Tilman Birr

Autor

von Portrait von Steffen Kutzner Steffen Kutzner
Veröffentlicht am 12. April 2013

Erzähl doch bitte etwas über Dich selbst.

Ich wurde 1980 in Frankfurt am Main geboren und wohne seit 2000 in Berlin. Ursprünglich komme ich aus der Lesebühnen- und Poetry-Slam-Szene und habe 2009 angefangen, als Solokabarettist aufzutreten. Mit meinem Programm zum Buch bin ich seit Herbst 2012 unterwegs.

In Deinem Debütroman „On se left you see se Siegessäule“ folgen wir einem jungen Mann, der sich als so genannter Stadtbilderklärer in Berlin durchschlägt. In anderen Städten würde man wohl „Fremdenführer“ sagen. Worum geht es in „On se left you see se Siegessäule“?

Vordergründig geht es um die Sicht eines Zugezogenen auf Berlin, die Sicht eines Berliners auf die Besucher und die der Besucher auf Deutschland. Dem Protagonisten geht es aber viel mehr um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Arbeit und Lebensqualität, weshalb er nach Ende seines Studiums Stadtführer geworden ist und nicht unbezahlter Praktikant. Als er den Job verliert, stellt sich die Frage noch drängender, aber zum Glück trifft er dann auf Lemmy Kilmister.

Du warst selbst Stadtbilderklärer. Wusstest Du schon während dieser Zeit, dass Du jene Tage als Erklärer mal in einem humoristischen Roman verarbeiten würdest?

Nein. Die Idee, daraus ein Buch zu machen, kam erst anderthalb Jahre später. Zum Glück, denn vorher hätte ich die nötige Distanz wahrscheinlich noch nicht gehabt.

Dein absurdestes Erlebnis als Stadtbilderklärer?

Als die Fassade des Alten Museums voller Hakenkreuzfahnen hing, musste ich einigen irritierten Touristen erklären, dass da kein Parteitag stattfindet sondern ein Film gedreht wird.

Du tourst grade durch Deutschland. Hast Du Dir schon mal als Gast eine Stadtrundfahrt angesehen?

Meistens holt mich der örtliche Veranstalter vom Bahnhof ab und gibt mir eine kurze Privatführung, um die weltgeschichtliche Bedeutung seines Ortes zu belegen. Ich weiß jetzt zum Beispiel, dass in Dinkelsbühl die zweitgrößte Hallenkirche Süddeutschlands steht, und dass Pfullendorf bis 1803 Freie Reichsstadt war. Die Schmach, diesen Status verloren zu haben, nagt bis heute an den Pfullendorfern.

Du bist auch Poetry Slammer und Liedermacher. Was liegt Dir mehr – Lyrik oder Prosa?

Lyrik mache ich nur in Form von Songtexten, was natürlich eine ganz andere Arbeit als Prosa ist. Man ist gezwungen, präziser und auf den Punkt zu arbeiten, kann es sich aber auch erlauben, nicht alles auszuformulieren und es bei Anspielungen zu belassen. Was mir mehr liegt? Tja... Wenn ich das wüsste, würde ich mich ja auf eines beschränken.

Als die Fassade des Alten Museums voller Hakenkreuzfahnen hing, musste ich einigen irritierten Touristen erklären, dass da kein Parteitag stattfindet sondern ein Film gedreht wird.

Warst Du vor der Veröffentlichung von „On se left you see se Siegessäule“ aufgeregt? Und wie war das erste Feedback?

Ja, ich war aufgeregt, aber es ist erst mal nichts passiert. Kollegen und Freunde, haben natürlich „Hui, super!“ gesagt, aber das sagen Kollegen und Freunde nun mal. Auf das erste Feedback von jemandem, der das Buch tatsächlich gelesen hatte und mich nicht persönlich kannte, musste ich ein paar Wochen warten.

Hast Du die Kritiken zu Deinem Roman gelesen, oder sind Dir die Pressestimmen egal?

Mein Verlag schickt mir immer alles, was an Kritiken oder Erwähnungen in der Presse auftaucht. Viele „Kritiken“ bestehen aber nur daraus, dass ein Praktikant den Pressetext für den Reiseteil einer Zeitung abgetippt hat. Die schönste Besprechung kam von einem Briten in einem englischsprachigen Onlinemagazin namens slowtravelberlin.com, da habe ich mich zum ersten Mal ernstgenommen gefühlt. Komische Literatur gilt in Großbritannien als Kunst, in Deutschland ja eher als Dienstleistung.

Wer sind Deine literarischen Vorbilder?

Wenn ich eindeutige Vorbilder nennen könnte, von denen ich sage: „Ich will so schreiben wie die“, dann müsste ich ja gar nicht schreiben, weil die Vorbilder es schon besser machen als ich. Aber es gibt natürlich Schriftsteller, die ich schätze. In der Komik den frühen statt des späten, recht miesepetrigen Max Goldt, Thomas Brussig, Kurt Tucholsky, die frühen Romane von Thomas Glavinic. In der Lyrik sicher Rainald Grebe. In der Dramatik Shakespeare und Harold Pinter.

Was ist Dein nächstes Projekt? Werden wir Tilman in einer Fortsetzung wieder begegnen?

„Neues vom Stadtbilderklärer“ wird es nicht geben, weil ich nicht das erste Buch ein zweites Mal schreiben will. Im nächsten Jahr gibt es ein neues Buch und auch ein neues Bühnenprogramm. Mehr Musik, mehr Variation, kürzere Texte, Rock 'n' Roll.

Die Inselfrage: Welche fünf Bücher würdest Du mitnehmen?

Thomas Glavinic: Wie man leben soll Robert Gernhardt: Gesammelte Gedichte Herbert Rosendorfer: Briefe in die chinesische Vergangenheit eine Gesamtausgabe Kurt Tucholsky eine Gesamtausgabe Shakespeare

Was liest Du grade privat?

Anselm Neft: Hell

Gibt es noch etwas, das Du unbedingt mitteilen möchtest?

Nazis haben kleine Pimmel.