Metapher um dessen kranken Hund hinzu. Völlig fehlbesetzt und seit jeher in der falschen Branche tätig ist Simon Baker, der sich seit ein paar Jahren dank „The Mentalist“ auf der ein oder anderen Plakatwand findet. Seine Rolle ist zudem völlig überflüssig und verdammt die Figur dazu, in der Gegend herumzustehen und darauf zu warten, dass irgendetwas passiert.

 

Entgegen dem ersten Anschein passiert in „Der große Crash - Margin Call“ sehr viel. Nicht im bay'schen Sinne mit Feuer und Aliens, sondern im kleinen, zwischenmenschlichen Sinne – da werden schwerwiegende Entscheidungen getroffen, Karrieren mit halbseidenen Worten beendet und an glänzenden, runden Tischen krisensichere Führungspersönlichkeiten geopfert. Alles für die Dollars.

 

„Es ist doch bloß Geld! Imaginär, mehr nicht. Bloß Papier mit Gesichtern drauf, damit wir uns bei der Suche nach Nahrung nicht umbringen.“ - John Tuld (Jeremy Irons)

 

Das Regiedebüt von J.C. Chandor kommt sehr subtil daher und ist nichts für Popcornfreunde. Man muss genau aufpassen und zügig mitdenken, wenn man nicht den Faden verlieren will. Erschwert wird das durch den unvermeidlichen Wall-Street-Jargon. Zwar versucht der Sohn eines ehemaligen Merrill Lynch-Mitarbeiters, die Vorgänge möglichst anschaulich zu erklären, damit auch ein Handwerker es versteht, aber so richtig schafft er es dann doch nicht. Aus diesem Grund gibt es hier die Finanzkrise noch einmal einfach erklärt: Jeder hätte gern ein eigenes Haus. Damit das möglichst viele Amerikaner auch haben können, boten die amerikanischen Investmentbanken zwischen 2000 und 2007 sehr günstige Kredite an – sogar an Leute, die praktisch kein Geld auf der hohen Kante hatten. Das war riskant für die Banken, denn wenn sie ihr verliehenes Geld nicht wiederbekommt, ist das schlecht fürs Geschäft und das Unternehmen macht weniger Umsatz. Lehman Brothers und andere wähnten sich aber in Sicherheit. Zum einen weil ein derart großer Konzern wie etwa Lehman Brothers bisher immer bei drohender Insolvenz vom Staat aufgefangen worden war – Begründung: es ist billiger, die Bank aus der Insolvenz freizukaufen, als 25.000 Arbeitsplätze zu verlieren. Der zweite Grund war, dass Hypotheken die Grundlage des westlichen Finanzsystems sind – wenn jemand nur noch wenig Geld hat, geht er nicht mehr so oft ins Restaurant, oder wechselt die Reifen selbst; erst ganz zum Schluss hört er auf die Hypotheken zu bezahlen. Die Bank glaubte also, das die Kreditraten schon bezahlt werden würden, auch wenn's der Wirtschaft vielleicht grade nicht so gut ging und der Amerikaner nicht allzu viel in der Tasche hatte. Aber dann, so etwa 2006, kam es anders: die Wirtschaft lief schlechter, als eh und je und viele der Kreditraten der frischen Hauseigentümer blieben aus. Aber das eigentliche Problem war etwas anderes: weil die Kredite so günstig angeboten worden waren, wollten mehr Leute ein Haus kaufen, als normalerweise. Die Nachfrage war also größer als sonst – und das führte natürlich dazu, dass die Immobilienpreise stiegen. Man hat dann ein teures Haus, das man mit kleinen Raten abbezahlt – oder eben nicht, wenn man es sich nicht mehr leisten kann. Dieses Phänomen ist eine Immobilienblase – die Preise sind hoch, die Kredite aber sehr niedrig. Auf dem Papier gehören einer Investmentbank dann schicke Häuser, Geld kommt aber immer weniger rein. Wenn die Leute dann ihre Häuser verkaufen müssen, weil sie die Raten wegen der schlechten Wirtschaftslage nicht mehr zahlen können, fallen auch die Immobilienpreise wieder in den Keller – keiner hat Geld um ein Haus zu kaufen, also ist die einst als Sicherheit hinterlegte Stadtvilla jetzt wertlos und kann von der Bank nicht weiterverkauft werden. In den Büchern der Investmentbank stehen dann also viele tolle Häuser, die mit tollen, hohen Zahlen bewertet werden, aber eigentlich kaum etwas wert sind. Das ist eine Immobilienblase. Wenn jemand herausfindet, wie es wirklich um die Firma steht, platzt diese Blase und das Unternehmen muss im schlimmsten Fall Konkurs anmelden. Lehman Brothers war die vierte große amerikanische Bank, die Konkurs anmeldete. Und man entschied, diesen Riesen nicht zu retten, weil dann auch alle anderen gerettet hätten werden müssen. 25000 Leute wurden gefeuert, das Vertrauen in die Banken schwand und das gesamte Finanzsystem geriet ins Wanken. Auch in Europa. Aber so weit geht „Der große Crash - Margin Call“ gar nicht. Er endet mit der nur angedeuteten Entscheidung Kevin Spaceys, ob er die wertlosen Firmenanteile für viel Geld verkaufen will, und somit die Käufer in den Ruin stürzt, um sich selbst zu retten.

 

Es ist ein großes Thema, das im Kleinen aufbereitet wird. „Der große Crash - Margin Call“ zeigt niemanden, der in Telefone brüllt, keine panischen Manager, oder verzweifelte Selbstmörder. Mit sehr dichter, direkt angsteinflößender Erzählweise wird hier das beleuchtet, was sich hinter den Fassaden der Wolkenkratzer abspielte. Und auch die Menschen werden gezeigt, die falsche Entscheidungen getroffen haben. Verurteilt wird aber trotzdem niemand - „Der große Crash - Margin Call“ ist kein „Schaut mal wie die da oben uns verarschen“-Film. Stattdessen ist es ein in jedem Fall sehenswerter Film, der nicht jeden ansprechen wird.

 

„Der große Crash - Margin Call“ ist ab 24. Februar auf DVD und Blu-ray zu haben. Die DVD bietet Trailer, eine Fotogalerie, ein Am Set-Feature von einer Minute Laufzeit, ein kaum 5-minütiges Making Of und ein seltsam unbearbeitet wirkendes Interview von 20 Minuten Länge. Außerdem gibt es ein Wendecover.

Ambitionierter Film mit kleinen Macken - Der große Crash