Daniela Dröscher

Autorin

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 16. Oktober 2012

Erzähl doch bitte etwas über Dich selbst.

Ich bin in Schwabing, München geboren, habe dort aber nur die ersten 3 Jahre verbracht; ich bin also eine 'falsche Münchnerin'. Aufgewachsen bin ich in einem kleinen rheinland-pfälzischen Dorf, am Fuße des Hunsrücks. Schöne Landschaft, tolle Freunde, viel Zeit zum Lesen, aber ich wollte natürlich dort weg - zu klein. In Berlin lebe ich seit  etwa zwölf Jahren, also fast ein Drittel meines Lebens. Auch wenn man wie ich viel Zeit am Schreibtisch verbringt, flirrt die Stadt um einen, und die weiten, hellen Straßen, die mag ich sehr. Nach einem geisteswissenschaftlichen Studium und einer Promotion über die Autorin Yoko Tawada -den, wie ein Freund mal sagte, „berühmtesten Geheimtipp der deutschen Literatur"- habe ich Szenisches Schreinen in Graz studiert. Ich habe also ein echtes 'Dichterdiplom'. (lacht)

Dein erster Roman „Die Lichter des George Psalmanazar“ und auch Dein zweiter, „Pola“ drehen sich um Hochstapler und Leute, die vorgeben, etwas zu sein, das sie gar nicht sind. Ist das ein Zufall, oder faszinieren Dich Betrüger tatsächlich?

Das ist sicher kein Zufall im strengen Sinne, aber auch kein Konzept. Ich greife intuitiv nach solchen Stoffen. Das besondere an meinen „Betrügern“ ist ja, dass sie keine „klassischen“ Hochstapler sind. Sie schaden ja niemandem, und es geht ihnen auch nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, um Ruhm oder Geld. Anders ein Heiratsschwindler, der mit Gefühlen jongliert, setzen sie bei der Sache ja sich selbst mit Haut und Haar auf's Spiel. Pola und George sind Geschichtenerzähler. Figuren, denen die Welt ohne Übertreibung zu klein, zu arm, zu blass erscheint. Deshalb schmücken sie ihr Leben aus. Sie wachsen über sich selbst hinaus. Dieses Weggehen von sich, das treibt mich selbst auch an. Es sind ja sehnsüchtige Figuren. Zur Sehnsucht gehört immer: nicht da sein wollen, wo man ist, woanders sein wollen. Streng genommen lügen sie wahrscheinlich. Die Lüge ist der Fiktion sehr verwandt. „Literatur ist die Verabredung zum Lügen“, schrieb ein Kritiker mal.

Ein weiterer gemeinsamer Aspekt in Deinen beiden Romanen ist, dass beide, sowohl George Psalmanazar, als auch Pola Negri tatsächlich gelebt haben. Negri war sogar ein ausgesprochener Star der Stummfilmzeit. Hast Du eine Aversion gegen fiktive Charaktere?

Mich fasziniert es immer wieder, welch kunstvolle Geschöpfe es in der Wirklichkeit gibt. So begrenzend ich die Realität oft empfinde, so übervoll ist sie an solch phantastischen Gestalten. Ich lande immer bei solchen Figuren, bei denen ich den Eindruck habe: ihre Geschichte ist noch gar nicht erzählt. Von der Geschichte Vergessene sind es ja beide; wenn auch auf verschiedene Weise vergessen. George Psalmanazer ist ein Orchideenstoff, kaum einer kennt seinen Namen. Bei Pola Negri ist das anders, die kennen manche zumindest dem Namen nach. Ihr Leben aber ist selbst so Hollywood-esk, da musste einfach einmal jemand kommen und einen Roman daraus machen. Nun war ich das, aber ich bin sicher, hätte ich das nicht getan, dann irgendwann irgend ein anderer Autor.

Aufmerksamkeit ist die Währung, die in fast allen Lebensläufen bestimmend ist, nicht nur in künstlerischen.

„Pola“ ist im August erschienen. Warst Du aufgeregt? Und wie war das erste Feedback?

Auch meiner Sicht war das Buch schon lange vorher fertig - im April. Und anders als bei einer Premiere im Theater ist das eine irre lange Zeit zwischen Manuskriptabgabe und Erscheinen. Und ein Profi werde ich darin wohl nie in dem Sinne, dass ich nicht aufgeregt bin. Als es dann so weit war, dass das Buch fertig, aber noch nicht erschienen war, ist meine Lektorin mit einem Exemplar im Gepäck vorbeigekommen und wir haben unten in meiner Hausbar angestoßen. Ich schreibe ja auch für die Bühne, und in der Prosa ärgert es mich immer, dass man sich so schlecht verbeugen kann in einem solchen Moment. Niemand klatscht, es gibt keine Premiere. Also habe ich mich trotzdem verbeugt, vor meiner Lektorin. Und allen Passanten, die gerade vorüberkamen. Das erste Feedback kam von Freunden. Das sind die strengsten Leser. Ich weiß, dass das bei anderen Autoren anders ist, aber meine Freunde sind streng. Wahrscheinlich, weil sie sich alle irgendwie mit Kunst herumplagen. Und ja, fast alle mögen Pola. Es gab aber auch Stimmen, die es ungemein irritiert hat, dass ich diesen seichten Stoff gewählt habe. Hollywood! Was, bitte, will man darüber im 21. Jahrhundert noch sagen? Eine Menge, fürchte ich. Aufmerksamkeit ist die Währung, die in fast allen Lebensläufen bestimmend ist, nicht nur in künstlerischen. Das wollte ich hinterfragen. Warum tut man das, was man tut? Für wen? Zu welchem Preis? Ist man dabei glücklich oder unglücklich? Macht es Sinn? Wann macht es keinen Sinn mehr zu tun, was man tut? Pola Negri war ja am Ende ihres Lebens Immobilienmaklerin, und keine Schauspielerin mehr. Diese Anekdote liebe ich, es steckt Humor und Freiheit in ihr. Sie hat sich einfach noch einmal neu erfunden.

Hast Du die Kritiken zu Deinen Romanen gelesen, oder sind Dir die Pressestimmen egal?

Ich lese Kritiken, natürlich lese ich die. Ich will ja wissen, was die Menschen denken über das, was ich tue. Das Schreiben selbst hat für mich ganz viel mit Schweigen, mehr noch als mit Sprechen, zu tun. Sobald das Buch aber draußen ist, sucht es die Kommunikation mit Lesern. Kritiken sind Stimmen wie alle anderen Stimmen zu einem Buch auch Stimmen sind. Manchmal sagen mir Rezensenten ganz erstaunliche, ungeahnte, beglückende Dinge über mein Texte, manchmal ärgern sie mich. Und bei der ersten wirklich harten Kritik vor zwei Jahren habe ich zwei Tage nichts gegessen, aber am Ende dann doch den großen, bunten Schriftzug „NEIN!“ in der Küche aufgehängt. Davon darf man sich nicht beirren lassen. Ich versuche inzwischen immer zu verstehen: von welchem Ort aus spricht jemand? Was sind seine Kriterien, was sein Maßstab? Das finde ich wichtig, nichts 1 : 1 zu nehmen.

Wer sind Deine literarischen Vorbilder?

Bei der ersten wirklich harten Kritik vor zwei Jahren habe ich zwei Tage nichts gegessen, aber am Ende dann doch den großen, bunten Schriftzug „NEIN!“ in der Küche aufgehängt.

Die sind bei jedem Buch neu. Bei „Pola“ waren es Irmgard Keun, Tucholsky und Flaubert. Bei meinem ersten Roman englische Erzählerinnen der Gegenwart. Jeanette Winterson vor allem und Angela Carter. Die beiden sind hierzulande, glaube ich, gar nicht so bekannt. Marguerite Duras ist jemand, der mich ungemein geprägt hat. Faulkners „Licht im August“ ist eine Bibel. Filme, Musik und Werke der bildenden Kunst sind aber nicht weniger wichtig als Bücher.

Was ist Dein nächstes Projekt? Werden wir Frank Abagnale oder Gert Postel in Deinen nächsten Romanen antreffen, oder widmest Du Dich anderen Protagonisten?

Der nächste Roman spielt in Frankreich, und vor allem - ganz aufregend für mich! -  in der Gegenwart; wenn auch mit vielen, vielen historischen Einsprengseln. Meine Hauptfigur ist eine Großmutter. Ein Feldwebel. Ein Familienoberhaupt, wie man es heute kaum noch kennt. Jemand, der die Fäden zieht und Intrigen spinnt. Eine Königin, die voller Geheimnisse steckt - die trifft auf ein junges Paar. Vom Genre etwas zwischen Mystery Novel und Road Movie. Dazu lese ich mich in französische Literatur ein, Pierre Michon zum Beispiel.

Die Inselfrage: Welche fünf Bücher würdest Du mitnehmen?



1.„Learning To Love You More“ von Miranda July. 2. „The Whole Earth Catalogue“ von Stewart Brand. 3. „Rot und Schwarz“ von Stendal. 5. „Was ich liebte“ von Siri Hustvedt. Und 6. „Keiner weiß mehr“ von Brinkmann.

Was liest Du grade privat?

„Irrungen, Wirrungen“ von Fontane. Das hat mir ein Kollege empfohlen; er liest es jeden Sommer, seit 10 Jahren. Das phantastischste Buch des Jahres ist „This is water / Dies ist Wasser“ von David Foster Wallace. Ein ganz schmaler Band darüber, wie wichtig es ist, sich nicht für den Mittelpunkt der Welt zu halten. Und zum wiederholten Male „Wittgenstein's Mistress“ von David Markson - von Wallace sehr geschätzt übrigens. Nächstes Jahr erscheint es auf deutsch. Ein Buch über die letzte Frau auf der Welt, ein ebenso heiteres wie verstörendes Buch.

Gibt es noch etwas, das Du unbedingt mitteilen möchtest?

Als ich an „Pola“ schrieb, ging mir immer wieder ein Zitat der Tänzerin und Choreographin Meg Stuart durch den Kopf: „We have to think more about how it feels and not how it looks.“ In Wirklichkeit geht das Zitat genau umgekehrt, habe ich letztens entdeckt: "We have to think more about how it looks and not how it feels." In diesem Verdreher offenbart sich mein ganzes Schreiben, fürchte ich.